Februar 2023 |
230201 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Bis 1997 gab es in Deutschland neun Übertragungsnetzbetreiber und neun Regelzonen. In den folgenden fünf Jahren verringerte sich diese Zahl auf vier. Bis 2010 bekamen drei davon neue Namen. |
Heute haben die Gebiete der vier verbliebenen Übertragungsnetzbetreiber denselben Zuschnitt wie schon vor über zwanzig Jahren. Sie haben aber zum Teil erneut den Namen gewechselt: Aus Transpower wurde TenneT und aus der EnBW Transportnetze AG die TransnetBW. Neu hinzugekommen sind die Offshore-Gebiete vor der Küste. |
Bei zwei der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber bahnen sich derzeit Veränderungen an, die den staatlichen Einfluss auf die Transportnetze auch von der Eigentümerseite her erheblich verstärken werden. Am 10. Februar kündigte der niederländische Netzbetreiber TenneT TSO B.V.an, dass er den Verkauf seiner deutschen Tochter TenneT TSO GmbH an die Bundesregierung erwäge. Zuvor hatte schon die Energie Baden-Württemberg (EnBW) wissen lassen, dass sie zwei Minderheitsbeteiligungen an ihrem Transportnetzbetreiber TransnetBW an bzw. über die bundeseigene KfW-Bank zu veräußern gedenke. Am ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz ist die Bundesregierung schon seit 2018 mit zwanzig Prozent beteiligt (siehe weiter unten).
"Der Eigenkapitalbedarf von TenneT für dieses Jahrzehnt steigt", heißt es in der Pressemitteilung vom 10. Februar. Es sei deutlich geworden, dass die niederländische Regierung es vorziehe, die niederländischen Aktivitäten von TenneT zu finanzieren, die derzeit schätzungsweise 10 Milliarden Euro erfordern würden. Sie suche deshalb eine "strukturelle Lösung", um den Eigenkapitalbedarf für die deutschen Aktivitäten von TenneT zu decken, der derzeit auf 15 Milliarden Euro geschätzt werde.
Sowohl die niederländische als auch die deutsche Regierung würden es vorziehen, ihre jeweiligen nationalen Stromnetze zu finanzieren, kontrollieren und besitzen, heißt es weiter. Aufgrund ihrer klimapolitischen Ziele und geopolitischer Entwicklungen würden sich beide Regierungen stark auf die Entwicklung der Infrastruktur für die Energiewende in ihren Ländern konzentrieren. Vor diesem Hintergrund und nach Prüfung möglicher Optionen beabsichtige TenneT, Gespräche mit der deutschen Regierung aufzunehmen, um die Möglichkeit eines vollständigen Verkaufs der deutschen Aktivitäten von TenneT zu akzeptablen Bedingungen auszuloten. Eine solche Transaktion könne "die Schaffung von zwei starken nationalen Akteuren ermöglichen, die beim Vorantreiben der Energiewende weiterhin zusammenarbeiten würden". Tennet sei sich dabei bewusst, dass die niederländische Regierung – die der einzige Anteilseigner des Netzbetreibers ist – noch keine endgültige Entscheidung getroffen habe und werde die nächsten Schritte in enger Zusammenarbeit mit der Regierung unternehmen.
