Dezember 2010 |
Hintergrund |
ENERGIE-CHRONIK |
(Der Artikel ist recht lang; deshalb hier eine Inhaltsübersicht)
(zu 101201)
Von den acht "Verbundunternehmen", die es 1998 bei der Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland gab, ist heute nur noch die Energie Baden-Württemberg (EnBW) übriggeblieben. Die anderen sind in Um- und Neugründungen aufgegangen: Im Juli 2000 fusionierten die PreussenElektra AG und die Bayernwerk AG unter dem Dach des neuen E.ON-Konzerns zur E.ON Energie AG (000704). Fast gleichzeitig lösten sich die RWE Energie AG und die VEW Energie AG in der neu strukturierten RWE AG auf (000810). Eineinhalb Jahre später verschwanden dann auch Veag, Bewag und HEW im neuen Vattenfall-Konzern (020106).
Den Reigen der Großfusionen eröffneten 1997 Badenwerk und EVS mit dem Zusammenschluß zur EnBW. Nach der Liberalisierung des Strommarktes folgten die drei "Elefantenhochzeiten", aus denen die neuen Konzerne von E.ON, RWE und Vattenfall hervorgingen. Die drei Karten veranschaulichen den so entstehenden "Strommarkt mit vier Besatzungszonen" anhand der angestammten Regelzonen. Inzwischen haben E.ON und Vattenfall ihre Transportnetzbetreiber verkauft und sich damit auch vom Regelzonenbetrieb verabschiedet. |
So gesehen ist die EnBW der älteste der vier Konzerne, die seit 1998 den "Strommarkt mit vier Besatzungszonen" prägten. - So lautete bald ein geflügeltes Wort für die triste Realität der Liberalisierung, die den Verbrauchern anstelle der versprochenen Segnungen nur steigende Preise und andere Nachteile bescherte.
Im Unterschied zu den drei anderen "Elefantenhochzeiten" wurden bei der EnBW die Fundamente zu einer Zeit gelegt, als diese Liberalisierung noch nicht vollzogen war, sondern sich allenfalls am politischen Horizont abzeichnete. Es gab zwar schon seit 1991 den Bericht der sogenannten Deregulierungskommission, der für die Zerschlagung der integrierten Stromversorgung plädierte. Diese Vorschläge stießen aber auf einmütige Ablehnung der damaligen deutschen Stromwirtschaft, die zu Recht befürchtete, daß damit das komplizierte Geschäft der Stromversorgung nur noch wesentlich komplizierter und deshalb auch teuerer werden würde. Das Papier der Deregulierungskommission schien außerdem allzusehr von technischer Ignoranz, Realitätsblindheit und ideologischer Fixiertheit auf neoliberale Dogmen geprägt zu sein, um richtig ernst genommen werden zu können.
Es waren deshalb Überlegungen im Rahmen der überkommenen Struktur der deutschen Stromwirtschaft, die Anfang der neunziger Jahre die Landespolitiker in Baden-Württemberg veranlaßten, die Zusammenlegung der Energie-Versorgung Schwaben (EVS) mit dem Badenwerk zu betreiben. Letztendlich ging es darum, der 1952 vollzogenen Vereinigung der Länder Baden und Württemberg nun auch die Vereinigung der beiden Landesversorger folgen zu lassen. Beide Versorger befanden sich im Besitz der öffentlichen Hand. Das in Karlsruhe ansässige Badenwerk gehörte mehrheitlich dem Land. Bei der in Stuttgart ansässigen EVS hatten kommunale Körperschaften das Sagen. In der unterschiedlichen Eigentümerstruktur widerspiegelte sich die Geschichte der Stromwirtschaft in beiden Landesteilen: In Baden war es der Staat gewesen, der die überregionale Stromversorgung sicherstellte. In Württemberg war es dagegen den Kommunen überlassen worden, einen Verbund zwischen den lokalen Stromversorgungen herzustellen.
Parteipolitisch war die öffentliche Hand in beiden Fällen schwarz gefärbt, was sich leicht daran erkennen ließ, daß beide Unternehmen von CDU-Politikern geleitet wurden: Beim Badenwerk war es seit 1993 der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende Gerhard Goll. An der Spitze der EVS stand seit 1992 der frühere CDU-Landrat Wilfried Steuer. In den politischen Gremien, die über eine Fusion zu befinden hatten, gab es somit grundsätzliche Übereinstimmung über die Schaffung eines landesweiten Stromversorgers, der dem Bundesland energiepolitisch zu mehr Gewicht und der heimischen Industrie zu günstigen Strompreisen verhelfen sollte. Als weiterer Schritt war die Eingliederung großer Stadtwerke wie der Stuttgarter TWS (ab 1997 NWS) und der Mannheimer MVV geplant.
Das Bundeskartellamt hatte zumindest gegen den ersten Schritt keine Einwände. Man wußte auch bereits, wer das neue Unternehmen leiten würde: Zunächst mal wäre Steuer an der Reihe gewesen, bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1998. Dann wäre Goll zum Zuge gekommen und hätte voraussichtlich ebenfalls bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2007 amtieren dürfen (930705).
Die auf politischer Ebene beschlossene Fusion scheiterte aber am Widerstand der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat des Badenwerks, die anscheinend befürchteten, von der EVS vereinnahmt zu werden (931110). Das Fusionskonzept mußte deshalb nochmals aufgedröselt werden. Dabei half nun auch die SPD, die in einer Großen Koalition mitregieren durfte, nachdem die Landtagswahlen 1992 die zwanzigjährige Alleinherrschaft der CDU beendet hatten. Im April 1995 legte die Landesregierung einen Stufenplan vor, der die Vereinigung von Badenwerk und EVS unter dem Dach einer gemeinsamen Holding bis Ende 1998 vorsah (950413). Ein Jahr später unterzeichneten die Vorstände der beiden Unternehmen einen entsprechenden Vertrag. Mit Blick auf die Betriebsräte hieß es dabei beschwichtigend, daß sich für die Mitarbeiter vorerst überhaupt nichts ändern werde. Als spezielles Bonbon für die Badenwerker wurde Karlsruhe zum Sitz der neuen Holding Energie Baden-Württemberg AG erkoren.
Inzwischen zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Deregulierung doch mehr als eine Schimäre und technikfremde Schnapsidee von neoliberalen Wirtschaftsideologen war. Vor allem aus Brüssel blies der Wind zunehmend in dieser Richtung. Im Juli 1996 wurde deshalb beschlossen, die Fusion nicht erst bis Ende 1998, sondern schon zum 1. Januar 1997 zu vollziehen (960712). Die Stuttgarter Landesregierung huldigte dem neoliberalen Zeitgeist außerdem mit der Ankündigung, ihre Beteiligung an dem neuen Stromversorger zur Hälfte privatisieren zu wollen (970504).
Der erste EnBW-Chef Gerhard Goll kam als CDU-Politiker zu seinem Posten und hatte als Manager keine glückliche Hand. Pressefoto EnBW
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So kam es dann im August 1997 zur Gründung der Energie Baden-Württemberg AG, mit rückwirkender Eintragung ins Handelsregister ab Jahresbeginn. Die neue Holding gehörte zu 25 Prozent dem Land Baden-Württemberg und zu 70 Prozent kommunalen Körperschaften. Der Rest von fünf Prozent war Streubesitz. Weil es so lange gedauert hatte, bis die Fusion endlich zustande kam, war Steuer nun zu alt, um den ursprünglich für ihn reservierten Chefposten zu übernehmen. Stattdessen amtierte Goll von Anfang an als Chef des Unternehmens, das sich stolz als Deutschlands viertgrößter Stromversorger bezeichnete. Diese Einstufung erfolgte mit Blick auf die größeren Verbundunternehmen RWE Energie, PreussenElektra und Bayernwerk. Die VEW Energie, die Bewag und die HEW waren kleiner, während die ostdeutsche Veag den westdeutschen Verbundunternehmen gemeinsam gehörte.
