November 2023

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK



 

Bis 1997 gab es in Deutschland neun Übertragungsnetzbetreiber und neun Regelzonen. In den folgenden fünf Jahren verringerte sich diese Zahl auf vier. Bis 2010 bekamen drei davon neue Namen.
 
Heute haben die Gebiete der vier verbliebenen Übertragungsnetzbetreiber denselben Zuschnitt wie schon vor über zwanzig Jahren. Sie haben aber zum Teil erneut den Namen gewechselt: Aus Transpower wurde TenneT und aus der EnBW Transportnetze AG die TransnetBW. Neu hinzugekommen sind die Offshore-Gebiete vor der Küste.

TransnetBW gehört weiterhin der öffentlichen Hand

Und das ist auch gut so, weil kritische Infrastruktur nicht privaten Profitinteressen ausgeliefert werden darf

(zu 231108)

Vor über zehn Jahren entschied sich die Energie Baden-Württemberg (EnBW) als einziger der vier großen deutschen Energiekonzerne nicht für das Modell der eigentumsrechtlichen Entflechtung, sondern für die Option des "Unabhängigen Transportnetzbetreibers", die auf nachdrückliches Verlangen Frankreichs von der EU-Kommission zugestanden werden musste (090401). Bei dieser Option wurde den Stromkonzernen ihre herkömmliche integrierte Struktur aus Netz, Erzeugung und Versorgung grundsätzlich belassen. Zu den eher geringfügigen Abstrichen gehörte, dass der Name der Netztochter nicht mehr auf den Mutterkonzern verweisen durfte. Die ab März 2012 erfolgte Umbenennung der EnBW Transportnetze AG in TransnetBW GmbH signalisierte deshalb keinen bevorstehenden Verkauf wie bei E.ON, RWE und Vattenfall, als diese ihre Transportnetzbetreiber in "Transpower", "Amprion" und "50Hertz" umbenannten, sondern den Antrag auf Zertifizierung als "Unabhängiger Transportnetzbetreiber" (UTB) durch die Bundesnetzagentur.

Vor kurzem sah es so aus, als wolle die EnBW den damit erlangten Sonderstatus ihres Übertragungsnetzbetreibers in der deutschen Stromlandschaft leichtfertig aufs Spiel setzen, indem sie nach privaten Investoren Ausschau hielt, die ihr für knapp die Hälfte aller Anteile möglichst viel Geld bieten würden (220212). Es zeigte sich indessen bald, dass nicht so heiß gegessen werden sollte wie gekocht wurde. Zwar war dann durchaus von Blackrock, Allianz, Copenhagen Infrastructure Partners und vielleicht noch anderen derartigen Investoren die Rede, aber es schien dabei doch eher um Benchmarking zu gehen, um Anhaltspunkte für einen diskutablen Preis zum Verkauf an zwei Anleger der öffentlichen Hand zu gewinnen: Der eine dieser Anleger war die Bundesregierung in Gestalt der KfW-Bank, der andere die Sparkassen aus dem Umkreis der kommunalen EnBW-Aktionäre (220212, 230513).

Inzwischen ist der Verkauf an beide vereinbart und es steht somit fest, dass TransnetBW weiterhin in öffentlicher Hand bleibt, obwohl die EnBW – die ihrerseits fast hundertprozentig dem Land und baden-württembergischen Kommunen gehört – nur noch knapp über die Mehrheit verfügt (231108). Und das ist auch gut so, weil in dieser Hinsicht schon viel falsch gemacht wurde. Vor allem die Bundesregierung hat mindestens schon zwei Milliarden Euro Lehrgeld für überaus schmerzlichen Anschaungsunterricht zahlen müssen, welcher Sorte von Investoren man aus dem staatlich regulierten Bereich der Stromwirtschaft tunlichst heraushalten sollte (siehe weiter unten).

