Juli 2004

040701

ENERGIE-CHRONIK


Monopolkommission übt scharfe Kritik an Schröders Energiepolitik

In ihrem fünfzehnten Hauptgutachten für den Berichtszeitraum 2002/2003 übt die Monopolkommission scharfe Kritik an der Wirtschaftspolitik - insbesondere auch an der Energiepolitik - der gegenwärtigen Bundesregierung. Das Gutachten, das am 9. Juli veröffentlicht wurde, trägt den programmatischen Titel "Wettbewerbspolitik im Schatten 'Nationaler Champions'". Es wendet sich generell gegen die von Bundeskanzler Schröder und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement betriebene Förderung marktbeherrschender Großunternehmen. Es sei eine falsche Vorstellung, daß die Begünstigung "nationaler Champions" die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft insgesamt stärke. Vielmehr führe dies notwendigerweise zu einer Belastung der Wettbewerbsfähigkeit anderer Unternehmen innerhalb des nationalen Marktes. So sei auch bei der Elektrizitätsversorgung nach wettbewerblichen Anfangserfolgen mittlerweile eine deutliche Verringerung der Wettbewerbsintensität zu beobachten. Die Monopolkommission betrachte die Entwicklung der Marktstrukturen in der Elektrizitätswirtschaft insgesamt "mit großer Sorge".

"Mißbrauchsaufsicht ad absurdum geführt"

Wie es in der Kurzfassung des Gutachtens heißt, "sind weiterhin erhebliche Behinderungen beim Netzzugang in der Elektrizitätswirtschaft festzustellen, die auf das außerordentlich hohe Niveau der Netznutzungsentgelte in Deutschland zurückzuführen sind" (Punkt 240). In diesem Zusammenhang widerspricht die Kommission der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das mehrere Mißbrauchsverfügungen des Bundeskartellamts gegen Netzbetreiber wieder aufgehoben hatte (040309). Auf diese Weise werde die Mißbrauchsaufsicht "geradezu ad absurdum" geführt (Punkt 241).

"Wettbewerbsloses Oligopol auf Großhandelsebene"

Der deutsche Strommarkt werde von E.ON, RWE, Vattenfall Europe und EnBW dominiert, heißt es weiter. Die vier Verbundunternehmen verfügten über achtzig Prozent der inländischen Erzeugungskapazitäten und zahlreiche Beteiligungen an regionalen Weiterverteilern und Stadtwerken. Dadurch fielen auch die Stadtwerke als unabhängige Nachfrager auf dem Großhandelsmarkt weitgehend aus. Auf der Großhandelsebene herrsche ein "wettbewerbsloses Oligopol" (Punkt 242).

"Abgestimmtes Verhalten bei Preiserhöhungen"

Im europäischen Vergleich liege Deutschland mit den Nettostrompreisen mittlerweile wieder an der Spitze. Der Anstieg der Endverbraucherpreise sei - neben zusätzlichen staatlichen Belastungen - vor allem auf die deutlich angestiegenen Großhandelspreise zurückzuführen. Der annähernd gleichzeitig zu beobachtende Anstieg der Strompreise in Verbindung mit der Stillegung von Erzeugungskapazitäten seit dem Jahr 2001 lasse darauf schließen, "daß die Phase kurzfristigen Preiswettbewerbs beendet und einem abgestimmten Verhalten zwischen den Oligopolmitgliedern gewichen ist". Die Verbundunternehmen würden sich darauf beschränken, ihre traditionellen Absatzgebiete zu beliefern, und auf Wettbewerbsvorstöße in das Liefergebiet der jeweils anderen Verbundunternehmen verzichten. Im Ergebnis ihrer Beteiligungspolitik auf regionaler und lokaler Ebene entstünden "Marktstrukturen, die den rechtlich abgeschotteten Gebietsmonopolen vor der Liberalisierung ähneln" (Punkte 244/245).

Für Vorab-Regulierung der Netznutzungsentgelte

Die Kommission spricht sich für eine "Ex ante"-Regulierung der Netznutzungsentgelte aus. Als Vorbild könne hier England dienen, wo die Entgelte seit der Liberalisierung real um die Hälfte gesunken seien. Die Gerichte sollten sich darauf beschränken, die Übereinstimmung der Einzelfallentscheidung mit den Verfahrensgrundsätzen der Regulierungsbehörde zu überprüfen. Mit der materiellen Prüfung der Netznutzungsentgelte seien sie grundsätzlich überfordert (Punkte 250/251).

Für Zusammenfassung der vier Regelzonen

Die Kommission plädiert mit Nachdruck für eine Zusammenfassung der vier Regelzonen von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW, um den bisher nicht funktionierenden Markt für Regelenergie in Schwung zu bringen. Dies würde ein koordiniertes Verhalten der vier Verbundnetzbetreiber und eine stillschweigende Aufteilung des Gesamtmarktes entlang der Regelzonengrenzen erschweren. Außerdem werde dadurch der Gesamtbedarf an Regelenergie gesenkt, da sich positive und negative Bilanzabweichungen innerhalb eines größeren Gebiets ausgleichen können. Bisher entfalle der Großteil der Gebote in einer Regelzone auf Kraftwerksgesellschaften, die mit dem jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber im Konzern verbunden sind. "Wettbewerbliche Vorstöße eines Verbundunternehmens in die Regelzone eines anderen Übertragungsnetzbetreibers finden nicht statt."

In ihrer Funktion als Systembetreiber erhielten die Verbundunternehmen notwendigerweise eine Fülle wettbewerbsrelevanter Informationen, die ihnen erhebliche strategische Vorteile gegenüber Wettbewerbern verschaffe., Die Führung der deutschlandweiten Regelzone sei deshalb einem unabhängigen Systembetreiber zu übertragen. Das Netzeigentum könne bei den bisherigen vier Verbundunternehmen bleiben, so daß sich daraus keine verfassungsrechtlich problematische Eigentumsübertragung ergäbe. (Punkt 254)

"Emissionszertifikatehandel könnte Marktzutritt erschweren"

Der bevorstehende Handel mit Emissionszertifikaten könnte nach Ansicht der Kommission die bereits bestehenden Marktmachteffekte auf Stromgroßhandelsmärkten noch verstärken. So seien die exorbitant steigenden preise für Schwefeldioxid-Zertifikate einer der Gründe für den Anstieg der Großhandelspreise während der kalifornischen Stromkrise gewesen. Die Kommission schlägt deshalb "die Einführung eines flexiblen staatlichen Interventionssystems in Form einer Offen-Markt-Politik für Emissionsrechte vor, bei der unvorhergesehen starke Preissteigerungen auf den Zertifikatsmärkten durch den Verkauf zusätzlicher Zertifikate nivelliert würden". (Punkt 257)

"Geplante EnWG-Novellierung bringt keine substantielle Verbesserung"

In dem vorliegenden Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes vermag die Kommission "keine substantielle Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen für den Elektrizitätssektor zu erkennen". Erwartungsgemäß habe sich das Ministerium gegen eine Vorab-Regulierung der Netznutzungsentgelte entschieden und wolle der zukünftigen Regulierungsbehörde "nur sehr begrenzte Handlungsspielräume" zugestehen. Die vorliegenden ersten Entwürfe für eine Netzentgeltverordnung lägen auf derselben Linie, indem sie an die Preisfindungsprinzpien der Verbändevereinbarung Strom II plus anknüpften und eine umfassende Normierung von Kostenkalkulationsmethoden auf dieser Grundlage erwarten ließen. (Punkt 260)

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)