In Kurzform hieß die Energie Baden-Württemberg zunächst EBW. Ihr Chef Goll ließ sich aber bald von einem Werbeberater überzeugen, daß die Abkürzung EnBW markanter sei. Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) wollte daraufhin in einem Brief an Goll wissen, weshalb von dem vereinbarten Firmennamen abgewichen worden sei. Goll antwortete, sein Berater habe ihn davon überzeugt, daß die neue Abkürzung mehr nach Energie klinge. Übrigens sei ihm dieser Berater vom Generalsekretär der baden-württembergischen CDU empfohlen worden. Er vertraue somit einem Mann, der auch schon erfolgreich für die CDU und den Ministerpräsidenten gearbeitet habe.
Innerhalb der CDU gab es inzwischen divergierende Meinungen, wie mit der neugeschaffenen EnBW weiter zu verfahren sei. Während Teufel einen Verkauf der Landesbeteiligung an RWE oder Viag (Bayernwerk) erwog und auch mit ausländischen Interessenten verhandelte (980104), plädierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Günther Oettinger für die Schaffung eines südwestdeutschen Energiekonzerns, der neben der EnBW auch die Gasversorgung Süddeutschland (GVS), die Neckarwerke Stuttgart und die Mannheimer MVV umfassen sollte (980207). Ein solcher politischer Kraftakt konnte indessen nur gelingen, wenn die Landesbeteiligung an der EnBW ungeschmälert erhalten blieb.
Die CDU-Landesregierung entschied aber anders. Sie wollte ihre EnBW-Beteiligung von 25 Prozent unbedingt privatisieren, statt sie mit den genannten Strom- und Gasversorgern, die damals alle noch in kommunalem Besitz waren, in einen südwestdeutschen Energiekonzern einzubringen. Als mögliche Interessenten standen bereits ein gutes Dutzend Konzerne aus dem In- und Ausland auf der Matte, darunter die Viag mit dem Bayernwerk (961210), die RWE Energie (980104), die BASF (981115) und Frankreichs Strommonopolist Electricité de France (EDF) (990418).
Seit November 1999 verhandelte die Landesregierung nur noch mit den Franzosen (991102), und im Januar 2000 verkaufte sie ihre EnBW-Beteiligung für 4,7 Milliarden Mark komplett an die EDF (000101). Der französische Staatskonzern betrachtete die 25 Prozent von Anfang an nicht als Minderheitsbeteiligung, sondern als ersten Schritt zur Beherrschung der EnBW. Noch aber besaßen die kommunalen Aktionäre eine klare Majorität, wobei die im Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) zusammengeschlossenen Kommunen mit 34,5 Prozent den größten Block bildeten.
Um bestimmenden Einfluß auf die EnBW zu erlangen, nahm die EDF frühzeitig Verhandlungen mit den OEW auf. Beim Abschluß des Kaufvertrags machte sie dessen Gültigkeit davon abhängig, daß ein entsprechender Konsortialvertrag der beiden Großaktionäre zustande kommen würde. Nach monatelangen Verhandlungen wurde der Konsortialvertrag schließlich am 19. Mai 2000 unterzeichnet. Er sollte das Verhältnis zwischen den beiden Großaktionären bis Ende 2011 regeln. Die Details blieben geheim. Man erfuhr nur soviel, daß fortan EDF und OEW jeweils gleichviel Kapitalanteile besitzen durften und wichtige Entscheidungen in strategischen Fragen gemeinsam zu treffen waren. Im übrigen blieb die unternehmerische Führung der EDF überlassen, die sofort ihren bisherigen Chefstrategen Pierre Lederer als Aufpasser und Kontaktmann nach Karlsruhe schickte (000516). Fortan tauchte die EnBW in den Geschäftsberichten des französischen Staatskonzerns als "filiale" auf. Sie wurde also als deutsche Tochter betrachtet.
Den Kapitalabstand zu den OEW glich die EDF bald aus, indem sie die neunprozentige Beteiligung der Stadt Stuttgart an den EnBW hinzukaufte (991205). Seit Frühjahr 2001 verfügten so beide Großaktionäre über jeweils 34,5 Prozent, woraus sich wegen des Konsortialvertrags ein gemeinsam ausgeübtes Stimmrecht von 69 Prozent ergab (020417). Die vereinbarte Parität geriet dann aber ins Wanken, als die beiden Großaktionäre wegen der finanziellen Belastungen, die durch eine unüberlegte Expansionspolitik entstanden waren, einer Kapitalerhöhung zustimmten (040412). Den Kommunen fiel es offenbar schwer, das notwendige Geld aufzubringen, um mit der EDF gleichzuziehen. Deshalb erhöhte zunächst nur die EDF ihre Beteiligung auf 39 Prozent. Es sah sogar so aus, als wollten die OEW auf die Kapitalparität verzichten (041204).
Mit knapper Not schafften es die OEW dann doch noch, ihren Kapitalanteil vor Ablauf der Kaufoption gegenüber der EDF, die im Februar 2005 endete, um 5,94 Prozent zu erhöhen (050101). Da aber zugleich die EDF ihren Anteil ein weiteres Mal aufstockte - und zwar ebenfalls um 5,94 Prozent -, gewannen sie damit nur eine Galgenfrist.
Inzwischen verfolgten die Landespolitiker mit Besorgnis, wie die EDF ihren klammen Konsortialpartner durch Aufstockungen im Rahmen der vertraglich vereinbarten Kapitalparität schachmatt zu setzen versuchte. Auf Drängen des CDU-Fraktionsvorsitzenden und designierten Ministerpräsident Günther Oettinger beschloß die Landesregierung, den Kommunen mit zwanzig Millionen Euro unter die Arme zu greifen. Dank dieser Finanzspritze konnten die OEW-Aktionäre im Februar 2005 einen nochmaligen Aktienkauf beschließen, der ihren Anteil an der EnBW von 40,44 auf 44,94 Prozent erhöhte. Damit war der Gleichstand mit der EDF wieder erreicht (050205).
Zugleich war damit der Spielraum für weitere Zukäufe ausgeschöpft, denn der Rest von zehn Prozent entfiel im wesentlichen auf drei weitere kommunale Zweckverbände, eigene Aktien der EnBW und etwas Streubesitz. Abgesehen von einer minimalen Erhöhung auf 45,01 Prozent, die vermutlich aus eigenen Aktien der EnBW bestritten wurde, beließen es deshalb die beiden Konsortialpartner bis zum Ende ihres Bündnisses bei der Anfang 2005 erreichten Parität.