Die Tücken des "natürlichen Monopols" Stromnetze wurden von den neoliberalen Zauberlehrlingen gewaltig unterschätzt

Aber das ist gar nicht so einfach. Die von der EU-Kommission betriebene eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungsnetzbetreiber war eine logische Konsequenz ihrer Bemühungen, die bisher staatlich geprägten Strukturen der europäischen Stromwirtschaft so weit wie möglich zu liberalisieren und zu deregulieren. Einfacher gesagt: Es ging darum, auch diesen Bereich der Wirtschaft so weit wie nur möglich für private Profitinteressen zu öffnen. Ein unüberwindbares Hindernis blieb dabei jedoch das "natürliche Monopol" des Netzbetriebs, das auch die EU-Kommission nicht abschaffen konnte und das sogar umso mehr der staatlichen Regulierung bedurfte, je stärker die Bereiche Stromerzeugung und Stromvertrieb für den Wettbewerb geöffnet wurden. Das volle Ausmaß dieser Dialektik wurde den neoliberalen Zauberlehrlingen, die damals mit großer Hartnäckigkeit die Deregulierung des europäischen Strommarktes betrieben, allerdings erst relativ spät klar.

Die von der EU-Kommission forcierte eigentumsrechtliche Entflechtung des Netzbetriebs von den Bereichen Erzeugung und Vertrieb war insofern die vernünftige Konsequenz aus einer eher unvernünftigen, weil stark ideologisch geprägten Deregulierung der Stromwirtschaft. Ihr größter Widersacher war und blieb Frankreich, das seine staatlich monopolisierte Stromwirtschaft offensiv als "service public" verteidigte (010613, 030707). Auch die vier deutschen Stromkonzerne lehnten die eigentumsrechtliche Entflechtung lange Zeit entschieden ab und konnten sich dabei der Unterstützung durch die Bundesregierung sicher sein.

Am Ende der Auseinandersetzung gab es gleich drei Entflechtungs-Optionen

Ein erstes Zugeständnis war das Konzept des "Independent System Operator" (ISO), das die Kommission gegen den Widerstand des EU-Parlaments als Kompromiss vorschlug (080603) und wenig später durch das noch weitergehende Modell des "Indipendent Transmission Operator" (ITO) ergänzte (090303). In den beiden neuen EU-Richtlinien für die Binnenmärkte bei Strom und Gas, die 2009 in Kraft traten, gab es deshalb am Ende insgesamt drei Entflechtungs-Optionen (090401). Als Alternative zur eigentumsrechtlichen Entflechtung war dabei aber nur noch der "Independent Transmission Operator" (ITO) von Bedeutung. Auf deutsch war das der "Unabhängige Transportnetzbetreiber" (UTB), für den sich nach der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht die EnBW entschied, indem sie bei der Bundesnetzagentur einen entsprechenden Antrag stellte.

Man hätte nun eigentlich erwarten dürfen, dass sich auch die drei anderen Energiekonzerne für das UTB-Modell entscheiden würden, nachdem sie so lange gegen die eigentumsrechtliche Entflechtung Sturm gelaufen waren. Seltsamerweise war das aber nicht der Fall. Den ersten Kurswechsel vollzog der E.ON-Konzern, als er im Februar 2008 der EU-Kommission die Bereitschaft zum Verkauf seines Übertragungsnetzes signalisierte (080201). Den damaligen Bundeswirtschafsminister Michael Glos (CSU) hat das so erbost, dass er vor dem Plenum des Bundestags von einem "faulen Deal" zwischen E.ON und Brüssel sprach (080305). In der Tat hatte sich der E.ON-Konzern einige krumme Dinger geleistet und damit der EU-Kommission die Gelegenheit geboten, ihn unter Druck zu setzen (070710, 080106). Die Daumenschrauben wurden aber nur gezeigt. Zum befürchteten Anlegen kam es nicht, weil E.ON seinen Übertragungsnetzbetreiber "Transpower" für 1,1 Milliarden Euro dem niederländischen Netzbetreiber TenneT verkaufte (091101).

