Oktober 2011 |
111002 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Stuttgarter Regierung verletzte die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, als sie Ende 2010 von der Electricité de France (EDF) deren Anteile an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) kaufte, ohne sich zuvor vom Landtag die dafür erforderlichen sechs Milliarden Euro bewilligen zu lassen (101201). Dies bestätigte am 6. Oktober der Staatsgerichtshof des Landes, vor dem die Landtagsfraktionen der damaligen Oppositionsparteien SPD und Grüne geklagt hatten (110107). Der CDU-Politiker Willi Stächele, der als Finanzminister grünes Licht für die Umgehung des Landtags gegeben hatte, erklärte am 12. Oktober seinen Rücktritt vom Amt des Landtagspräsidenten. Er kam damit einem Mißtrauensvotum zuvor, das SPD und Grüne beantragt hatten. Die Hauptveranwortung trifft freilich den früheren CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus, auf dessen Anweisung Stächele gehandelt hat. Für diesen hat das Urteil des Staatsgerichthofs keine politischen Konsequenzen, da seine Parteikarriere seit der verlorenen Landtagswahl im März dieses Jahres (110306) ohnehin zu Ende ist. Er hat inzwischen sogar sein Landtagsmandat niedergelegt und einen Posten beim Pharmakonzern Merck angetreten.
Mit dem Erwerb der EnBW-Anteile wollte Mappus die Position der regierenden CDU bei den bevorstehenden Landtagswahlen festigen und wirtschaftspolitische Kompetenz beweisen (siehe Hintergrund). Da seine schwarz-gelbe Koalition über die absolute Mehrheit verfügte, wäre die Zustimmung des Landtags zu dem Geschäft nur eine Formsache gewesen. Aus Gründen der Wahlkampf-Dramaturgie scheint er es aber vorgezogen zu haben, den Kauf der EnBW als vollendete Tatsache zu präsentieren. Daß er damit das Parlament überging, versuchte er mit verschiedenen Schutzbehauptungen zu rechtfertigen. Zum einen beschwor er eine angeblich drohende Übernahme der EDF-Anteile durch andere Energiekonzerne, was schnelles Handeln erfordert habe. Diese Behauptung war schon deshalb unglaubwürdig, weil die von CDU-regierten Kommunen getragenen "Oberschwäbischen Elektrizitätswerke" (OEW) über eine paritätische Beteiligung an der EnBW und über ein Vorkaufsrecht für die EDF-Aktien verfügten. Ferner berief sich Mappus auf das Notbewilligungsrecht nach Artikel 81 der Landesverfassung, das es in Fällen höherer Gewalt der Landesregierung erlaubt, Ausgaben ohne vorherige Zustimmung des Parlaments zu tätigen. Dieses Argument war noch fadenscheiniger, da damit das Notbewilligungsrecht, das auf Notlagen wie Naturkatastrophen und Seuchen zugeschnitten ist, offenkundig falsch ausgelegt wurde.
Außerdem behauptete Mappus, die Franzosen hätten darauf bestanden, den rechtskräftigen Abschluß des Kaufvertrags nicht von der Zustimmung des Landtags zu den erforderlichen Kreditgarantien abhängig zu machen. "Die EDF hat einen Parlamentsvorbehalt ausdrücklich abgelehnt", erklärte er am 15. Dezember 2010 im Landtag. "In diesem Punkt blieb sie trotz mehrfacher Vorstöße von unserer Seite unnachgiebig." Das Argument war von Anfang an zweifelhaft, da es für die EDF keinen vernünftigen Grund gab, eine Zustimmung des Landtags zu verhindern, die sowieso als sicher gelten konnte – mindestens so sicher wie die Zustimmung des Bundeskartellamts, die ebenfalls erst noch eingeholt werden mußte und die Mappus nicht einfach aushebeln konnte. Die EDF widersprach dieser Version zwar nicht, hielt sich aber eigenartig bedeckt, als ob es ihr hauptsächlich darum ginge, den in Bedrängnis geratenen Vertragspartner nicht zu desavouieren.
"Wir haben nie verlangt, daß das Parlament nicht eingebunden werden sollte", sagte dagegen jetzt ein ungenannter EDF-Sprecher dem "Handelsblatt" (20.10.). Vielmehr habe Mappus diese Frage aufgeworfen und der EDF eine schriftliche Bestätigung vorgelegt, daß es nicht nötig sei, das Parlament einzubinden. Es sei auch nicht so gewesen, daß die EDF den Verkauf ihrer EnBW-Anteile an andere Konzerne geplant habe: "Wir wollten unsere Anteile behalten. Aber der uns gebotene Preis war einfach zu attraktiv."
Kurz darauf ruderte die EDF allerdings wieder zurück und ließ am 21. Oktober offiziell erklären: "Wir haben unserer Stellungnahme vom 15. Februar nichts hinzuzufügen, nach der die EDF ein bedingungsloses Angebot verlangt hat und für die Transaktion keine Bedingung akzeptiert hätte außer einer kartellrechtlichen Überprüfung."
Möglicherweise wird die Affäre für Mappus und andere Beteiligte noch ein strafrechtliches Nachspiel haben. Der Staatsanwaltschaft Stuttgart liegen bereits mehrere Anzeigen wegen Untreue vor. Unter den Anzeigern befindet sich auch eine Staatsanwältin aus Bayern. Sie wirft dem ehemaligen Ministerpräsidenten und dessen Finanzminister vor, die zwingend notwendige Beteiligung des Parlaments "bewußt umgangen" zu haben. Beide hätten damit ihre "Verfügungsbefugnis in mißbräuchlicher Weise" überschritten und den Tatbestand des Mißbrauchs und des Treuebruchs erfüllt.
Eine dubiose Rolle spielt in der Affäre ferner die Stuttgarter Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, die Mappus mit einem verfassungsrechtlichen Gutachten beisprang, nachdem dieser behauptet hatte, ein solches Gutachten vorab eingeholt zu haben. Das Gutachten war allerdings vom 15. Dezember 2010 datiert, obwohl Mappus den Kauf der EnBW bereits am 6. Dezember verkündete. Mappus versuchte sich damit herauszureden, es habe vorab eine "mündliche Unterrichtung" stattgefunden (110208). Anscheinend verhielt es sich so, daß die Kanzlei dem Finanzminister Stächele tatsächlich eine falsche mündliche Auskunft hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken gab, als Mappus ihn aufforderte, den Kaufvertrag mit der EDF zu unterschreiben.
Obwohl die Landesregierung beim Erwerb der EnBW-Anteile gegen die Verfassung verstieß, kann die Gültigkeit des Kaufvertrags mit der EDF kaum bezweifelt werden. Anderslautende juristische Argumentationen sind Spekulation.