Parallel zum Versuch, die EnBW durch Erlangung der Aktienmehrheit zu einer echten "filiale" zu machen, betrieb die EDF eine stärkere Einbindung des Managements in Karlsruhe. Das war freilich nicht so einfach, wie man das in Paris gern gehabt hätte. Sowohl Badenwerk als auch EVS waren traditionell politische Pfründen der CDU. Auch nach der Liberalisierung fühlten sich Leute wie Gerhard Goll gewiß mehr dem heimischen Establishment als dem neuen Großaktionär jenseits des Rheins verpflichtet. Das wäre aus französischer Sicht nicht weiter schlimm gewesen, wenn er wenigstens genügend Geld nach Paris überwiesen hätte. Aus dem Politiker wurde aber kein erfolgreicher Manager. Goll verbrannte viel Geld mit einer unüberlegten Expansionspolitik. So investierte er in völlig branchenfremde Bereiche wie die Schuhfabrik Salamander oder den Parkflächen-Betreiber Apcoa (000407). Das vom Badenwerk übernommene Projekt der Müllverbrennung nach dem "Thermoselect"-Verfahren stellte sich bald als Sackgasse heraus (000918), wurde aber unter Millionenverlusten bis zum endgültigen Aus 2004 weitergeführt (040306).
Im angestammten Stromgeschäft hatte die EnBW ebenfalls keine glückliche Hand. Goll dachte hier wohl in den ihm vertrauten Kategorien der politischen Strategie, wenn er sofort nach der Liberalisierung des Strommarktes damit begann, eigene Vertriebs-Bastionen in den Versorgungsgebieten von RWE und VEW zu errichten (990309). Besonders teuer wurde der wirtschaftlich unsinnige Einstieg bei den Stadtwerken Düsseldorf (010707), der in den folgenden Jahren weitere Gelder für den Erwerb der Mehrheit verschlang. Mit dem 1999 gegründeten bundesweiten Stromvertrieb "Yello" (990802) versetzte Goll zwar die ganze Branche in Panik, häufte aber nur Verluste an, die sich am Ende seiner Amtszeit auf rund 700 Millionen Euro beliefen (030413, 040306).
Das heißt freilich nicht, daß die EDF über bessere Geschäftskonzepte verfügt hätte. Eines der kostspieligsten Abenteuer während Golls Amtszeit kam auf Wunsch und Drängen der Franzosen zustande: Im Rahmen eines Konsortiums erhielt die EnBW im Frühjahr 2001 den Zuschlag für die Mehrheit am spanischen Stromversorger Hidrocantabrico (010413). Über die Gründe, weshalb sich der kleinste der vier deutschen Konzerne nun ausgerechnet in Spanien engagierte, brauchte man nicht groß zu rätseln, zumal die EU-Kommission ihre Genehmigung für den geplanten Einstieg der EnBW bei Hidrocantabrico mit Auflagen für die EDF verband (010912). Die spanische Regierung sah das genauso. Sie setzte alle Hebel in Bewegung, um Hidrocantabrico dem Zugriff der EDF zu entziehen. Die EnBW mußte deshalb die führende Rolle in dem Erwerber-Konsortium an die portugiesische EDP abtreten (011201). Zweieinhalb Jahre später zog sie sich ganz aus Spanien zurück (040713).
Am ehesten reüssierte Goll noch da, wo es entscheidend auf landespolitische Kontakte ankam. So konnte er die Einverleibung der Neckarwerke Stuttgart (NWS) und die Erweiterung des Geschäftsbereichs um Gas auf der Erfolgsseite verbuchen. Die NWS waren 1997 aus der Fusion der Technischen Werke der Stadt Stuttgart (TWS) mit dem Regionalversorger Neckarwerke hervorgegangen (970706). Bei der Übernahme der NWS, an denen auch das Land 25 Prozent hielt, waren dem früheren Ministerialrat und Regierungssprecher Goll seine engen Verbindungen zur allerorten regierenden CDU natürlich sehr behilflich. Denn das Management der NWS war von seinen Plänen überhaupt nicht angetan. "Es besteht keinerlei Veranlassung, eine wie auch immer geartete Kooperation mit anderen Energieversorgern wie zum Beispiel der EnBW anzustreben", hieß es noch im Frühjahr 1999 in der Mitarbeiterzeitschrift der NWS (990418). Der Widerstand half indessen nichts. Die kommunalen Anteilseigner nötigten die NWS zur Zwangsehe mit der EnBW. Im Februar 2000 teilten die Vorstände von EnBW und NWS in einer gemeinsamen Erklärung mit, daß sie eine "enge, nachhaltige Kooperation" vereinbart hätten. Die EnBW erstrebe eine "Mehrheitsbeteiligung und die unternehmerische Führung" bei NWS. Dies bedeute aber keine Fusion. Die NWS blieben als rechtlich eigenständiges Unternehmen erhalten (000206). Dieses Versprechen hielt dann gerade so lange, wie die EnBW brauchte, um die bisherigen Aktionäre der NWS abzufinden. Im August 2003 wurden sämtliche Geschäftsbereiche der NWS rückwirkend zum Jahresbeginn mit der EnBW zusammengelegt. Sogar die Marke NWS verschwand (030807).
Da die Neckarwerke 33,4 Prozent an der Gasversorgung Süddeutschland (GVS) hielten, eröffnete dieser Neuerwerb der EnBW zugleich den Zugang zum Geschäftsbereich Gas. Bis dahin besaß sie nur zwei unbedeutende ländliche Gasvertriebe. Sie tat sich nun mit dem italienischen Energiekonzern ENI zusammen, um über eine gemeinsame Gesellschaft mit jeweils hälftiger Beteiligung die Mehrheit an der GVS zu übernehmen (010805). Im Juni 2002 wurde schließlich der Kaufvertrag unterzeichnet, der dem Gemeinschaftsunternehmen 62,22 Prozent an der GVS sicherte. Durch das Bündnis mit der ENI erlangte die EnBW den direkten Zugang zu Import und Förderung von Erdgas (020601).
Der zweite EnBW-Chef Utz Claassen inspirierte seine Kritiker zu Vergleichen wie "Rambo" und "Idi Amin" (auf diesem Bild noch ohne Bart mit dem frisch verliehenen "Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus" um den Hals). Pressefoto EnBW
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Insgesamt war die Ära Goll sicher keine Erfolgsgeschichte. Es nahm deshalb nicht wunder, als Goll im Mai 2002 die Nichtverlängerung seines Vertrags ankündigte und sogar vorzeitig aus dem Amt scheiden wollte, sofern ein Nachfolger bereitstünde (020509). Die EDF sah nun die Chance, den Chefsessel der EnBW mit ihrem Vorstandsmitglied Pierre Lederer oder einem direkt aus Frankreich importierten Manager zu besetzen. Das ging aber dem deutschen Großaktionär OEW zu weit. Am Ende des Zwists einigten sich die Konsortialpartner auf einen von außen kommenden Neuling ohne Stallgeruch und parteipolitische Färbung, von dem beide hofften, daß er zumindest über die notwendigen Management-Qualitäten verfügen werde, um aus der EnBW wieder eine sprudelnde Gewinnquelle zu machen. Dieser Kompromißkandidat hieß Utz Claassen und war in der Wirtschaftspresse als Sanierer des Göttinger Laborgeräteherstellers Sartorius AG gefeiert worden (030408).
Der neue Chef stellte sogleich "erhebliche Ertragsbelastungen" bei der EnBW fest und kündigte ein drastisches Sparprogramm an (030706). Er ließ ferner deutlich anklingen, daß die vorgefundene Misere seinem Vorgänger anzulasten sei. Goll wehrte sich, indem er die EDF und die Bundesregierung anklagte (030805). Aufgrund einer Strafanzeige von grünen Kommunalpolitikern ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Goll wegen Bilanzverschleierung (031113). Claassen nahm dies zum Anlaß, um auf der Hauptversammlung am 29. April 2004 die Nichtentlastung Golls sowie der bisherigen Vorstände Balzereit und Jochum beschließen zu lassen (040412).