Konzerne verscherbelten ihre Netze, weil Kraftwerke, Stromhandel und Vertrieb weit mehr Profit verhießen

Es war aber nicht nur die begründete Angst vor Sanktionen, die E.ON zu diesem Umschwenken veranlasste. Vielmehr scheint sich damals in den Vorstandsetagen der Energiekonzerne allgemein die Einschätzung verbreitet zu haben, dass das Netzgeschäft stark an Attraktivität eingebüßt habe und noch weiter verlieren werde, nachdem es trotz aller Anstrengungen der Lobby nicht gelungen war, die Errichtung einer Regulierungsbehörde für den Strom- und Gasmarkt zu verhindern (030301). Die neugeschaffene Bundesnetzagentur, die 2005 im Energiewirtschaftsgesetz verankert wurde (050701), zeigte nämlich zunehmend Biss, indem sie Netzbetreibern eigenmächtige Netzentgelt-Erhöhungen untersagte (060509) oder zu den für ihre Arbeit erforderlichen Auskünften verpflichtete (070613). Dem Vattenfall-Konzern wurden die beantragten Netzentgelte sogar um 18 Prozent gekürzt (060601), und der E.ON-Konzern bekam eine dicke Rüge für den europaweiten Stromausfall, den er am 4. November 2006 verursachte (070205).

Kurzum: Für den auf "shareholder value" getrimmten neoliberalen Zeitgeist war das Netzgeschäft ziemlich unattraktiv geworden. Dieselben Konzerne, die jahrelang gegen die eigentumsrechtliche Entflechtung Sturm liefen, überließen deshalb ihre Transportnetzbetreiber nun mehr oder weniger freiwillig solchen Anlegern, die mit einer zwar verläßlichen, aber vergleichsweise bescheidenen Rendite vorlieb nahmen. Den so erzielten Verkaufserlös investierten sie dann in neue Kraftwerke, Stromhandel und Stromvertriebe, die weit größeren Profit verhießen.

E.ON, Vattenfall und RWE verkauften ihre Übertragungsnetze zum Schnäppchenpreis von 2,6 Milliarden Euro

Im März 2010 – ein halbes Jahre nach dem Verkauf des E.ON-Transportnetzes an TenneT – trennte sich auch der Vattenfall-Konzern für 810 Millionen Euro von seinem ostdeutschen Übertragungsnetz, das in "50Hertz Transmission" umbenannt wurde. Neuer Mehrheitseigner wurde der belgische Netzbetreiber Elia, während der australische Finanzinvestor IFM die restlichen 40 Prozent übernahm. Im Juli 2011 folgte schließlich auch der RWE-Konzern, der seinen in "Amprion" umbenannten Übertragungsnetzbetreiber für rund 700 Millionen Euro größtenteils einem Finanzkonsortium überließ und lediglich eine Sperrminorität von 25,1 Prozent behielt (110705).

Insgesamt erlösten die drei Konzerne so rund 2,6 Milliarden Euro für den Verkauf ihrer Übertragungsnetzbetreiber. Aus heutiger Sicht war das ein unglaublicher Schnäppchenpreis, für den sich sämtliche Übertragungsnetzbetreiber mühelos hätten verstaatlichen lassen (die EnBW gehörte ja bereits der öffentlichen Hand). Die Gesamtsumme entsprach jedenfalls näherungsweise dem bis heute nicht genau bekannten Betrag, den die Bundesregierung 2018 aufwenden musste, um lediglich eine Minderheitsbeteiligung von 40 Prozent an 50Hertz vor einem vermeintlich drohenden Zugriff der Chinesen zu bewahren.

Bei 50Hertz erpressten Finanzjongleure die Bundesregierung zweimal um einen Milliardenbetrag

Der australische Miteigentümer des ostdeutschen Übertragungsnetzbetreibers war nämlich auf die famose Idee gekommen, die Hälfte seiner Beteiligung dem chinesischen Staatskonzern SGCC zu überlassen. Dieser kaufte sich tatsächlich weltweit bei Netzbetreibern ein und war angeblich bereit, dem australischen Finanzfonds für den 20-Prozent-Anteil an 50Hertz einen horrenden Preis zu zahlen. Der staatliche belgische Netzbetreiber Elia – der kleiner war als seine günstig erworbene deutsche Netztochter 50Hertz – wollte und konnte da nicht mitbieten. Die knappe Milliarde Euro, mit der er sein Vorkaufsrecht schließlich doch ausübte, stammte deshalb ganz oder weitgehend von der Bundesregierung, die den Einstieg der Chinesen unbedingt verhindern wollte (180305).

