Bundesgerichtshof bekräftigt Unzuständigkeit des Washingtoner Schiedsgerichts
Der Bundesgerichtshof hat am 27. Juli bekräftigt, dass das bei der Weltbank
in Washington angesiedelte Schiedsgericht (ICSID) nicht über Streitfälle
entscheiden kann, die nach europäischem Recht beurteilt werden müssen.
Konkret geht es um drei Klagen auf Schadensersatz, die von verschiedenen Investoren
aus jeweils anderen Ländern der EU gegen die niederländische und
die deutsche Regierung erhoben wurden, weil ihnen Verluste durch energiepolitische
Entscheidungen entstanden seien, die gegen Bestimmungen des vor Jahrzehnten
unterzeichneten Energiecharta-Vertrags verstoßen würden. Beide
Regierungen hatten beantragt, die Unzulässigkeit der eingeleiteten Schiedsverfahren
festzustellen. Diesen Anträgen wurde in allen drei Fällen stattgegeben
und eine anderslautende Entscheidung des Berliner Kammergerichts aufgehoben.
Es geht um die Schadenersatzklagen von RWE, Uniper und eines irischen Projektentwicklers
Ziemlich kurios mutet an, dass in der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs
zu den drei Entscheidungen des 1. Zivilsenats weder die Namen der Kläger
noch die beklagten Regierungen genannt werden. Dabei sind Kläger und
Beklagte überhaupt kein Geheimnis und schon gar nicht geheimhaltungsbedürftig.
Soweit sie nicht ohnehin durch Berichte in den Medien bekannt wurden, lassen
sie sich auf der Internetseite des Washingtoner "International Centre
for Settlement of Investment Disputes" (ICSID) ermitteln:
- Unter "anhängige Fälle" findet man auf der ICSID-Webseite
die Klage von RWE, die am 2. Februar 2021 in Washington registriert wurde
und von der Regierung der Niederlande eine Entschädigung von ein bis
zwei Milliarden Euro verlangt, weil sie die gesetzliche Beendigung der Kohleverstromung
bis 2030 ohne Rücksicht auf das RWE-Steinkohlekraftwerk Eemshaven beschlossen
habe, das 2015 in Betrieb ging und deshalb eine längere technische Betriebsdauer
habe (210207).
- Ein weiterer anhängiger Fall ist die Klage des irischen Projektentwicklers
Mainstream Renewable Power gegen die deutsche Regierung, die am 13. Mai
2021 in Washington einging. Der Projektentwickler will rund 330 Millionen
Euro, weil seine Investitionen in Nordsee-Windparks durch die gesetzliche
Neuregelung der Offshore-Vergabepraxis entwertet worden seien.
- unter "abgeschlossene Verfahren" rubriziert ICSID inzwischen
die Klage von Uniper, die sich wie die von RWE gegen den niederländischen
Kohleausstieg richtete und Schadenersatz für die bis 2030 erforderliche
Stilllegung des Kohlekraftwerks Maasvlakte verlangte (210409).
Als die Klage am 30. April 2021 in Washington registriert wurde, war die
einstige E.ON-Ausgründung noch eine Tochter des finnischen Fortum-Konzerns.
Ende 2022 musste Uniper dann durch komplette Verstaatlichung vor der Pleite
gerettet werden (221211). Bereits im Juli 2022
verband die Bundesregierung ihre Finanzhilfe von bis zu 15 Milliarden
Euro unter anderem mit der Auflage, dass die ICSID-Klage zurückgezogen
wird (220702). Im Register findet man deshalb
nun den Eintrag, das Schiedsgericht habe am 17. März 2023 einen Beschluss
erlassen, wonach es "die Einstellung des Verfahrens gemäß
ICSID-Schiedsregel 44 zur Kenntnis nimmt".
Links (intern)
- EU-Parlament fordert Ausstieg aus der "Energie-Charta" (221105
)
- Urteil zur Ungültigkeit von Schiedsverfahren gilt auch für
Schweden (211011)
- Private Schiedsgerichte dürfen EU-Recht nicht ersetzen (210910)
- Spanien soll Steag für Solar-Kürzungen entschädigen (210805)
- Reformierung der "Energie-Charta" so gut wie aussichtslos (210705)
- Niederlande wollen Schiedsklagen gegen Kohleausstieg für unzulässig erklären
lassen (210505)
- Uniper klagt ebenfalls gegen Kohleausstieg der Niederlande und beruft
sich auf "Energie-Charta" (210409)
- ICSID-Schiedsgericht und Sekretariat der Energie-Charta verbünden sich
(210312)
- RWE verklagt Niederlande aufgrund der Energie-Charta wegen Kohleausstiegs
(210207)
- EU-Staaten erklären internationale Schiedsgerichte im Binnenmarkt für
unzulässig (190107)
- Link-Liste zur Energie-Charta
(Energy Charter Treaty)
- Hintergrund: Wie wird man die "Energie-Charta"
wieder los? (Mai 2021)
- Hintergrund: Auferstanden von den Toten: Die
gespenstische Neubelebung der "Energie-Charta" (Oktober 2016)