Den Finanzvorstand Balzereit hatte Claassen sofort bei Amtsantritt gefeuert, obwohl er erst acht Monate im Amt war und nicht für die Schieflage des Unternehmens verantwortlich gemacht werden konnte. Balzereit war sogar als einer der möglichen Nachfolger Golls im Gespräch gewesen. Mit dem Konkurrenten entledigte sich Claassen des einzigen Mannes im Vorstand, der außer ihm die Finanzlage des Unternehmens überblickte und beispielsweise beurteilen konnte, wieweit das nun verkündete Sparprogramm sachlich begründet war oder nur als Vorwand für Sozialabbau und Stellenstreichungen diente. Beispielsweise mußten die EnBW-Beschäftigten nun ohne Lohnausgleich zwei Stunden weniger arbeiten (040209). Die Betriebsräte warfen dem neuen Chef in einem Offenen Brief vor, er verbreite "Angst und Schrecken unter Mitarbeitern und Führungskräften" (031001).
Claassen und die Kamarilla, die er um sich versammelte, waren jedenfalls alles andere als Lichtgestalten. Im Vergleich mit seinen Umgangsformen wirkte sogar der als kauzig verschriene Vorgänger Goll geradezu sympathisch. So feuerte er kurzerhand den Chef der Vertriebstochter Yello, nachdem dieser ihm zu widersprechen gewagt hatte (030806). Ähnlich erging es dem technischen Leiter des Kernkraftwerks Neckarwestheim, der in einer Frage des nuklearen Sicherheitsmanagements anderer Meinung war (040717, 041213). Als die Atomaufsicht in Gestalt des Stuttgarter Wirtschaftsministers Pfister vorsichtig Bedenken gegen diese Art der Personalführung in sicherheitsempfindlichen Bereichen anmeldete, legte sich Claassen auch mit dem Ministerium an. Anscheinend war dem "Herrn Professor", wie er sich bei der EnBW anreden ließ, der Titel eines Honorarprofessors zu Kopf gestiegen, den er einst in Hannover ergattert hatte, denn er glaubte Pfister ein "intellektuelles Verständnisproblem" bescheinigen zu müssen (041015).
Claassen beschränkte seine Despotie nicht auf die EnBW. Im Januar 2005 erzwang der Fußballfan sogar die Entlassung des neuen Cheftrainers des Karlsruher KSC, weil er mit diesem vor sieben Jahren in Hannover über Kreuz geraten war (050105). Leitende Angestellte, mit denen er im Zwist lag, ließ er außerhalb des Unternehmens durch Detektive überwachen. Neben dem erwähnten technischen Leiter des Kernkraftwerks Neckarwestheim soll dazu auch sein Vorgänger Goll gehört haben (050303). Weil er sich begreiflicherweise darüber ärgerte, daß immer wieder Interna nach außen drangen, ordnete er eine gezielte Überwachung von Telefongesprächen und elektronischer Kommunikation mit Kontaktpersonen außerhalb des Hauses an. Neben bestimmten Mitarbeitern gehörten dazu auch Aufsichtsräte der EnBW. Die Kontrolleure, die eigentlich Claassen kontrollieren sollten, wurden also selber kontrolliert (090316).
Den unter Goll begonnenen Einstieg bei den Stadtwerken Düsseldorf baute Claassen zur Mehrheit aus, wobei es zu einem wüsten Machtkampf mit dem Management und widerstrebenden Aufsichtsräten kam (041104). Der Düsseldorfer Aufsichtsratsvorsitzende Hans-Otto Christiansen, der im November 2004 auf Betreiben der EnBW abgewählt wurde, fühlte sich durch Claassens Auftreten sogar an den blutrünstigen afrikanischen Tyrannen Idi Amin erinnert. Obwohl sein Vorwurf, der EnBW-Chef trete auf "wie Idi Amin, mit einem Messer zwischen den Zähnen, und das Blut laufe an den Mundwinkeln herunter", sicher nur metaphorisch gemeint war, klagte Claassen allen Ernstes auf Unterlassung dieses bildhaften Vergleichs (060318). Zuvor war er bereits von dem baden-württembergischen CDU-Politiker Andreas Renner als "Rambo unter den deutschen Managern" bezeichnet worden (050106).
Möglicherweise dämmerte dem EnBW-Chef inzwischen, daß er sich als Rambo und Idi Amin der deutschen Energiewirtschaft sogar bei den eigenen Aktionären unbeliebt machen könnte. Das hätte ihn nun wahrlich empfindlich getroffen, denn allein im Jahr 2004 erhielt er für seine Tätigkeit 4,17 Millionen Euro. Dabei betrug das fixe Gehalt des EnBW-Chefs "nur" 733 000 Euro. Die übrigen 3,4 Millionen von Claassens Rekordeinkünften entstammten einer variablen Vergütung, die der Aufsichtsrat bewilligt hatte. Dem Vernehmen nach kam diese fürstliche Vergütung gegen den Einspruch der EDF und bei Stimmenthaltung der kommunalen Anteilseigner zustande – und zwar allein aufgrund des Votums der beiden Belegschaftsvertreter im Aufsichtsrat, die sich bereits den Zorn der übrigen Betriebsräte und EnBW-Beschäftigten zugezogen hatten, weil sie dem "Herrn Professor" mit einer devoten Beistandserklärung gegen den Rambo-Vergleich beigesprungen waren (050106).
Zudem lief inzwischen ein förmliches Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen Claassen wegen Verdachts der Bilanzfälschung – eine Parallele zum immer noch anhängigen Ermittlungsverfahren gegen Goll, das Claassen seinem Vorgänger eingebrockt hatte. Während Goll vorgeworfen wurde, er habe Vermögenswerte der EnBW zu hoch angesetzt, erfolgte die Strafanzeige gegen Claassen, weil er Beteiligungen wie die Stadtwerke Düsseldorf in der Bilanz zu niedrig veranschlagt habe.
Claassen konnte aber auch anders. Seit Ende 2005 griff er schon mal zum Zuckerbrot statt zur Peitsche. Für mehr als zehn Millionen Euro kaufte die EnBW den Titel eines "nationalen Förderers" der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft. Zudem organisierte sie gemeinsam mit Rundfunk und Landesregierung verschiedene Großveranstaltungen in baden-württembergischen Städten: "Die Begeisterung rund um die Fußballweltmeisterschaft 2006 soll sich nicht nur auf die Stadien begrenzen", ließ sich Claassen in der Rolle des Volksbeglückers zitieren. "Als nationaler Förderer der FIFA WM 2006 TM wollen wir diese Begeisterung hinaustragen zu allen unseren Kunden und Menschen dieses Landes. Wir wollen uns gemeinsam an schönen Spielen erfreuen und das größte Heimspiel aller Zeiten in Baden-Württemberg feiern" (060213). Ende 2006 ersteigerte die EnBW den Spickzettel eines Torhüters für eine Million Euro, um ihn mit pompöser Geste dem "Haus der Geschichte" in Bonn als Dauerleihgabe zu überlassen (061222). Das Geld dafür kam natürlich nicht von Claassen oder seinem Kommunikations-Spezi Schierwater, sondern mußte von den EnBW-Kunden mit den ständig steigenden Strompreisen aufgebracht werden.