Aber dadurch kamen die australischen Finanzjongleure erst so richtig auf den Geschmack. Schließlich war der Erlös für die zwanzig Prozent sechsmal so hoch wie der Kaufpreis, den sie vor sechs Jahren für die gesamte Beteiligung gezahlt hatten. Prompt schlossen sie mit den Chinesen einen zweiten Vertrag über den Verkauf der restlichen zwanzig Prozent und teilten dies pflichtgemäß ihrem Konsortialpartner Elia mit, damit dieser erneut Gelegenheit bekam, sein Vorkaufsrecht auszuüben. Der Preis für diese zweite Tranche scheint nun sogar über der Grenze von einer Milliarde gelegen zu haben, wobei allerdings wiederum bezweifelt werden durfte, dass die Chinesen einen derart überhöhten Preis tatsächlich gezahlt hätten, denn auch in China kann und muss man rechnen (180603). Die Masche war aber jedenfalls erfolgreich: "Aus sicherheitspolitischen Erwägungen" und zum "Schutz kritischer Energieinfrastrukturen" machte die Bundesregierung erneut eine schätzungsweise siebenstellige Summe locker. Wie groß die Finanzströme im einzelnen waren, wo sie eventuell versickerten oder an die Bundesregierung zurückflossen, ist für Außenstehende bis heute nicht ersichtlich. Sicher ist nur, dass als Folge dieser Affäre die Staatsbank KfW bis heute eine 20-prozentige Beteiligung an 50Hertz besitzt und die belgische Elia ihren Anteil auf 80 Prozent aufstocken konnte (180709).

Die TenneT erklärte sich außerstande, ihre Verpflichtungen erfüllen zu können

Ärger gab es auch mit der TenneT, die zwar in den Niederlanden der größte Netzbetreiber ist und sich gern als "erster grenzüberschreitender Übertragungsnetzbetreiber in Europa" bezeichnete, aber ihre Verpflichtungen als größter deutscher Transportnetzbetreiber zeitweise nicht vollständig erfüllen konnte oder wollte. Das lag daran, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien und die daraus resultierenden Netzausbauverpflichtungen einen unvorhergesehenen Kapitalbedarf zur Folge hatten. Zunächst erfüllte TenneT vor allem die mit dem festländischen Netzgebiet verbundene Verpflichtung zum Anschluss von Offshore-Windkraftanlagen in der deutschen Nordsee nur sehr schleppend (120205). Im November 2011 verschickte das Unternehmen sogar drei Schreiben an die Bundesregierung, wonach es unter den bisherigen Umständen seinen Verpflichtungen als Netzbetreiber nicht weiter nachkommen könne (111104). Die Bundesnetzagentur nahm dies zum Anlass, um ihm die nach § 4a des Energiewirtschaftsgesetzes erforderliche Zertifizierung zu verweigern, da offenbar die notwendigen finanziellen Mittel zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen fehlen würden (121105).

Ganz ungehört verhallten die Hilferufe von TenneT jedoch nicht. Sie waren mit ein Grund dafür, dass die schwarz-rote Koalition die Offshore-Ausbauziele drastisch absenkte und verschiedene andere gesetzliche Änderungen vornahm. Knapp vier Jahre später bekam TenneT dann die Zertifizierung doch noch und erklärte im Gegenzug seine Brandbriefe an die Bundesregierung für erledigt (150908). Ein weiterer großer Investitionsbedarf ergab sich später für TenneT aus den Netzprojekten "Südlink" (131002,150204, 210808) und "Südostlink" (170302), zumal diese dann auch noch wegen der Widerstände gegen die Trassenführung vorrangig verkabelt werden sollten (151002).

Inzwischen will TenneT die deutsche Tochter ganz der Bundesregierung überlassen

Vor diesem Hintergrund kündigte die niederländische TenneT TSO B.V. am 10. Februar dieses Jahres an, dass sie den Verkauf ihrer deutschen Tochter TenneT TSO GmbH an die Bundesregierung erwäge. "Der Eigenkapitalbedarf von TenneT für dieses Jahrzehnt steigt", hieß es in der Pressemitteilung. Es sei deutlich geworden, dass die niederländische Regierung es vorziehe, die niederländischen Aktivitäten von TenneT zu finanzieren, die derzeit schätzungsweise 10 Milliarden Euro erfordern würden. Sie suche deshalb eine "strukturelle Lösung", um den Eigenkapitalbedarf für die deutschen Aktivitäten von TenneT zu decken, der derzeit auf 15 Milliarden Euro geschätzt werde (230201).

