Juli 2015 |
Hintergrund |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Aufspaltung des Areva-Konzerns macht die vor vierzehn Jahren erfolgte Fusion von Cogema und Framatome rückgängig
(zu 150703)
Die Neuorganisation der französischen Nuklearwirtschaft (150703) spaltet die Reaktor-Tochter Areva NP vom Mutterkonzern Areva ab und überträgt ihre Führung der Electricité de France (EDF). Die Zuständigkeit der Areva beschränkt sich künftig auf die Beschaffung und Anreicherung von Uran, die Fertigung von Brennelementen und den Betrieb der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague. Das entspricht dem Geschäftsbereich der früheren Cogema, aus deren Fusion mit dem Reaktorbauer Framatome vor vierzehn Jahren der Areva-Konzern entstanden ist (010916). Vermutlich wird die Areva auch den Bereich der Erneuerbaren noch abgeben müssen, den sie sich in den letzten Jahren zugelegt hat. Die Herstellung von Offshore-Windkraftanlagen hat sie bereits in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der spanischen Gamesa eingebracht, an dem sie nur noch kapitalmäßig beteiligt ist (150314).
Ob die EDF bei der Führung des Reaktorgeschäfts eine glücklichere Hand haben wird, bleibt abzuwarten. Immerhin könnte so der Hahnenkampf der beiden Staatsunternehmen um die Führung des französischen Atomkomplexes beendet werden. Die EDF hat schon seit Jahren darauf gedrungen, der Areva die Zuständigkeit für Auslandsaufträge zu entziehen und sie auf die Dimensionen der Cogema zurückzustutzen. Areva revanchierte sich mit Preisen für die Wiederaufarbeitung in La Hague, die aus Sicht der EDF Wucher waren. Seinen Höhepunkt erreichte der Streit der beiden gallischen Hähne, nachdem Ende 2009 der Auftrag für die Lieferung von vier Reaktoren an die Vereinigten Arabischen Emirate an der Zerstrittenheit des französischen Bieter-Konsortiums gescheitert war. Damals warf die EDF dem Rivalen sogar vor, die Versorgung ihrer Kernkraftwerke mit Brennstoffen und die Entsorgung des Atommülls eingestellt zu haben (100112).
Den letzten Anstoß für das politische Machtwort von Präsident Francois Hollande und der Regierung von Manuel Valls gab der Verlust von knapp fünf Milliarden Euro, den Areva im letzten Jahr verbuchte. Hauptursache für das Riesenloch war das Reaktorgeschäft, das seit Jahren am Boden liegt. Sogar da, wo es zu Aufträgen kam, bescherte es eher Verluste als Gewinne. An dieser Misere änderte auch der frühere Präsident Sarkozy nicht viel, der seine Staatsbesuche regelmäßig mit Reaktor-Verkäufen verband (080910). Wenn es nach Frankreichs oberstem Handlungsreisenden in Sachen Kernenergie gegangen wäre, hätte sogar der lybische Tyrann Gaddafi den Zugang zur Nukleartechnik erhalten (070702). Unterm Strich war das Ergebnis der von Sarkozy gestarteten Reaktor-Offensive (080508) aber doch sehr mager. Der von Areva fabrizierte "Europäische Druckwasser-Reaktor" (EPR) reüssierte unter allen Präsidenten und Regierungen keineswegs so, wie man sich das vorgestellt hatte.
Schon der erste EPR-Auftrag, der Ende 2003 aus Finnland kam und bis 2009 ausgeführt sein sollte (031205), geriet zu einem einzigen Desaster und ist bis heute nicht abgeschlossen (130207, 140906). Die geplante Erneuerung des französischen KKW-Bestandes auf Basis des EPR (040503) kam ebenfalls nicht voran. Dem 2004 gefaßten Baubeschluß für den ersten französischen EPR am Standort Flamanville (041006) folgten so viele Pannen, Verzögerungen und Kostensteigerungen, daß der italienische Energiekonzern Enel Ende 2012 seine Beteiligung an der französischen Atomstromproduktion aufkündigte (130207). Der Reaktor in Flamanville bis heute nicht fertig geworden, obwohl er 2012 in Betrieb gehen sollte, und auch das Jahr 2017 als neuer Termin dürfte inzwischen nicht mehr zu halten sein. Das zweite EPR-Projekt am Standort Penly, das die EDF vor sechs Jahren ankündigte und bis 2017 in Betrieb nehmen wollte (090105), verschwand sogar sang- und klanglos in der Versenkung, bevor es überhaupt in Angriff genommen wurde.
Ansonsten verfügt Areva nur noch über jeweils zwei EPR-Aufträge aus China (071112) und für das britische Atomkraftwerk Hinkley Point (141020). Aber auch hier kündigen sich bereits Probleme an. Nachdem am Reaktordruckgefäß für den EPR in Flamanville Materialfehler festgestellt wurden, hat die Atomaufsichtsbehörde ANS beschlossen, den baugleichen Reaktordeckel für den ersten der beiden Blöcke in Hinkley Point einer Materialprüfung zu unterziehen. Zu diesem Zweck muß der Deckel angebohrt werden und ist nicht mehr verwendbar. Es würde nicht überraschen, wenn es in Hinkley Point zu weiteren Verzögerungen käme.