Den Wirtschaftsminister Pfister, den er noch vor kurzem wie einen Schulbuben abgekanzelt hatte, bedachte Claassen nun mit der Einladung, die Spiele aus einer von der EnBW angemieteten Loge zu verfolgen. Auch zahlreiche andere Politiker erhielten Freikarten im Wert von jeweils über 2000 Euro, darunter solche, die wie Pfister dienstlich mit der EnBW zu tun hatten. Für die Staatsanwaltschaft Karlsruhe erfüllte Claassen damit den Tatbestand der Vorteilsgewährung nach Paragraph 333 des Strafgesetzbuches (060712). Es kam deshalb zu einem Prozeß vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe (061119), der aber ein Jahr später mit einem Freispruch endete (071122).
Für den Minister Pfister (FDP) ging die Sache ebenfalls glimpflich aus. Er hatte sich artig für die Freikarten bedankt, bevor die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bekannt wurden und er doch auf die Einnahme seines Platzes in der EnBW-Loge verzichtete. Die Staatsanwaltschaft sah damit den Tatbestand der Vorteilsannahme gegeben, stellte das Verfahren aber gegen eine Geldbuße ein. Zum Beispiel hätte Pfisters Ressort über die Zulässigkeit von Tariferhöhungen der EnBW zu befinden gehabt hätte, wenn die Landesregierung nicht schon seit Jahren darauf verzichtet hätte, die ihr nach der Bundestarifordnung Elektrizität (BTOEltV) zustehende Kontrolle auszuüben. Die Befreiung der Stromversorger von der Tarif-Genehmigungspflicht wurde von Pfisters Vorgänger Döring (FDP) durchgesetzt und auch von Pfister nicht in Frage gestellt, obwohl die baden-württembergischen Tarifkunden dadurch bis zum Außerkrafttreten der BTOEltV am 1. Juli 2007 schutzlos den "Preisanpassungen" der EnBW ausgesetzt waren.
Noch ein anderer durfte sich der plötzlichen Gunst Claassens erfreuen: Ausgerechnet der CDU-Politiker Andreas Renner, der ihn als "Rambo" charakterisiert hatte, heuerte nun bei der EnBW an und übernahm zum 1. August 2006 die Leitung einer neu gegründeten "Steuerungsgruppe regenerative Energien". Der CDU-Politiker hatte zuvor als Sozialminister des Landes Baden-Württemberg zurücktreten müssen, nachdem er seine Schirmherrschaft für die Schwulenparade "Christopher Street Day" gegenüber dem Rottenburger Bischof Fürst in einer Weise verteidigt hatte, die innerhalb der Partei Unmut erregte. "Wir sind sehr froh, daß wir diesen profilierten Mann für diese so außerordentlich wichtige Aufgabe gewinnen konnten", lobte Claassen nun denselben Mann, den er einst wegen Ruf- und Geschäftsschädigung verklagen wollte (060715).
Es war sicher nicht nur Sparsamkeit, was die EDF im Frühjahr 2005 zum Einspruch gegen die fürstlichen Tantiemen für Claassen veranlaßt hatte. Generell scheint das Verhältnis zwischen beiden Seiten anfangs sehr schlecht gewesen zu sein. Ende 2005 eskalierten die Spannungen in einer Sitzung des Aufsichtsrats. "Bei Cola und Schokoriegeln pokert Claassen um seinen Job", überschrieb die "Stuttgarter Zeitung" einen Bericht über den Krach hinter verschlossenen Türen, bei dem der EnBW-Chef kurz vor seinem Rücktritt gestanden haben soll (090316).
Zumindest vorübergehend konnte Claassen aber auch die Franzosen für sich einnehmen, denn durch das Abstoßen unrentabler Beteiligungen und das drastische Sparprogramm zu Lasten der Beschäftigten sprudelten bei der EnBW wieder die Gewinne. In der Bilanz der hoch verschuldeten EDF gehörte die deutsche "filiale" fortan zu den wichtigsten Aktivposten. Im März 2006 wurde Claassen ins "Comité éxécutif" des französischen Staatsmonopolisten berufen, was er als "große Ehre und wichtige Herausforderung" empfand, während sich der Großaktionär OEW sichtlich verstimmt über diesen Schritt des Konsortialpartners zeigte, der nicht mit ihm abgesprochen worden war (060310).
In der Tat mochte es der EDF bei dieser Erweiterung ihres "Comité éxécutif" vor allem um eine verstärkte Einbindung des EnBW-Managements in die eigene Geschäftspolitik gehen, was den OEW verständlicherweise nicht behagte. Ein Dreivierteljahr später durfte Claassen aber auch eine sehr persönliche Auszeichnung entgegennehmen, die ihm auf Betreiben der EDF verliehen wurde: Die französische Regierung ernannte ihn zum "Ritter im Nationalen Orden der Ehrenlegion". Die gleiche Würde gab es für den EnBW-Vorstand Pierre Lederer, der seit sechs Jahren als Aufpasser der Pariser Zentrale in Karlsruhe fungierte (061120).
Die Ernennung des "Rambo" Claassen zum Ritter der französischen Ehrenlegion paßte hervorragend zum "Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus", das Claassen bereits vom Kreml verliehen worden war. Die Russen hatten anscheinend gewußt, daß der Mann an der Spitze der EnBW, der alles andere als die feine akademische Art repräsentierte, sich gern mit "Herr Professor" anreden ließ: Zusätzlich ernannten sie ihn zum "ordentlichen Mitglied der Akademie der medizinisch-technischen Wissenschaften Rußlands" und verliehen ihm den "Ehrenorden des Präsidiums der Russischen Akademie der Naturwissenschaften" (050712).
Die Franzosen hatten ein klares Motiv für die Ernennung Claassens zum Ehrenlegionär, auch wenn sie ihn vielleicht lieber als Fremdenlegionär in die Wüste geschickt hätten. Bei den Russen fragte man sich dagegen, was sie wohl bewogen haben mochte, den kleinsten der vier deutschen Energiekonzerne derart zu umschmeicheln. Die EnBW stand in keinen erkennbaren Geschäftsbeziehungen mit Rußland. Überhaupt litt sie darunter, noch immer ein auf den Südwesten fixierter Konzern zu sein. Daran hatten auch die Erweiterung des Energiegeschäfts in Sachsen (040405), der mit der Brechstange durchgezogene Erwerb der Stadtwerke Düsseldorf (051206) und eine erhebliche Beteiligung am niederösterreichischen Landesversorger EVN (061014) nichts grundsätzlich geändert. Vergebens war auch der Aufwand, mit dem die EnBW in Leipzig versuchte, neuer Miteigentümer der Stadtwerke zu werden (070112).
Was also mochte die Russen bewogen haben, den EnBW-Chef derart zu bauchpinseln?- Erst fünf Jahre später kam heraus, daß es tatsächlich geschäftliche Beziehungen zwischen der EnBW und Rußland gab. Und zwar sehr anrüchige: Die Russen sollten der EnBW Brennelemente unter Verwendung von hochangereichertem Uran aus russischen Millitärbeständen liefern und zugleich radioaktiven Schrott aus dem stillgelegten Reaktor Obrigheim entsorgen. Unter russischen Verhältnissen hieß "Entsorgung", daß gewisse Landschaften in Sibirien mit deutschem Atommüll noch weiter verstrahlt wurden (101210). Der Tipp dazu war anscheinend vom Großaktionär EDF gekommen, der sich schon lange des abgereicherten Urans aus der Wiederaufarbeitungsanlagse La Hague entledigte, indem er den praktisch unverwertbaren Atommüll als "Wertstoff" deklarierte und zur angeblichen Wiederanreicherung nach Rußland schickte (091006).