Der TenneT schwante frühzeitig, dass noch größere Belastungen auf sie zukommen würde als die Netzanbindung der Offshore-Windkraftanlagen, mit der sie sich bereits finanziell überfordert fühlte. Parallel zur Forderung nach einer verbindlichen Langfristplanung für Offshore-Projekte verlangte sie deshalb im Februar 2011 die Gründung einer "Deutschen Gleichstrom-Netzgesellschaft". Diese sollte zunächst die HGÜ-Verbindungen zu jenen Offshore-Windparks herstellen, die wegen ihrer weiten Entfernung von der Küste nicht in Drehstromtechnik ausgeführt werden können. Später aber – und als Schwerpunkt ihrer Tätigkeit – sollte sie auch ein völlig neues Transportnetz in HGÜ-Technik planen, finanzieren, bauen und betreiben, das die bestehenden Drehstrom-Transportnetze in Deutschland überlagern und entlasten würde (120205).

Deutschland ist das einzige Land in der EU, das keinen nationalen Übertragungsnetzbetreiber hat

Ob das wirklich eine ideale Lösung gewesen wäre, mag dahingestellt bleiben, wenn man die Kosten der Konverterstationen bedenkt, die allein schon die derzeit geplanten Punkt-zu-Punkt-Verknüpfungen mit dem Drehstromnetz erfordern. Aber das war sicher nicht der Hauptgrund, weshalb TenneT mit diesem Vorschlag sowohl bei der Politik als auch bei den drei anderen Übertragungsnetzbetreibern auf taube Ohren stieß: Bei Amprion, 50Hertz und TransnetBW befürchtete man nicht ganz zu Unrecht, dass TenneT den Hauptnutzen des Projekts haben würde und sie vor allem die Kosten tragen müssten. Vermutlich bangte den Konkurrenten aber auch vor einem bundesweit tätigen Netzbetreiber, der sie selber – vor allem mit etwas staatlicher Nachhilfe - irgendwann schlucken könnte. Denn Deutschland ist das einzige Land in der EU, das keinen nationalen Übertragungsnetzbetreiber hat, sondern sich aus historischen Gründen den Luxus von vier gebietsweise zuständigen Unternehmen leistet (siehe Grafiken).

Schon 2004 plädierte die Monopolkommission für eine Zusammenfassung der vier Regelzonen von E.ON (später TenneT), RWE (später Amprion), Vattenfall (später 50Hertz) und EnBW (später TransnetBW), um den bisher nicht funktionierenden Markt für Regelenergie in Schwung zu bringen (040701). Das wäre mehr oder weniger auf die Zusammenfassung zu einer bundesweiten Netzgesellschaft hinausgelaufen. Die Bundesnetzagentur hatte auf Antrag von Stromhändlern bereits ein Missbrauchsverfahren gegen alle vier eingeleitet, weil sie ihre Netzgebiete nach wie vor separat regelten und dadurch höhere Kosten entstanden als bei einer bundesweit einheitlichen Regelung (080408). Um weitere Vorstöße in dieser Richtung zu verhindern, mussten sich die vier Übertragungsnetzbetreiber deshalb notgedrungen zu einer engeren Zusammenarbeit bereitfinden, die das Problem des "Gegeneinander-Regelns" behob (081005). Die Bundesnetzagentur stellte das eingeleitete Missbrauchsverfahren ein, nachdem sich die vier verpflichtet hatten, bis Ende Mai 2010 einen "Netzregelverbund" zu betreiben, der den Aufwand an Regelenergie stark verringerte (100301).

Die Entscheidung der EnBW für die von Frankreich erkämpfte Entflechtungs-Option hatte auch mit ihrem Großaktionär EDF zu tun