Als 2001 der Reaktorbauer Framatome ANP und der Kernbrennstoffbeschaffer Cogema zur Areva verschmolzen wurden (010916), rückte die bisherige Cogema-Chefin Anne Lauvergeon an die Spitze des neuen Konzerns. Sie soll sich auch die Namensgebung ausgedacht haben – inspiriert durch die spanische Ortschaft Arévalo, wo ihr ein festungsartiges Kloster imponierte, das im 12. Jahrhundert errichtet wurde. Die fesche "Atomic-Anne" erntete seinerzeit viel Anerkennung, da sie mit der bürokratischen Verschlafenheit und restriktiven Informationspolitik, die für französische Staatsbetriebe typisch ist (041013), aufzuräumen begann und nebenbei noch die Frauenquote in dem Konzern von zehn auf zwanzig Prozent verdoppelte. Inzwischen sieht man ihr Wirken kritischer.
Ein wichtiger Bestandteil des neugeschaffenen Nuklear-Riesen war die Kernenergiesparte des Siemens-Konzerns, die dieser ein halbes Jahr zuvor in die Framatome eingebracht hatte (010215). Noch heute beschäftigt Areva in ehemaligen Siemens-Unternehmen etwa 4.600 Menschen, von denen 3.700 in Erlangen tätig sind. Der Rest entfällt auf die Standorte Offenbach am Main, Karlstein in Unterfranken und Lingen im Emsland. Die geplante Verringerung des Areva-Personalbestands um 6.000 Mitarbeiter – von derzeit 44.000 Beschäftigten weltweit (150703) – betrifft deshalb auch Deutschland. Im April hat Areva die Schließung des Standorts Offenbach angekündigt. Den rund 700 Beschäftigten sollen ersatzweise Arbeitsplätze in Erlangen oder Karlstein angeboten werden.
Siemens trennte sich damals von der Nukleartechnik, weil in Deutschland nicht mehr mit neuen Aufträgen für den Bau von Kernkraftwerken zu rechnen war. Der erste Schritt in dieser Richtung war 1989 die Gründung des deutsch-französischen Gemeinschaftsunternehmens Nuclear Power International (NPI), das den Anfang der neunziger Jahre konzipierten Europäischen Druckwasser-Reaktor (EPR) zur Marktreife führen sollte (951115). Das Bündnis litt freilich darunter, daß Alcatel-Alsthom als neuer Mehrheitsaktionär von Framatome im konventionellen Ausrüstungsbereich mit Siemens konkurrierte (970103). Es wäre deshalb fast zur Zusammenlegung der Siemens-Nuklearsparte mit British Nuclear Fuels gekommen (971002). Am Ende überließ der deutsche Konzern sein Kernenergiegeschäft aber doch komplett der Framatome ANP und bekam dafür eine Minderheitsbeteiligung an dem französischen Reaktorbauer (010215). Als dieser kurz darauf mit der Cogema im neuen Areva-Konzern aufging, wurde daraus ein 34-Prozent-Anteil an der Reaktorsparte Areva NP.
Der Siemens-Konzern hat dann 2009 die Beteiligung an Areva NP gekündigt, um ein neues Bündnis mit dem russischen Atomkomplex einzugehen, das ihm lukrativer erschien (090104). Der Hauptgrund war dabei nicht das EPR-Fiasko, das sich bereits abzeichnete, sondern die Geschäftspolitik des Gesamtkonzerns. Genauer gesagt: Die Geschäftspolitik des französischen Staats, der als Haupteigentümer von Areva keine Rücksicht auf den Minderheitspartner der Reaktorsparte nahm und diesen sogar auszubooten drohte (070703). Siemens wäre dennoch bereit gewesen, für eine direkte Beteiligung am Areva-Mutterkonzern und damit verbundenen Einfluß "einige Milliarden aufzuwenden". Die Konzernchefin Lauvergeon unterstützte dieses Angebot, indem sie schwerwiegende geschäftliche Einbußen bei einer Trennung von Siemens prophezeite (071112). Gegen die Allmacht des Präsidenten Sarkozy und dessen unerforschliche Ratschlüsse, bei denen durchaus auch sehr persönliche Präferenzen eine Rolle spielten, kamen aber beide nicht an.
Im nachhinein darf sich Siemens glücklich schätzen, die Liaison mit der französischen Nuklearwirtschaft schon damals beendet zu haben. In der Eile hatten die Siemens-Manager allerdings übersehen oder geflissentlich ignoriert, daß der Vertrag mit Areva ein jahrelanges Konkurrenzverbot enthielt. Für ihre Kontaktaufnahme mit den Russen – die auch sonst sehr unüberlegt war und nach der Katastrophe von Fukushima abgebrochen wurde (110908) – mußten sie deshalb eine Strafe von 648 Millionen Euro zahlen. Der tatsächliche Verkaufserlös für die Siemens-Beteiligung an Areva NP sank dadurch auf knapp unter eine Milliarde Euro (110510).
Siehe auch: