Februar 2007 |
070205 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der europaweite Stromausfall vom 4. November 2006 (061101) wäre verhindert worden, wenn die Netzleitstelle von E.ON auf die Einhaltung der sogenannten N-1-Regel geachtet hätte, wonach auch beim eventuellen Ausfall eines wichtigen Netzbetriebsmittels (Freileitung, Transformator) die Grenzwerte für einen sicheren Netzbetrieb einzuhalten sind. In der Netzleitstelle von E.ON in Lehrte konnten aber derartige N-1-Berechnungen, die andere Transportnetzbetreiber im Viertelstundentakt automatisch durchführen, bisher nur manuell veranlaßt werden. Es ist deshalb erforderlich, daß künftig eine automatische Überprüfung des N-1-Kriteriums zumindest im Abstand von 15 Minuten bei allen Transportnetzbetreibern erfolgt. Außerdem muß die Koordination zwischen den Transportnetzbetreibern verbessert werden. Hierzu gehören die frühzeitige Bereitstellung von Informationen über zu erwartende Engpässe, ein Abgleich der Schutzeinstellungen von Kuppelleitungen mit angrenzenden Übertragungsnetzbetreibern und ein erweiterter Austausch von Echtzeitdaten. Zu diesem Schluß gelangt die Bundesnetzagentur in ihrem Abschlußbericht, den sie am 27. Februar vorlegte.
Die Bundesnetzagentur stützt ihre Schlußfolgerungen sowohl auf eigene Ermittlungen als auch auf die bereits vorliegenden Berichte der Organisation der europäischen Transportnetzbetreiber (UCTE) und der EU-Regulierungsbehörden (ERGEG). Wesentlich deutlicher als UCTE und ERGEG benennt sie die Schwachstellen, die zu der europaweiten Netzstörung vom 4. November geführt haben. Zum einen habe der E.ON-Netzleitstelle der technische Unterbau zur automatischen Überprüfung des N-1-Kriteriums gefehlt, der dem Personal die Netzführung erleichtert und das Ermessensentscheidungen einschränkt. Zum anderen sei es aber auch "nicht nachvollziehbar, daß seitens der E.ON Netz weder vor, erst recht aber nach Eingang der zahlreichen Warnmeldungen und Anrufe nach Abschaltung der Höchstspannungsleitung Conneforde – Diele keine N-1-Rechnung erfolgt ist". Es sei ferner "nicht erklärlich", wie die E.ON-Netzleitstelle die andersgearteten Schutzwerteinstellungen auf RWE-Seite übersehen konnte, obwohl ihr diese Information vorgelegen habe. "Es bedurfte an dem Abend zweier Anrufe von RWE Transportnetz Strom in der Netzleitstelle von E.ON Netz, bis dem Personal von E.ON Netz klar wurde, daß die Kuppelleitung zwischen Wehrendorf und Landesbergen auszufallen drohte."
Beim Zerfall des UCTE-Netzes in drei Inseln mit unterschiedlicher Netzfrequenz (siehe Karte und Grafik 1) verlief die Trennlinie mitten durch das Netzgebiet von E.ON (siehe Grafik 2), während es in den Regelzonen von RWE, EnBW und Vattenfall zu keinen störungsbedingten Leitungsabschaltungen kam.
Der Bericht enthält ferner eine kritische Anmerkung zur Einspeisung von Windkraftanlagen, die zwar nicht am Zustandekommen des Stromausfalls beteiligt waren, aber die Wiederherstellung der Frequenzstabilität in den drei Netz-Inseln und deren Wiederzusammenführung behinderten. Da Windkraftanlagen bereits bei Unterschreitung einer Frequenz von 49,5 Hertz automatisch vom Netz gehen, verschlimmerten sie in der westlichen Netz-Insel, wo die Frequenz bis auf 49 Hertz absank, den dort herrschenden Erzeugungsmangel. In der nordöstlichen Netz-Insel hatten sich die Windkraftanlagen wegen des unzulässigen Frequenzsprungs bis auf 50,6 Hertz zunächst ebenfalls automatisch abgeschaltet. Sie schalteten sich aber ebenso automatisch wieder ein, als die Netzfrequenz dabei war, sich wieder zu stabilisieren, und behinderten so die Wiederherstellung des Gleichgewichts, da die Kraftwerke der Vattenfall-Regelzone bereits am Erzeugungsminimum betrieben wurden. Der durch die Windkraftanlagen entstandene Erzeugungsüberschuß konnte nur aufgefangen werden, indem die Kraftwerke des Centrel-Regelblocks durch den polnischen Regelblockführer PSE-O heruntergefahren wurden.
Zusammenfassend weist die Bundesnetzagentur darauf hin, daß die Netzführung infolge der Deregulierung der europäischen Strommärkte heute andere Anforderungen stelle als noch vor einigen Jahren. "Bedingt durch dezentrale Erzeugung und vermehrten Handel sind die Netze stärker belastet. Auch die Windeinspeisung, die durch Ungenauigkeiten bei der Prognose geprägt ist, erleichtert die Netzführung nicht."
Der europaweite Stromausfall am 4. November 2006 hätte bei besserer Zusammenarbeit zwischen den Transportnetzbetreibern vermieden werden können. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt ein abschließender Bericht, den der Rat der europäischen Regulierungsbehörden (CEER) in seiner Eigenschaft als beratendes Organ der EU-Kommission (ERGEG) am 6. Februar veröffentlichte. Die Transportnetzbetreiber hätten es versäumt, die Lehren aus dem großen Stromausfall zu ziehen, der am 28. September 2003 ganz Italien lahmlegte (030901) und dessen Ursachen in der Schweiz lagen (040502). Die Regulierungsbehörden begrüßten vor diesem Hintergrund die Pläne der EU-Kommission für europaweit einheitliche und verbindliche Vorgaben zur Erhöhung der Sicherheit des Netzbetriebs.
Der zuständige EU-Kommissar Andris Piebalgs griff diesen Ball auf, indem er am 8. Februar eine Reihe von Maßnahmen ankündigte. Neben grundlegenden gemeinsamen und verbindlichen Netzsicherheitstandards will die Kommission durch verbesserte Koordinierung zwischen den Transportnetzbetreibern einen "wirklichen Echtzeitbetrieb" des europäischen Netzes sicherstellen. Schrittweise sollen auch die regionalen Netzbetreiber in das europäische Regelwerk einbezogen werden. Ferner dringt die Kommission erneut auf eine Mitentscheidungsbefugnis bei Investitionen der Netzbetreiber, wie sie bereits im Entwurf der seit 2006 geltenden Infrastrukturrichtlinie vorgesehen, dann aber vom Ministerrat gestrichen worden war (041209).
Schon am 30. Januar hatte die Vereinigung der europäischen Transportnetzbetreiber ("Union for the Coordination of Transmission of Electricity - UCTE") ihren abschließenden Bericht zum Stromausfall vom 4. November 2006 veröffentlicht. Die Befunde beider Berichte sind weitgehend deckungsgleich.