Die deutsche Tochter des "ersten grenzüberschreitenden Übertragungsnetzbetreibers für Strom in Europa", wie TenneT sich zu bezeichnen pflegt, betreibt seit 2010 das von der Nordsee bis zu den Alpen reichende Transportnetz der einstigen Verbundunternehmen PreussenElektra und Bayernwerk, die zehn Jahre zuvor im neuen E.ON-Konzern aufgegangen waren (000306). Für den Erwerb des kompletten E.ON-Höchstspannungsnetzes mit einer Länge von damals 10.700 Kilometer zahlten die Niederländer rund eine Milliarde Euro (091101). Ausschlaggebend für den Verkauf dürfte die bereits begonnene Regulierung und die sich anbahnende eigentumsrechtliche Entflechtung der Netze gewesen sein. Die Höchstspannungsebene erschien dadurch nicht mehr so profitabel wie früher, zumal gerade hier mit Investitionsauflagen zu rechnen war. Außerdem ermittelte die EU-Kommission gegen E.ON wegen Marktabsprachen und Siegelbruchs. Damit verfügte sie über ein Druckmittel, um den Widerstand des Konzerns gegen eine eigentumsrechtliche Entflechtung zu brechen (080201). Der Verkauf des E.ON-Höchstspannungsnetzes an die Niederländer markierte in dieser Streitfrage eine wichtige Weichenstellung. Er beeinflusste auch das Einlenken der drei anderen Transportnetzbetreiber, die bisher mit Unterstützung der Politik gegen die Brüsseler Entflechtungspläne opponiert hatten. Die Bundesregierung fühlte sich dadurch geradezu düpiert, und der damalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) empörte sich sogar vor dem Plenum des Bundestags über den "faulen Deal", den E.ON mit der EU-Kommission eingegangen sei (080305).
Trotz der durchaus auskömmlichen Netzentgelte wurde der Erwerb von "Transpower", wie E.ON seinen Transportnetzbetreiber zuletzt benannt hatte, für TenneT keine Goldgrube. Das lag daran, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien und die daraus resultierenden Netzausbauverpflichtungen einen unvorhergesehenen Kapitalbedarf zur Folge hatten. Zunächst erfüllte TenneT vor allem die mit dem festländischen Netzgebiet verbundene Verpflichtung zum Anschluss von Offshore-Windkraftanlagen in der deutschen Nordsee nur sehr schleppend (120205). Im November 2011 verschickte das Unternehmen sogar drei Schreiben an die Bundesregierung, wonach es unter den bisherigen Umständen seinen Verpflichtungen als Netzbetreiber nicht weiter nachkommen könne (111104). Die Bundesnetzagentur nahm dies zum Anlass, um ihm die nach § 4a des Energiewirtschaftsgesetzes erforderliche Zertifizierung zu verweigern, da offenbar die notwendigen finanziellen Mittel zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen fehlen würden (121105). Ganz ungehört verhallten die Hilferufe von TenneT jedoch nicht. Sie waren mit ein Grund dafür, dass die schwarz-rote Koalition die Offshore-Ausbauziele drastisch absenkte und verschiedene andere gesetzliche Änderungen vornahm. Knapp vier Jahre später bekam TenneT dann die Zertifizierung doch noch und erklärte im Gegenzug seine Brandbriefe an die Bundesregierung für erledigt (150908).
Ein weiterer großer Investitionsbedarf ergab sich für TenneT aus den Netzprojekten "Südlink" (131002,150204, 210808) und "Südostlink" (170302), zumal diese dann auch noch wegen der Widerstände gegen die Trassenführung vorrangig verkabelt werden sollten (151002). Die insgesamt drei "Stromautobahnen" – Südlink besteht aus zwei weitgehend parallel verlaufenden Leitungen - sollen den im nördlichen Netzgebiet anfallenden Strom per Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) zu den Verbrauchsschwerpunkten im Süden transportieren. Zunächst war TenneT auch an der weiter westlich verlaufenden HGÜ-Trasse "Ultranet" von Emden nach Baden-Württemberg beteiligt, überließ dann aber ihren Teilabschnitt der Amprion und übernahm dafür von dieser den gesamten bayerischen Abschnitt von "Südostlink" (160116).
