Juli 2022 |
220702 |
ENERGIE-CHRONIK |
Zu Jahresanfang kostete die Uniper-Aktie noch um die 40 Euro. Schon Mitte Februar begann sie aber zu schwächeln, um dann am 24. Februar – als der russische Überfall auf die Ukraine begann – bis auf 28,63 Euro abzustürzen. Am 8. März war ein weiterer Tiefpunkt mit 17,8 Euro erreicht. Es folgte eine zweieinhalb Monate dauernde Erholung bis auf 25 Euro, die aber Anfang Juni in den Sinkflug überging, da Putin die russischen Gaslieferungen bis auf 40 Prozent der Normalmenge drosselte und damit das Milliarden-Defizit von Uniper entsprechend vergrößerte. Als die Pipeline Nord Stream ab 11. Juli zehn Tage lang zur Wartung abgeschaltet wurde, lag der Kurs unter zehn Euro. Er zog dann am 20. Juli wieder leicht an, nachdem bekannt wurde, dass die Lieferungen nicht ganz gestoppt, sondern im bisherigen reduzierten Umfang wiederaufgenommen würden. Schon einen Tag später stürzte er aber weiter ab und lag am 22. Juli nur noch bei 7,47 Euro. Das vereinbarte Aktienpaket von rund 30 Prozent überlässt Fortum dem Bund nicht zum aktuellen Börsenkurs, sondern zum Nennwert von 1,70 Euro je Anteilsschein. Der Kaufpreis ist also gut fünfmal geringer als der ohnehin schon sehr niedrige Börsenwert. Insofern sind diese 267 Millionen Euro ein echter Schnäppchenpreis. Allerdings wiegt er bei weitem nicht die Belastungen auf, die Bund, Steuerzahlern und Verbrauchern an anderer Stelle entstehen. |
Die Bundesregierung stützt Deutschlands größten Gasimporteur Uniper mit bis zu 15 Milliarden Euro, damit er seine Lieferverpflichtungen gegenüber Stadtwerken und großen Industriekunden weiterhin erfüllen kann. Wie Bundeskanzler Olaf Scholz am 22. Juli bekanntgab, wird ein bereits im Januar eingeräumter Kredit der Staatsbank KfW auf neun Milliarden erhöht und der Verwendungszweck ausgeweitet. Außerdem hat der Bund mit dem finnischen Fortum-Konzern vereinbart, dass er rund 30 Prozent des Uniper-Kapitals übernimmt und eine Pflichtwandelanleihe in Höhe von 7,7 Milliarden Euro zeichnet, die später in Eigenkapital umgewandelt wird. Zusammen mit dem vergleichsweise geringfügigen Preis von 267 Millionen Euro für das Aktienpaket ergibt das rund 15 Milliarden Euro. Auf die Ausschüttung von Dividenden und Boni-Zahlungen für Manager wird Uniper bis auf weiteres verzichten müssen. Die ehemalige E.ON-Tochter gehört inzwischen zu 78 Prozent dem Fortum-Konzern, der seinerseits zu 80 Prozent dem finnischen Staat gehört.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine war der Energiekonzern zunehmend in Schieflage geraten, weil die Gazprom ihre vertraglichen Lieferverpflichtungen nicht mehr erfüllte. Uniper musste deshalb die fehlenden Gasmengen zu weit höheren Kosten anderweitig beschaffen, um die Verpflichtungen gegenüber den eigenen Kunden sowohl mengen- als auch preismäßig erfüllen zu können. Diese Mehrkosten deckte auch ein Kredit von acht Millionen Euro nicht, den der finnische Mutterkonzern einräumte und der von Uniper "fast vollständig" in Anspruch genommen worden sei, wie Fortum am 8. Juli mitteilte.
Parallel zu dieser Börsenmitteilung des Mutterkonzerns reichte Uniper am 8. Juli bei der Bundesregierung einen Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen ein. Der Gasimporteur unterstrich die Dringlichkeit dieses Antrags, indem er ab 11. Juli seine eigenen Speicherkapazitäten nicht weiter auffüllte, sondern ihnen bis 18. Juli mehr als zwei Terawattstunden entnahm. Die tägliche Auffüllung aller deutschen Gasspeicher ging dadurch stark zurück. An zwei Tagen war sie sogar negativ (siehe Grafik).
Mit dem Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen wollte Uniper vor allem die kurzfristige Aktivierung der in § 24 bzw. § 26 des Energiesicherungsgesetzes enthaltenen Möglichkeit zur Weiterreichung der erhöhten Beschaffungskosten erreichen. Weitere Wünsche waren eine "relevante Beteiligung" des Bundes am Eigenkapital sowie eine Erhöhung der KfW-Kreditlinie. Am 18. Juli folgte die Nachricht, dass auch diese zwei Milliarden Euro inzwischen voll ausgeschöpft worden seien.
Spätestens mit Beginn des neuen Gaswirtschaftsjahrs am 1. Oktober soll Uniper nun die Möglichkeit bekommen, die gestiegenen Einkaufskosten für Gas an seine Kunden und die Endverbraucher weiterzugeben. Dies geschieht aufgrund des § 26 in der erneut novellierten Fassung des Energiesicherungsgesetzes, die am 7. Juli mit dem "Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken" beschlossen wurde (220705). Dieser Paragraph ermächtigt die Bundesregierung zum Erlass einer Rechtsverordnung, die an die Stelle der Preisanpassungsrechte nach § 24 Absatz 1 Satz 3 eine "saldierte Preisanpassung" treten lässt (220705). Ähnlich wie die mittlerweile entfallene EEG-Umlage soll es diese Neuregelung ermöglichen, eine Belastung durch gestiegene Energiekosten gleichmäßig auf die Verbraucher zu verteilen. Zuerst muss aber noch die dafür erforderliche Rechtsverordnung erlassen werden.
