April 2020 |
200404 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Stuttgarter Strom-Verteilnetz ist mehr als 5000 Kilometer lang, wobei es auch Leitungen und Anlagen mit 110 Kilovolt umfasst. Diese Spannungsebene wird traditionell als "Hochspannung" bezeichnet, denn früher gab es keine höheren Spannungen. Inzwischen zählen die 110-kV-Leitungen aber längst zum Verteilnetz, während die weiträumige Stromübertragung durch "Höchstspannungsleitungen" mit 380 oder 220 Kilovolt besorgt wird. Zu den umstrittenen Anlagen, welche die EnBW nicht herausrücken wollte, gehört das hier abgebildete Umspannwerk Seewiesen in Stuttgart-Zuffenhausen, das den Strom von 110 000 Volt auf Mittelspannung (10 000 Volt) transformiert. Bei dem mehr als vier Jahre dauernden Prozess ging es letztendlich um die Netzentgelte, denn je nach eigentumsmäßiger Zuordnung der Leitungen dürfen diese von den neu gegründeten Stadtwerken Stuttgart oder von der EnBW kassiert werden. Foto: Stuttgart Netze GmH
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Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) muss den neu gegründeten Stadtwerken Stuttgart auch die Hochspannungsleitungen und die Gashochdruckleitungen überlassen, soweit sie der kommunalen Versorgung dienen. So entschied am 7. April der Bundesgerichtshof, indem er die von der EnBW-Gesellschaft Netze BW eingelegte Revisionsbeschwerde gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom Juli 2018 verwarf. Die seit mehr als vier Jahren andauernde Auseinandersetzung um die komplette Übertragung aller Versorgungsleitungen im Bereich der baden-württembergischen Landeshaupstadt ist damit rechtskräftig beendet.
Die Stadt Stuttgart und die EnBW hatten 2014 ein Kooperationsmodell vereinbart, das bis 2019 sowohl das Eigentum als auch die Betriebsführung der kommunalen Strom- und Gasnetze einer neuen Netzgesellschaft übertrug, die mehrheitlich der Stadt gehört (190110). Strittig blieb allerdings, ob das neue Gemeinschaftsunternehmen auch das Eigentum an den im Stadtgebiet verlaufenden Hochspannungsleitungen und Gashochdruckleitungen beanspruchen könne. Nach Ansicht des Altkonzessionärs EnBW gehörten diese Leitungen zu den überörtlichen Netzen und waren von der Neuvergabe der Konzession nicht betroffen. Die Stuttgart Netze GmbH besaß deshalb vorläufig nur das Nieder- und Mittelspannungsnetz für Strom sowie das Nieder- und Mitteldrucknetz für Gas. Nachdem es zu keiner gütlichen Einigung in dieser Frage kam, verklagte sie Ende 2015 die Netze BW auf Überlassung sämtlicher Bestandteile des kommunalen Verteilnetzes.
Ende 2016 gab das Landgericht Stuttgart dieser Klage statt, da das Energiewirtschaftsgesetz in § 46, Abs. 2, Satz 2 den Anspruch auf die Übereignung von Leitungen nicht von der Spannungsebene abhängig macht, sondern davon, ob die Leitung für den Betrieb des Verteilnetzes notwendig ist (161210). Weitere eineinhalb Jahre später bestätigte das Oberlandesgericht Stuttgart im Juli 2018 dieses Urteil und wies die von der EnBW eingelegte Berufung zurück. Der Altkonzessionär wollte sich aber auch damit nicht zufriedengeben, weshalb nochmals zwanzig Monate bis zu der jetzt erfolgten Zurückweisung seiner Revisionsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof vergingen.
Die EnBW-Tochter Netze BW bedauerte die BGH-Entscheidung. "Aber natürlich werden wir die Entscheidung jetzt respektieren", versicherte Geschäftsführer Christoph Müller. In ihrer Kooperationsvereinbarung hätten die Stadt Stuttgart und die EnBW bereits Vorsorge für diesen Ausgang des Rechtsstreits getroffen, "so dass wir jetzt keine großen Steine mehr aus dem Weg räumen müssen". In den nächsten Tagen und Wochen würden die Modalitäten des Eigentum-Übergangs im Detail festgelegt.