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass die Energie Baden-Württemberg nicht ganz zufällig der einzige der vier deutschen Stromkonzerne war, der unbeirrt die Option des "Unabhängigen Transportnetzbetreibers" weiter verfolgte, während die drei andern ihre Übertragungsnetze verscherbelten: Diese Sonderrolle hatte sicher auch damit zu tun, dass die EnBW ein volles Jahrzehnt lang von der Electricité de France (EDF) dirigiert wurde, die paritätisch mit dem Kommunalverband Oberschwäbische Elektriztätswerke (OEW) die Aktienmehrheit von 69 Prozent besaß (020714) und sich zusätzlich die unternehmerische Führung gesichert hatte, indem sie den kommunalen Aktionären als Gegenleistung 100 Millionen Mark zahlte (010201). In den Geschäftsberichten der EDF tauchte die EnBW fortan als "filiale" auf. Sie wurde quasi als deutsche Tochter der EDF betrachtet. Damit verstand es sich von selbst, dass sie mit ihrem Großaktionär auch im Streit um die Entflechtung konform ging und nach der erfolgreichen Durchsetzung des "Unabhängigen Transportnetzbetreibers" (UTB) sowohl der TransnetBW als auch dem Gasnetzbetreiber Terranets BW dieses von Frankreich erkämpfte Entflechtungsmodell verpasste. "Wir sind überzeugt, dass das Teil unseres Geschäfts ist", versicherte unbeirrt der EnBW-Chef Hans-Peter Villis im März 2008, nachdem sich E.ON auf den "faulen Deal" mit der EU-Kommission eingelassen hatte (080305).

Fast wäre die Zertifizierung als UTB doch noch durchkreuzt worden

Allerdings gab es zuletzt doch noch eine kritische Situation, bevor die Zertifizierung als UTB in trockenen Tüchern war: Die Stuttgarter CDU-Landesregierung ließ sich nämlich 2010 mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen im Frühjahr 2011 einen scheinbar besonders attraktiven Wahlschlager einfallen, indem sie das EDF-Aktienpaket an der EnBW, das bis 1999 größtenteils dem Land gehört hatte, für 4,7 Milliarden Mark zurückkaufte (000101). Das teure Wahlkampfgeschoss erwies sich freilich schnell als Rohrkrepierer (110107, 110208, 111002). Zusammen mit der nachfolgenden Katastrophe von Fukushima bewirkte es eine geradezu vernichtende Wahlniederlage der bis dahin ununterbrochen regierenden CDU mit dem Kernkraft-Fan Mappus als Ministerpräsident an der Spitze, von der sich die Partei bis heute nicht erholt hat. Zu den kleineren Kollateralschäden gehörte aber auch, dass die neue grün-rote Landesregierung die Orientierung der EnBW auf den zwar bereits beschlossenen, aber noch nicht vollständig umgesetzten "Unabhängigen Transportnetzbetreiber" gefährdete. Dem neuen Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) kam nämlich die Idee, das Transportnetz der EnBW zu verkaufen, um den Erlös in erneuerbare Energien zu investieren. Da nun anstelle der EDF die Landesregierung bei der EnBW das Sagen hatte, war das mehr als ein unverbindlicher Vorschlag (110705).

"Das Management der gesamten Wertschöpfungskette ist ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das werden wir nicht grundlos aufgeben", erklärte daraufhin ein EnBW-Sprecher. Der Konzernchef Villis äußerte seine Ablehnung nicht ganz so kategorisch, machte aber zur Bedingung, daß die EnBW die Mehrheit am Transportnetz behalten müsse (was sich in der Praxis freilich nur mit dem Modell des "Unabhängigen Transportnetzbetreibers" erreichen ließ). Vermutlich war diese Unbotmäßigkeit einer der Gründe, weshalb dann sein Vertrag unter der neuen Landesregierung nicht verlängert wurde, obwohl Villis dazu durchaus bereit gewesen wäre (120315).

Bevor Villis den Vorstandsvorsitz der EnBW am 1. Oktober 2012 seinem Nachfolger Frank Mastiaux übergab, stellte er aber schon mal die Weichen in die richtige Richtung: "Die EnBW hat sich für das Modell des sogenannten 'Unabhängigen Transportnetzbetreibers' entschieden, das den Verbleib der TransnetBW im EnBW-Konzern ermöglicht", hieß es in der Pressemitteilung vom 2. März 2012, mit der die Umbenennung der bisherigen EnBW Transportnetze AG ab diesem Tag bekanntgegeben wurde. Am 15. April 2013 kam dann die Mitteilung, dass die Bundesnetzagentur dem Antrag auf Zertifizierung als UTB stattgegeben habe.

(Einige Passagen dieses Textes sowie die beiden Grafiken sind der Nr. 230201entnommen worden)