Die Verhandlungen über eine weitere finanzielle Beteiligung von Fortum an der Stützung von Uniper wurden auch auf politischer Ebene geführt, da der Konzern zu 80 Prozent dem finnischen Staat gehört. Regierung und Management weigerten sich jedoch, dem bereits verlorenen Geld zur Aufrechterhaltung der deutschen Gasversorgung noch mehr hinterherzuwerfen. "Die Höhe der Verluste für Uniper hängt wesentlich von den Kostenausgleichsmechanismen ab, die von der deutschen Regierung eingeführt werden", hieß es in einer Fortum-Pressemitteilung vom 14. Juli. "Der Schlüssel zur Lösung dieser Situation liegt also in den Händen von Berlin." Am liebsten wäre es den Finnen gewesen, wenn die Bundesregierung den defizitär gewordene Gashandel komplett übernommen hätte, um ihnen den lukrativen Teil des Uniper-Geschäfts zu überlassen, zu dem vor allem die Stromerzeugung gehört. Damit war aber die deutsche Seite nicht einverstanden, obwohl ihr die neue Rolle als Großaktionär des ungeteilten Energiekonzerns insofern nicht ganz behagen dürfte, als Uniper auch in Rußland Stromerzeugung betreibt und in Schweden an Kernkraftwerken beteiligt ist.
Bei den Verhandlungen auf Regierungsebene machten die Finnen immerhin nebenbei ein europapolitisches Zugeständnis: Uniper wird die Klage gegen das niederländische Kohleausstiegsgesetz zurückziehen, die am 30. April vorigen Jahres beim ICSID-Schiedsgericht in Washington eingereicht wurde, weil das Gesetz für die Abschaltung des Kohlekraftwerks Maasvlakte bis 2030 keine Entschädigung vorsieht (210409). Damit ist in Washington nur noch die ähnlich gelagerte Schiedsklage von RWE anhängig, die wegen des Steinkohlekraftwerks Eemshaven eine Entschädigung verlangt (210207).
Als Gasimporteur ist Uniper der Nachkomme der Ruhrgas, die sich der E.ON-Konzern in den Jahren 2001 bis 2003 nach heftigen Auseinandersetzungen einverleiben konnte (030101). Die 1926 gegründete Ruhrgas AG war ursprünglich eine Ferngasgesellschaft des Ruhrbergbaues, die ein großes Gebiet im Westen Deutschlands mit Kokereigas versorgte. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie zum Alleinimporteur und bundesweiten Netzbetreiber für das Erdgas, das zunächst aus Holland und dann in immer größeren Mengen aus Russland kam. Diese Rolle wurde ihr dann aber nach der Wiedervereinigung und der Liberalisierung des Energiemarkts von der BASF streitig gemacht, die gemeinsam mit der russischen Gazprom den ostdeutschen "Gaskrieg" entfachte und ein eigenes Ferngasnetz aufbaute (siehe Hintergrund, August 2008).
Nach der Einverleibung durch E.ON war die neue E.ON Ruhrgas AG zuletzt nur noch eine Gashandelstochter. Das bundesweite Ruhrgas-Transportnetz wurde im September 2010 in "Open Grid Europe GmbH" umbenannt (110806) und im Mai 2012 für 3,2 Milliarden Euro an ein Finanzkonsortium verkauft (120507). Ab Mai 2013 verlor auch die Gashandelstochter den Namensbestandteil "Ruhrgas" und wurde mit der früheren E.ON Energy Trading SE in der E.ON Global Commodities SE vereinigt (130514). Infolge der ab 2015 betriebenen Neugliederung des Konzerns in zwei Bereiche (150403) gelangte der Gashandel dann mit dem konventionellen Kraftwerksgeschäft zu der neu gegründeten Tochter Uniper (160111), die E.ON dann schon im folgenden Jahr gegen den zähen Widerstand des Managements an den finnischen Fortum-Konzern verkaufte (170901). Es dauerte indessen noch zwei Jahre, bis Fortum die faktisch bereits vorhandene Mehrheitsbeteiligung an Uniper auch formal vollzog (191005). Grund war die Befürchtung, dass die russische Kartellbehörde FAS ihre Zustimmung zur Fusion verweigern könnte, indem sie die russische Uniper-Tochter Unipro – die ehemalige E.ON Russia – als strategisches Unternehmen einstuft (190204).
Diese russischen Vorbehalte wirkten überaus konstruiert und dienten offenbar ganz anderen Zwecken. Der US-Hedgefonds Elliott, der sich aus spekulativen Gründen einen Teil der Uniper-Aktien zum Weiterverkauf an Fortum gesichert hatte, warf dem Uniper-Vorstand sogar vor, er habe dieses Problem absichtlich durch ein abgekartetes Spiel mit den korrupten russischen Behörden herbeigeführt, um den zwischen E.ON und Fortum vereinbarten Handel zu sabotieren (180605). Anscheinend hat Fortum diesen Widerstand dann durch persönliche Kontakte bis hinauf zu Putin und diskrete Gegenleistungen auf die in Russland übliche Weise ausräumen können. Die offizielle Unbedenklichkeitsbescheinigung folgte aber erst ein Jahr nach der Bekanntgabe des Mehrheitserwerbs (200308).
Inzwischen ist Fortum mit 78 Prozent an Uniper beteiligt. Die Mehrheitsbeteiligung soll auch nach dem Einstieg der Bundesregierung als Großaktionär erhalten bleiben und dem Vernehmen nach bei 56 Prozent liegen. Da der Bund laut Scholz rund 30 Prozent des Kapitals übernimmt, müsste also ein Teil des Aktienpakets woanders herkommen.