Bis heute ist keine der vier Stromautobahnen vollendet oder auch nur halbwegs fertiggestellt. Indessen schwante der TenneT schon vor einem Jahrzehnt, dass dies alles noch mehr Geld erfordern würde als die Netzanbindung der Offshore-Windkraftanlagen, mit der sie sich bereits finanziell überfordert fühlte. Parallel zur Forderung nach einer verbindlichen Langfristplanung für Offshore-Projekte verlangte sie deshalb im Februar 2011 die Gründung einer "Deutschen Gleichstrom-Netzgesellschaft". Diese sollte zunächst die HGÜ-Verbindungen zu jenen Offshore-Windparks herstellen, die wegen ihrer weiten Entfernung von der Küste nicht in Drehstromtechnik ausgeführt werden können. Später aber – und als Schwerpunkt ihrer Tätigkeit – sollte sie auch ein völlig neues Transportnetz in HGÜ-Technik planen, finanzieren, bauen und betreiben, das die bestehenden Drehstrom-Transportnetze in Deutschland überlagern und entlasten würde (120205).
Ob das wirklich eine ideale Lösung gewesen wäre, mag dahingestellt bleiben, wenn man die Kosten der Konverterstationen bedenkt, die allein schon die jetzt geplanten Punkt-zu-Punkt-Verknüpfungen mit dem Drehstromnetz erfordern. Aber das war sicher nicht der Hauptgrund, weshalb TenneT mit diesem Vorschlag sowohl bei der Politik als auch bei den drei anderen Übertragungsnetzbetreibern auf taube Ohren stieß. Bei Amprion, 50Hertz und TransnetBW befürchtete man nicht ganz zu Unrecht, dass TenneT den Hauptnutzen des Projekts haben würde und sie vor allem die Kosten tragen müssten. Vermutlich bangte den Konkurrenten aber auch vor einem bundesweit tätigen Netzbetreiber, der sie selber – vor allem mit staatlicher Nachhilfe - irgendwann schlucken könnte. Denn Deutschland ist das einzige Land in der EU, das keinen nationalen Übertragungsnetzbetreiber hat, sondern sich aus historischen Gründen den Luxus von vier gebietsweise zuständigen Unternehmen leistet. Schon 2004 plädierte die Monopolkommission für eine Zusammenfassung der vier Regelzonen von E.ON (ab 2010 TenneT), RWE (ab 2009 Amprion), Vattenfall (ab 2010 50Hertz) und EnBW (ab 2012 TransnetBW), um den bisher nicht funktionierenden Markt für Regelenergie in Schwung zu bringen (040701). Das wäre mehr oder weniger auf die Zusammenfassung zu einer bundesweiten Netzgesellschaft hinausgelaufen, denn die Bundesnetzagentur hatte auf Antrag von Stromhändlern bereits ein Mißbrauchsverfahren gegen alle vier eingeleitet, weil sie ihre Netzgebiete nach wie vor separat regelten und dadurch höhere Kosten entstanden als bei einer bundesweit einheitlichen Regelung (080408). Um weitere Vorstöße in dieser Richtung zu verhindern, mussten sich die vier Übertragungsnetzbetreiber deshalb notgedrungen zu einer engeren Zusammenarbeit bereitfinden, die das Problem des "Gegeneinander-Regelns" behob (081005). Die Bundesnetzagentur stellte das eingeleitete Mißbrauchsverfahren ein, nachdem sie sich verpflichtet hatten, bis Ende Mai 2010 einen "Netzregelverbund" zu betreiben, der den Aufwand an Regelenergie stark verringerte (100301).
