Dezember 2023

231212

ENERGIE-CHRONIK


Stuttgart hat keinen Anspruch auf Überlassung des Fernwärmenetzes

Die Stadt Stuttgart kann von der Energie Baden-Württemberg (EnBW) nicht verlangen, dass diese ihr das Fernwärmenetz der Landeshauptstadt überlässt, obwohl der 1994 abgeschlossene Konzessionsvertrag über die Nutzung kommunaler Grundstücke für Bau und Betrieb des Fernwärmenetzes schon seit zehn Jahren abgelaufen ist. Andererseits kann die EnBW aber auch nicht darauf bestehen, dass ihr die Stadt neue Wegenutzungsrechte einräumt. So entschied am 5. Dezember der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs. Das Urteil lässt den Kontrahenten keine andere Wahl, als sich außergerichtlich über den weiteren Betrieb und Ausbau des Stuttgarter Fernwärmenetzes zu einigen.

Im alten Konzessionsvertrag fehlte die "Endschaftsklausel"

Zu der verzwickten Situation kam es deshalb, weil die Stadt Stuttgart den Konzessionsvertrag zur Fernwärmeversorgung 1994 mit den damaligen "Technischen Werken der Stadt Stuttgart" (TWS) schloss. Das waren die Stadtwerke, die ihr selber gehörten. Deshalb dachte keiner daran, die bis Ende 2013 laufende Konzession mit einer "Endschaftsklausel" zu versehen. Es gab also keine Regelungen dazu, was bei einer Nichtverlängerung des Konzessionsvertrags mit den zur Fernwärmeversorgung gehörenden Anlagen geschehen soll.

EnBW schluckte die ehemaligen Stuttgarter Stadtwerke

Als die Konzession dann Ende 2013 auslief, waren die TWS längst Vergangenheit: Zuerst wurden sie 1997 mit dem Regionalversorger Neckarwerke zur "Neckarwerke Stuttgart AG" (NWS) zusammengelegt (970706), an der die Stadt Stuttgart nur noch eine Minderheitsbeteiligung besaß. Schon wenig später bahnte sich eine Fusion dieser neuen NWS mit der EnBW an (990314), der maßgebliche CDU-Politiker zur Mehrheitsbeteiligung verhelfen wollten (991103). Was zunächst noch als "enge, nachhaltige Kooperation" bezeichnet wurde (000206), endete 2003 mit der vollständigen Einverleibung der NWS durch die EnBW (030807). Seitdem betrieb die EnBW als Nachfolgerin von TWS und NWS in der Landeshauptstadt nicht nur die Strom- und Gasnetze, sondern auch die Fernwärmeversorgung.

Gemeinderat verlangte Rekommunalisierung der Strom- und Gasversorgung

In den folgenden zehn Jahren bis zum Auslaufen der Konzessionsverträge änderte sich das energiepolitische Klima. Wo man früher leichtfertig verkauft oder teilprivatisiert hatte, bemühte man sich nun um die Rekommunalisierung von verlorengegangenen Zuständigkeiten. Auch in Stuttgart begann man die früheren TWS immer mehr zu vermissen. Und es blieb nicht beim Phantomschmerz: Im Juni 2011 beschloss der Gemeinderat mit großer Mehrheit, wieder Stadtwerke zu gründen, die nach dem Auslaufen der Konzessionsverträge für Strom, Gas und Fernwärme ab 1. Januar 2014 ihre Tätigkeit aufnehmen sollten (110610).

Nach einem jahrelangen Streit um die Entflechtung erlangte die Stadt wieder die Mehrheit am Strom- und Gasnetz

Die Zurückholung der Fernwärme ließ man zunächst beiseite. Bei Strom und Gas nahmen die neuen Stadtwerke aber Gestalt an, und zwar die eines Kooperationsmodells: Die EnBW bekam die Mehrheit an einer neuen Gesellschaft für den Betrieb der Strom- und Gasnetze, während sich die Stadt vorläufig mit der Mehrheit an einer ebenfalls neu gegründeten Eigentumsgesellschaft begnügte. Anfang 2019 sollten beide Unternehmen zu einer "Großen Netzgesellschaft" verschmolzen werden, die mehrheitlich der Stadt gehört. Bis dahin sollte auch die technische Entflechtung der Netze abgeschlossen sein (140306).

Sonderlich kooperativ ging es indessen nicht zu, denn die Netzentflechtung entwickelt sich zu einem jahrelangen Streit: Die EnBW wollte der neuen Netzgesellschaft nur die Nieder- und Mittelspannung übertragen und das Gas-Verteilnetz überhaupt nicht, weil dessen Entflechtung vom Hochdrucknetz zu aufwendig sei. Die Stadt verlangte dagegen die Einbeziehung des rund 150 Kilometer langen 110-kV-Netzes sowie der Hochdruck-Gasleitungen (140806). Der Streit ging bis zum Bundesgerichtshof, der ihn nach sechs Jahren endgültig zugunsten der Stadt entschied (200404). Da war die Übergangsphase schon vorbei. Die Stadt besaß deshalb seit Anfang 2019 die Anteilsmehrheit von 74,9 Prozent an beiden Unternehmen und konnte sie in der neuen Stuttgart Netze GmbH zusammenführen.

Bei der Fernwärme ist auch zehn Jahre nach Auslaufen des Konzessionsvertrags noch alles offen

Parallel zur Auseinandersetzung um die Netzentflechtung begann ein zweiter Rechtsstreit um die Fernwärme: Im Februar 2016 hatte der Gemeinderat die Stadt aufgefordert, das Auslaufen der Konzessionsverträge auch hier für einen Eigentümerwechsel zu nutzen. Die EnBW war aber nicht bereit, das 218 Kilometer lange Netz mit drei Heizkraftwerken und anderen Anlagen der Stadt zu übereignen. Als die Stadt deshalb klagte, entschied im Februar 2019 das Landgericht zugunsten der EnBW. Da im alten Vertrag die Endschaftsregelung fehlt, hielt es die Stadt sogar für verpflichtet, der EnBW einen neuen Konzessionsvertrag anzubieten. Das Oberlandesgericht wies im März 2020 die Klage der Stadt auf Übereignung ebenfalls ab, hielt aber die EnBW für verpflichtet, den "Störungszustand" zu beseitigen, der sich durch das Vorhandensein der Fernwärmeversorgungsanlagen auf Grundstücken der Stadt ergibt. Das sieht der Bundesgerichtshof in seiner jetzt ergangenen Entscheidung anders und hält die Stadt für verpflichtet, diesen Zustand zu dulden. Wie die Vorinstanzen vermag aber auch er keinen Anspruch der Stadt auf Übereignung des Fernwärmenetzes zu erkennen.

 

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