Die radioaktiven Hintergründe und Gefahren des Geschäfts könnten eine Erklärung dafür sein, weshalb die russischen Geschäftspartner einen naturwissenschaftlich unbewanderten Finanzmenschen wie Claassen zum "Mitglied der Akademie der medizinisch-technischen Wissenschaften" ernannten und ihm obendrein auch noch den Ehrenorden ihrer Akademie der Naturwissenschaften verliehen. Die ehrenwerte Gesellschaft hatte offenbar Sinn für feinen Humor...
Aus irgendwelchen Gründen klappte das Geschäft mit der russischen Nuklear-Mafia dann aber doch nicht so recht. Jedenfalls entstand dadurch in den Jahren 2005 bis 2008 bei der EnBW ein Loch von 130 Millionen Euro. Der zuständige Technik-Vorstand Hans-Josef Zimmer mußte deshalb im Juli 2010 zurücktreten. Die EnBW-beteuerte, daß es allein um das Millionen-Loch gehe. Die gelieferten Brennelemente seien in Ordnung gewesen. Die Grünen im Landtag äußerten dagegen den naheliegenden Verdacht, daß bei diesem Rußland-Geschäft Korruption im Spiel gewesen sein könne, was sicherheitsrelevante Fragen aufwerfe (100716).
Im Geschäftsjahr 2006 überschritt der Reingewinn der EnBW erstmals die Milliardengrenze (070213). Dennoch scheint sich das Verhältnis zwischen der EDF und ihrem frischgebackenen Ritter der Ehrenlegion wieder eingetrübt zu haben. Im Frühjahr 2007 meldete der "Südwestrundfunk", daß die EDF ihre Beteiligung an EnBW aufgeben und sich stattdessen beim RWE-Konzern einkaufen wolle. Die Franzosen seien mit ihrer deutschen Quasi-Tochter schon seit Jahren unzufrieden, weil deren Gewinne nicht im selben Maße gestiegen seien wie bei den drei anderen Konzern. Außerdem sei die EnBW noch immer nicht über den Status eines Regionalversorgers hinausgelangt. Hinzu komme die Blockierung der Eigentumsverhältnisse durch die Kapitalparität mit dem Konsortialpartner OEW, den die Franzosen als "Rocky Horror Picture Show" empfänden (070503).
Einen Monat später berichtete das "Handelsblatt" über ein Papier, in dem das Management der EDF sowohl den persönlichen Führungsstil als auch unternehmerische Fehlentscheidungen Claassens kritisiere: Unter seiner Leitung sei das Unternehmen so heruntergewirtschaftet worden, daß es bestenfalls noch als baden-württembergischer Regionalversorger gelten könne. Claassen habe bei der EnBW eine "Kultur des Mißtrauens und der Intrige" entstehen lassen. Viele Mitarbeiter hätten deshalb innerlich ihren Dienst quittiert. Man müsse heute mit den Methoden von Kopfgeldjägern nach Leuten suchen, die noch dazu bereit seien, in der Unternehmenszentrale zu arbeiten. Die Entwicklung des EnBW-Konzerns folge keinem erkennbaren strategischen Konzept. Claassen habe die Großaktionäre und den Aufsichtsrat nicht ausreichend informiert. Dadurch sei es zu unternehmerischen Fehlentscheidungen gekommen. Erste Sanierungserfolge, mit denen sich Claassen geschmückt habe, seien tatsächlich einem Sanierungsprogramm zu verdanken, das bereits sein Vorgänger Goll initiiert habe (070606).
Der dritte EnBW-Chef Hans-Peter Villis verflocht die EnBW mit der norddeutschen EWE, scheiterte aber mit dem Versuch, auch noch die ostdeutsche VNG in den Konzern einzubinden. Pressefoto EnBW
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Inzwischen hatten die beiden Großaktionäre bereits nach einem Nachfolger für Claassen gesucht, obwohl sie nach außen den Anschein erweckten, als sei dessen Vertragsverlängerung sicher (070217). Als aussichtsreichster Kandidat galt zunächst der EWE-Chef Werner Brinker. Schließlich hob man aber den E.ON-Manager Hans-Peter Villis auf den Schild, der bisher bei E.ON Nordic für Finanzen zuständig war. Als Claassen merkte, daß an seinem Stuhl gesägt wurde, ging er in die Offensive und ließ wissen, daß er auf eine Verlängerung seines Vertrags verzichte (070606). Vier Wochen später kündigte er sogar sein vorzeitiges Ausscheiden zugunsten von Villis an (070606).
Claassens Vertrag wäre eigentlich erst im April 2008 ausgelaufen. Die vorzeitige Abhalfterung ließ er sich auf Kosten der Stromkunden von der EnBW vergolden: Zusätzlich zu den Versorgungsbezügen, die ihm die EnBW ab dem 63. Lebensjahr zu zahlen hatte, bedang er sich eine bis dahin zu zahlende Frührente von jährlich 400.000 Euro aus (070803). Anteilig gekürzt bzw. gestrichen werden sollte die Frührente nur, wenn er einen neuen bzw. höher dotierten Posten antreten würde. Bei den sparsamen Schwaben, denen die EnBW immer höhere Energiepreise abverlangte, löste das verständliche Erbitterung aus. Als Claassen eine neue Tätigkeit für das Finanzunternehmen Cerberus aufnahm, strich ihm deshalb die EnBW die Frührente und es kam zu einem Prozeß (090316). Am Ende einigte man sich darauf, die Frührente in eine einmalige Abfindung von 2,5 Millionen Euro umzuwandeln (091016).
Mit den 2,5 Millionen Euro Abfindung der EnBW hatte Claassen freie Bahn, um einen neuen hochbezahlten Posten als Chef der Solar Millennium AG anzutreten (091217). Dort beendete er schon nach 74 Tagen seine Tätigkeit, weigerte sich aber, die exorbitante Antrittsprämie von neun Millionen Euro wieder herauszurücken (100516). Zusätzlich zu der Antrittsprämie hatte ihm sein Kurzzeitarbeitgeber ein monatliches Salär von 100.00 Euro bewilligt, einen Mercedes S 400 Hybrid als Dienstwagen, Vorsorgeleistungen von 180.000 Euro für das laufende Jahr und einen Zuschuß von jährlich 100.000 Euro für die Bezahlung eines Leibwächters. Das war für ein mittelständisches Unternehmen soviel Geld, daß man sich nur an den Kopf greifen oder als betroffener Aktionär die Abberufung des Vorstands fordern konnte. Das Mitleid mit der düpierten Solar Millennium AG hielt sich deshalb auch sehr in Grenzen, als sie wegen des Prozesses mit Claassen eine Gewinnwarnung herausgeben mußte.