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hatte schon vor einem Jahr wissen lassen, dass sie einen Minderheitsgesellschafter für ihren Transportnetzbetreiber TransnetBW suche, um ihren "finanziellen Spielraum für zukünftige Investitionen in das weitere Wachstum des gesamten EnBW-Portfolios zu erweitern" (220212). Im Unterschied zu den drei anderen Transportnetzbetreibern blieb die 2012 aus der EnBW Transportnetze AG entstandene TransnetBW als einzige bis heute in den Mutterkonzern eingebunden, weil der Konzern von der zeitweilig bestehenden Option "Unabhängiger Transportnetzbetreiber" Gebrauch machte, um der eigentumsrechtlichen Entflechtung zu entgehen. Da die EnBW sich praktisch zu hundert Prozent im Eigentum von Land und Kommunen befindet, hörte sich die beabsichtigte Abgabe von knapp der Hälfte der Anteile an TransnetBW zunächst wie eine Teilprivatisierung an. Am 19. August 2022 stellte der Konzern jedoch in einer weiteren Mitteilung klar, dass er zwei separate Minderheitsanteile zu je 24,95 Prozent über eine noch zu gründende Zwischengesellschaft anbieten will. Dabei hat die bundeseigene KfW-Bank das Vorkaufsrecht für einen der beiden Anteile, wird sich aber nicht selber am Bieterverfahren beteiligen.
Soweit die Verlautbarung der EnBW. Als weitere Bieter sind bisher nur die baden-württembergischen Sparkassen aus dem Umfeld der kommunalen EnBW-Aktionäre sowie der Fonds "Copenhagen Infrastructure Partners" im Gespräch. Die eigenartige Konstruktion bezweckt anscheinend die Optimierung des Verkaufserlöses für die EnBW: Sie würde es ermöglichen, beide Beteiligungen der öffentlichen Hand zukommen zu lassen, sofern die KfW oder die Sparkassen denselben oder einen noch höheren Preis als der Infrastrukturfonds zahlen.
Am ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz besitzt die Bundesregierung schon seit 2018 zwanzig Prozent. Diese Beteiligung kam notgedrungen zustande, um den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns SGCC zu verhindern, der weltweit Beteiligungen an Netzbetreibern erworben hat und damit vermutlich nicht nur finanzielle Interessen verfolgt. Mehrheitseigentümer von 50Hertz war mit sechzig Prozent der staatliche belgische Netzbetreiber Elia. Die anderen vierzig Prozent besaß der australische Infrastrukturfonds IFM. Dieser wollte zunächst zwanzig Prozent verkaufen. Vermutlich hat er die Chinesen absichtlich ins Spiel gebracht, um den Verkaufspreis möglichst hoch zu treiben. Der Mehrheitseigentümer Elia besaß nämlich ein Vorkaufsrecht, das er aber nicht ausüben wollte, weil ihm der Preis zu hoch war. Erst auf Drängen und mit finanzieller Unterstützung durch die Bundesregierung war Elia schließlich bereit, die Fünftel-Beteiligung für 976,5 Millionen Euro zu erwerben. Diese Summe war doppelt so hoch wie die 486 Millionen Euro, die Elia im März 2010 für die 60-prozentige Mehrheitsbeteiligung an 50Hertz aufwenden musste. Insgesamt hatte Vattenfall für den Verkauf von 50Hertz damals 810 Millionen Euro bekommen (100307). Demnach hätte sich der Gesamtwert des Unternehmens binnen acht Jahren versechsfacht und wäre auf 4,88 Milliarden Euro gestiegen.
Aber das war nur der erste Akt des bösen Spiels. Denn nun wollten die
Australier auch noch mit den restlichen zwanzig Prozent Kasse machen (180603).
Die geschilderte Erpressung wiederholte sich deshalb. Der Verkaufspreis
für die zweite Tranche wurde nicht genannt, was vermuten lässt, dass er
noch höher war. Außerdem wurde er voll von der Bundesregierung getragen,
die den Zwanzig-Prozent-Anteil sofort nach der Ausübung des Vorkaufsrechts
durch Elia von der KfW übernehmen ließ. Einschließlich der Entlohnung für
die Hilfsdienste von Elia dürfte die Verhinderung des Einstiegs der
Chinesen den deutschen Steuerzahler deutlich mehr als eine Milliarde Euro
gekostet haben (siehe auch Kommentar,
Juni 2018).
zur TenneT TSO GmbH
zu TransnetBW und 50Hertz