Januar 2009

090104

ENERGIE-CHRONIK


Siemens beendet Hängepartie mit Areva und erwägt Beteiligung am russischen Atomkonzern

Der Siemens-Konzern hat Ende Januar überraschend beschlossen, seine 34-prozentige Beteiligung am französischen Reaktorbauer Areva NP aufzugeben. Er will sich aber keinesfalls aus diesem Bereich zurückziehen, sondern erwägt ein neues Bündnis mit dem staatlichen russischen Atomkonzern Atomenergoprom, das ihm wieder größere Einflußnahme und Gewinne im Geschäft mit Kernkraftwerken sichert.

Der Siemens-Aufsichtsrat bestätigte am 26. Januar die drei Tage zuvor getroffene Entscheidung des Vorstands, die Gesellschaftervereinbarung mit Wirkung spätestens zum 30. Januar 2012 zu kündigen und die bisherigen Siemens-Anteile im Rahmen einer Put-Vereinbarung an den Mehrheitseigner Areva S.A. zu verkaufen. Siemens und Areva hätten in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet, hieß es in einer Pressemitteilung des Konzerns. Die Rolle als Minderheitsaktionär schränke den unternehmerischen Handlungsspielraum für Siemens jedoch sehr stark ein. Man werde nun "alle Optionen prüfen, um sich weiter im Kernkraftwerksgeschäft zu engagieren".

Den russischen Nuklearkonzern Atomenergoprom als möglichen neuen Partner erwähnte Siemens-Chef Peter Löscher offiziell erstmals auf einer Pressekonferenz anläßlich der Hauptversammlung am 27. Januar. Bei Teilen des Aufsichtsrats soll es allerdings auch Bedenken gegenüber einer Partnerschaft mit Rußland geben. "Wir haben im Gasstreit erlebt, was die Abhängigkeit von Moskau bedeuten kann; das sollten wir uns nicht zumuten", meinte ein Aufsichtsratsmitglied gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (28.1.).

Beim Geschäft mit dem EPR säße Siemens nur am Katzentisch

Den Hintergrund bildet die seit eineinhalb Jahren andauernde Hängepartie um die künftige Rolle des deutschen Konzerns als Juniorpartner der französischen Nuklearindustrie (070703). Bekanntlich verfügt die französische Seite über eine Option auf die Siemens-Aktien, die sie nutzen könnte, um Areva mit Alstom zusammenzulegen und so einen Konzern zu schaffen, der nukleare und fossile Kraftwerkstechnik unter einem Dach vereint. Um dies zu verhindern, ist der Konzern sogar bei der Bundesregierung vorstellig geworden (070912). Inzwischen würde man es bei Siemens aber wohl eher als Erlösung empfinden, wenn die Franzosen von sich aus die Partnerschaft aufkündigen und die Siemens-Anteile an Areva NP zum Buchwert von 2,1 Milliarden Euro übernehmen würden. Die enorm gestiegenen Kosten beim Bau des ersten "Europäischen Druckwasserreaktors" (EPR) in Finnland (061007) haben nämlich deutlich werden lassen, daß die französische Atomholding Areva ihre Gewinne weniger mit dem Bau von Reaktoren als mit dem anschließenden Geschäft mit Brennelementen zu machen hofft. Auch der Bau des zweiten EPR in Flamanville (041006) verzögert sich und wird voraussichtlich vier Milliarden Euro kosten - das sind 20 Prozent mehr als bisher geplant – , wie die EDF im Dezember bestätigte.

Siemens ist indessen nur am Reaktorbauer Areva NP (früher Framatome) beteiligt und hat kaum Einfluß auf dessen unternehmerische Führung, während das Geschäft mit Brennelementen dem Mutterkonzern Areva S.A. obliegt. Die französische Regierung ist auch nicht bereit, Siemens die gewünschte Umschichtung der Beteiligung von der Areva NP auf den Mutterkonzern zu ermöglichen. Entsprechend gering sind für Siemens die Aussichten, von der Exportoffensive zu profitieren, mit der Frankreich den EPR in allen Teilen der Welt verkauft (080910) und seinen Staatskonzern EDF auch auf internationaler Ebene als Atomstromproduzenten tätig werden läßt (080903, 081214).

Rußland könnte Siemens die ganze nukleare Palette mit Einbringung der konventionellen Kraftwerkstechnik bieten

Inoffiziell wurde schon vor der Aufsichtsratssitzung bekannt, daß Siemens nun ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem neuen russischen Nuklearkonzern Atomenergoprom erwägt. Der Staatskonzern, den Kremlchef Putin im April 2007 per Gesetz ins Leben gerufen hat, vereint unter seinem Dach die gesamte Nuklearindustrie Rußlands mit Ausnahme des militärischen Sektors. Er würde Siemens damit die Teilhabe an der ganzen nuklearen Palette bieten. Von Vorteil ist ferner, daß Siemens seine konventionelle Kraftwerkstechnik ungeschmälert in den Bau von Kernkraftwerken einbringen könnte, während andere Nuklearkonzerne auch diesen Bereich abdecken. Der deutsche Konzern hat bereits im November 2007 mit der russischen Atomenergiebehörde Rosatom eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der konventionellen Kraftwerkstechnik unterzeichnet, die nach russischer Darstellung auch in den nuklearen Bereich übergreift (071112).

Umgekehrt könnte Atomenergoprom finanziell von einer Siemens-Beteiligung profitieren und hätte in dem deutschen Konzern einen wertvollen Türöffner zur Erlangung weiterer Aufträge. Hinzu käme ein Gewinn an Prestige, da die russische Nuklearindustrie noch immer mit der Katastrophe von Tschernobyl in Verbindung gebracht wird.

Im vergangenen Jahr ist es den Russen gelungen, sich die Errichtung des Kernkraftwerks Belene in Bulgarien und damit erstmals den Bauauftrag in einem EU-Staat zu sichern, wobei Siemens und Areva als Subunternehmen beteiligt sind (081103). Weitere Kernkraftwerke errichten sie derzeit in China (Tianwan) und Indien (Kudankulam). Im Iran sind sie seit 1995 dabei, das einst von Siemens begonnene und wegen der militärischen Ambitionen des Irans besonders umstrittene Kernkraftwerk Buschir zu vollenden (950115). Außerdem bewarben sie sich erfolgreich um die Errichtung eines Kernkraftwerks in der Türkei, das in Akkuyu nahe dem Mittelmeerhafen Mersin vier Reaktoren mit jeweils 1200 MW umfassen soll. Hinzu kam vor wenigen Tagen der Auftrag für die Errichtung des ersten Kernkraftwerks in Weißrußland, das bis 2016 ans Netz gehen soll. Wenn es Atomenergoprom mit Hilfe von Siemens gelänge, einen ansehnlichen Anteil am künftigen weltweiten Neubau von Kernkraftwerken zu erlangen, könnte sich der staatliche Nuklearkonzern für den Kreml zu einem ähnlichen Goldesel wie Gazprom entwickeln.

Zunächst wird der Siemens-Konzern aber erst mal sehen müssen, wie er aus dem Vertrag mit Areva wieder herauskommt. Den Vereinbarungen zufolge kann der jetzt beschlossene Ausstieg frühestens 2012 erfolgen. Außerdem darf Siemens dem verlassenen Partner acht Jahre lang keine Konkurrenz machen. Anscheinend hält man beide Punkte für anfechtbar oder zumindest verhandelbar.

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