Weitere Kosten entstanden dem Kurzzeitarbeitgeber dadurch, daß Claassen gleich eine ganze Reihe von Spezis mitbrachte, denen er hochdotierte Beraterverträge verschaffte. Laut "Handelsblatt" schlug allein der Vorschuß für Jürgen Hogrefe mit 10.000 Euro zu Buche. Der ehemalige "Spiegel"-Journalist (1985 bis 2003) und Pressesprecher der Grünen im niedersächsischen Landtag (1983 bis 1985) war 2003 von Claassen zum Leiter des EnBW-Bereichs "Wirtschaft, Politik und Gesellschaft" gemacht worden (030514), um als Cheflobbyist der Kernenergie ein grünes Mäntelchen umzuhängen und solche Spektakel wie den "Deutschen Klimakongreß" (071014) zu erfinden. Mit dem Abgang Claassens sank auch Hogrefes Stern bei der EnBW, was wohl Ende 2008 der Grund für sein Ausscheiden war. Ferner durfte sich Hans Karl Mucha, der wie Hogrefe unter Claassen zur EnBW gekommen war, über rund 10.000 Euro pro Monat freuen. Weitere 25.000 Euro erhielt der langjährige Claassen-Freund Klaus Menge, dessen Kanzlei nunmehr Claassen im Streit mit Solar Millennium vertrat. Nicht zu verachten waren auch die rund 10.000 Euro im Monat für den ehemaligen Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung", Peter Christ. Dieser hatte Ende 2006 das Blatt verlassen und war als PR-Berater der EnBW auf die andere Seite des Schreibtischs gewechselt, ehe er den Beratervertrag mit Solar Millenium bekam. Wie Christ dem "Handelsblatt" sagte, hielt er sein Honorar für "eine ganz normale Vergütung", und auf den "hervorragenden Manager" Claassen ließ er noch immer nichts kommen... (100716)
Auf der anderen Seite lichteten sich nun bei der EnBW ein bißchen die Reihen der Kamarilla, die ihre Posten Claassen verdankte. Dazu gehörten etwa der "Generalbevollmächtigte Konzernentwicklung und Zukunftsmärkte", Hermann Schierwater, und der Vertriebsvorstand Detlef Schmidt, dessen Vertrag nicht mehr verlängert wurde (070708). Den ehemaligen Hannoveraner Kommunalpolitiker Schierwater (SPD) hatte Claassen als Pressesprecher und Kommunikationsleiter nach Karlsruhe geholt (030117), bevor der frühere CDU-Landtagsabgeordnete Dirk Ommeln diese Funktionen übernehmen durfte (061223). Schierwater starb übrigens bald nach seinem Abgang bei der EnBW.
Nach dem Abtritt Claassens sorgte sein Nachfolger Hans-Peter Villis zunächst mal wieder für zivilisiertere Umgangsformen. So stoppte er eine bereits beschlossene Strafaktion gegen die Stadtwerke Tübingen, die sich erkühnt hatten, der EnBW ein paar Gemeinden abspenstig zu machen (080111). Dann ging er daran, das größte Problem der EnBW zu lösen, das der Nachholbedarf gegenüber den drei anderen Konzernen war. Die EnBW sollte nicht länger die Anmutung eines südwestdeutschen Regionalversorgers mit Dependancen in Düsseldorf und Sachsen haben.
Da traf es sich gut, daß den in Niedersachsen beheimateten Energieversorger EWE ähnliche Probleme plagten. Die EWE war zur selben Zeit, als Badenwerk und EVS fusionierten, aus der Zusammenlegung von zwei norddeutschen Regionalversorgern entstanden (971203). Sie war traditionell sowohl im Strom- als auch im Gasbereich verankert und verfügte sogar über eine kleine Erdgas-Förderung. Nicht zuletzt besaß sie seit 2004 eine Beteiligung von 48 Prozent am ostdeutschen Gasverteiler VNG. Eine Konsortialvereinbarung mit weiteren kommunalen VNG-Aktionären sicherte ihr sogar die Führung dieses Unternehmens, so daß die VNG seitdem in der EWE-Bilanz auftauchte (031208). Allerdings hatten diese und andere Aktienkäufe die Finanzkraft des Unternehmens ziemlich strapaziert (040914). Obendrein ging der Versuch des EWE-Chefs Werner Brinker, die Machtposition bei VNG weiter auszubauen, gründlich in die Binsen: Bei der Aufsichtsratssitzung am 15. Mai 2007 putschten die Mitaktionäre Wintershall und Gazprom im Bündnis mit dem Management erfolgreich gegen Brinker und konnten dessen Abwahl durchsetzen, da die EWE von ihrem Konsortialpartner im Stich gelassen wurde (070504). Die EWE mußte fortan darauf verzichten, die VNG in ihrer Bilanz zu konsolidieren, und wies diese nur noch als Beteiligung aus (070808). Sie dachte aber keineswegs daran, den Kampf um die Führung des ostdeutschen Gasversorgers bereits verloren zu geben, und machte sich auf die Suche nach einem strategischen Partner, der ihr dabei behilflich sein würde (080203).
In dieser Situation fanden EnBW und EWE zusammen. Im Juli 2008 erteilten die kommunalen Aktionäre der EWE ihre Zustimmung zum Erwerb einer strategischen Beteiligung von 26 Prozent durch die EnBW (080701). Es dauerte allerdings noch ein Jahr, ehe das Bundeskartellamt den Zusammenschluß genehmigte. Im Strombereich hatte die Behörde keine wesentlichen Bedenken. Bei der Gasversorgung witterte sie aber eine Verstärkung marktbeherrschender Stellungen. Sie machte deshalb zur Auflage, daß entweder die EWE ihre Beteiligung an VNG abgibt oder die EnBW ihre sächsische Beteiligungstochter Geso verkauft (090705). Die Fusionskandidaten entschieden sich für die zweite Lösung und vollzogen nun endlich ihre vor über einem Jahr beschlossene Verflechtung (090901). Die Geso wurde im März 2010 an die Stadt Dresden verkauft (100310).
Die Genehmigung des Bundeskartellamts bedeutete zugleich grünes Licht für den beabsichtigten Verkauf des VNG-Aktienpakets, das bisher die EWE hielt, an die EnBW. Der Hintergedanke bei dieser Übertragung war wohl, daß es der EnBW eher gelingen könne, von den anderen Aktionären und dem Management der VNG als neuer Haupt- oder sogar Mehrheitsaktionär akzeptiert zu werden. Diese Erwartung war insoweit keineswegs unrealistisch, als die Gaz de France (GDF) zu den Aktionären der VNG gehörte. Die GDF war traditionell die Energie-Schwester der EDF unter dem gemeinsamen Dach des französischen Staates, der nicht nur die Führungsmannschaft der beiden Energiekonzerne bestimmte, sondern auch deren Unternehmensstrategie vorgab. Da die EDF die EnBW als deutsche Tochter betrachtete, durfte man erwarten, daß die französische Regierung "par ordre du ministre" für das richtige Aktionärsverhalten der GDF sorgen würde. Im Bündnis mit den 5,26 Prozent der Franzosen hätte die EnBW mit den 47,9 Prozent der EWE über 53,16 Prozent der Stimmen und damit über eine klare Mehrheit in der Hauptversammlung verfügt. Der nächste Schritt wäre vielleicht der Verkauf des GDF-Anteils an die EnBW gewesen. Auf diese Weise hätte die EnBW ihre vom Großaktionär EDF beklagte Provinzialität endgültig sprengen und zur drittstärksten Kraft auf dem deutschen Energiemarkt hinter E.ON und RWE werden können.
Eine plausiblere Erklärung, weshalb die EnBW die von EWE gehaltenen VNG-Aktien übernehmen wollte, gibt es bisher nicht. Falls man sich das in Karlsruhe tatsächlich so vorgestellt haben sollte, müßte es auch entsprechende Signale seitens des Großaktionärs EDF gegeben haben, die zu diesem Schritt ermunterten. Diese Signale wären dann aber falsch gewesen, denn die EnBW konnte weder die GDF für sich gewinnen noch irgendwelche ostdeutschen Kommunen zum Ausscheren bewegen (091102). Stattdessen formierten die übrigen Eigentümer der VNG ihre Abwehrfront neu. Die BASF-Tochter Wintershall und die russische Gazprom unterstrichen, wer in Leipzig das Sagen hatte, indem sie den Wintershall-Manager Heuchert zum neuen Vorstandsvorsitzenden machten (090901).
Einer der Fehler im Kalkül lag darin, daß die GDF seit Juli 2008 kein achtzigprozentiger Staatskonzern mehr war, sondern auf Betreiben der französischen Regierung mit dem Suez-Konzern fusioniert hatte. Der französische Staat blieb zwar auch bei dem neuen Unternehmen GDF Suez mit 35,6 Prozent der größte Einzelaktionär, hatte aber nicht mehr das unumschränkte Sagen (080618). Möglicherweise verfolgte er mit der EDF und ihrer deutschen "filiale" auch schon ganz andere Absichten. Immerhin gab es ein Jahr zuvor das Gerücht, die EDF wolle bei EnBW aussteigen und sich dafür bei RWE einkaufen (070503). Zusätzlich spielte vielleicht eine Rolle, daß die GDF sich ebenfalls als strategischer Partner der EWE beworben hatte und der EnBW unterlegen war (080203).
Und natürlich kam es ganz entscheidend darauf an, wer der neuen GDF Suez oder ihrem staatlichen Hauptaktionär das bessere Angebot machen würde. Zuerst hieß es, daß Wintershall ein attraktives Angebot für die 5,26 Prozent der Franzosen an VNG plane. Dann trat aber die Gazprom aus den Kulissen: Im Rahmen von russisch-französischen Regierungsgesprächen, die am 27. November 2009 in Paris stattfanden, vereinbarten Gazprom und GDF Suez, daß die Franzosen mit neun Prozent an der Gaspipeline durch die Ostsee beteiligt werden, während die Russen deren VNG-Aktien erhalten und damit ihre bereits vorhandene Beteiligung an dem ostdeutschen Gasversorger auf 10,5 Prozent aufstocken können. Eine weitere Vereinbarung dieses Gipfels war, daß die EDF mit zehn Prozent beim russischen Pipeline-Projekt "South Stream" durch das Schwarze Meer einsteigt (091102).
Damit waren die Karten in völlig anderer Weise neu gemischt worden, als man sich das in Karlsruhe und auch bei der EWE in Oldenburg vorgestellt hatte. Im Vorstand der EnBW scheint es deshalb zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Konzernchef Villis und dem Finanzvorstand Rudolf Schulten gekommen zu sein, der erst seit knapp einem Jahr amtierte (080715). Dem Vernehmen nach soll Schulten Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe auf die zwei Milliarden teure Beteiligung an der EWE gefordert haben. Stattdessen wurde er selber abgeschrieben: "Aus Gesundheitsgründen" trat er Ende 2009 von seinem Posten zurück. Das Ganze wurde zunächst als "Auszeit" dargestellt, bis er wieder genesen sei (091216). Ein Vierteljahr später verließ Schulten die EnBW aber endgültig (100316).
Unter den neuen Umständen hätte die EnBW allenfalls die Chance gehabt, als Minderheitsaktionär der VNG akzeptiert zu werden, der sich die Zustimmung der anderen Aktionäre womöglich sogar noch mit Zugeständnissen erkaufen muß. Eine Übertragung der EWE-Aktien war damit völlig sinnlos geworden. Zum Glück hatte man keinen bindenden Kaufvertrag geschlossen, sondern lediglich eine Option vereinbart.
Die deutsch-französische Ehe zwischen OEW und EDF litt natürlich auch ganz erheblich unter dieser Geschichte. Die Beziehung war nun so zerrüttet, daß nach dem Auslaufen des Konsortialvertrags Ende 2011 eigentlich die Scheidung anstand.
Es ging aber noch schneller, weil am 27. März 2011 in Baden-Württemberg Landtagswahlen anstehen. Die traditionell regierende CDU hatte erst vor kurzem ihren Ministerpräsidenten Günther Oettinger abserviert und als Energiekommissar nach Brüssel geschickt, weil sie ihm nicht zutraute, die Landtagswahlen zu gewinnen (091113). Sein Nachfolger Stefan Mappus war aber auch nicht sonderlich populär, zumal sich kurz vor der Wahl die Bürger des Landes massenhaft über den milliardenteuren Umbau und Teilabriß des Stuttgarter Hauptbahnhofs empörten und die Grünen beängstigende Zustimmungswerte erzielten. Es wurde sogar vorstellbar, daß die CDU zum ersten Mal seit fast sechzig Jahren nicht mehr den Ministerpräsidenten stellen würde.
In dieser Situation verfielen Mappus und seine CDU auf die Idee, die Wähler mit einem großartigen Coup zu beeindrucken: Am 6. Dezember 2010 teilten die Landesregierung in Stuttgart und die EDF in Paris gleichzeitig mit, daß sie übereingekommen seien, den EDF-Anteil an den EnBW für 4,67 Milliarden Euro dem Land Baden-Württemberg zu verkaufen. Mappus verzuckerte die Nachricht mit der Behauptung, daß der Erwerb die Bürger keinen Cent kosten werde, weil man ihn mit einer Landesanleihe finanzieren werde, deren Zinskosten aus den Erträgen der EnBW bestritten werden könnten (101201).
Die OEW sicherten zu, daß sie ihre Beteiligung behalten würden. Den restlichen Aktionären wollte die Landesregierung ein Abfindungsangebot unterbreiten. Da es sich bei ihnen größtenteils um kommunale Aktionäre handelt, wird die EnBW künftig in jedem Falle zu fast hundert Prozent der öffentlichen Hand und mehrheitlich dem Land gehören, das seine Anteile vor zwölf Jahren privatisiert hatte, statt die damals mögliche Bildung eines südwestdeutschen Energiekonzerns der öffentlichen Hand zu unterstützen.
Allerdings soll die EnBW nur vorübergehend dem Land gehören. Im zweiten Akt des Stücks "Mappus stärkt den Standort Baden-Württemberg" ist vorgesehen, die zurückgekaufte Tochter wieder zu privatisieren und zumindest teilweise an der Börse zu verhökern. "Unser Ziel ist, daß EnBW nach Daimler, HeidelbergCement und SAP der vierte Dax-Konzern in Baden-Württemberg wird", beschwichtigte Mappus den auf Privatisierungen erpichten neoliberalen Flügel seiner Partei.
Ob das Stück hinreichend Applaus beim Publikum findet, muß abgewartet werden. Schon kurz nach Öffnen des Vorhangs gab es Pfiffe und Buhrufe: Zum einen kritisierten die Oppositionsparteien - und das völlig zu Recht – daß der Landtag übergangen wurde, indem man das Parlament mit dem Kaufvertrag zwischen Land und EDF vor vollendete Tatsachen stellte. Zum anderen ist es keineswegs sicher, ob die Dividenden der EnBW ausreichen werden, um die riesige Kaufsumme an die EDF zu schultern. Zum genannten Kaufpreis von 4,67 Milliarden Euro kommen nämlich noch die Transaktionskosten. Am Ende waren es knapp sechs Milliarden Euro, die der Landtag mit den Stimmen der Regierungsparteien am 15. Dezember 2010 als Haftungssumme bewilligte, während die Opposition protestierend den Saal verlassen hatte. Zu den Mehrkosten gehört nicht zuletzt das Honorar für die Investmentbank Morgan Stanley, die im Auftrag der Landesregierung das Geschäft mit der EDF abwickeln darf. Und der Deutschland-Chef dieser Investmentbank ist zufällig ein Parteifreund und enger Vertrauter des Ministerpräsidenten Mappus...