Dezember 2021

211205

ENERGIE-CHRONIK


KKW-Betreiber fordert Beibehaltung des Atomausstiegs in Belgien

In Belgien hat die wirtschaftsliberale Partei "Mouvement Réformateur" (MR) den Ausstieg aus dem Atomausstieg verlangt, der vor 19 Jahren beschlossen wurde und bis Ende 2025 vollzogen sein soll (030110). Der für populistische Töne bekannte MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez argumentiert, dass andernfalls die Stromversorgung des Landes gefährdet sei. Deshalb müsse zumindest die Laufzeit der beiden jüngsten Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 verlängert werden, die mit jeweils 1038 MW über die größte Leistung der insgesamt sieben Reaktoren verfügen und rund 35 Prozent der nuklearen Gesamtleistung von 5952 MW ausmachen.

Die im wallonischen Landesteil beheimatete MR verfügt im Sieben-Parteien-Kabinett des amtierenden flämisch-christdemokratischen MInisterpräsidenten Alexander De Croo über zwei Ministerposten und hat mit dieser Forderung die vor einem Jahr mühsam zustande gekommene Koalitionsregierung erschüttert. Ihr Vorsitzender Bouchez scheint seinen Vorstoß indessen nicht mit dem französischen Engie-Konzern abgesprochen zu haben, dessen Tochter Electrabel die beiden belgischen KKW-Standorte Doel und Tihange betreibt. Diesen Eindruck erweckt zumindest ein Brief, den der Präsident des Engie-Verwaltungsrats, Jean-Pierre Clamadieu, und die Generaldirektorin Catherine MacGregor an den belgischen Ministerpräsidenten De Croo richteten.

Engie investiert lieber in erneuerbare Stromquellen und Gaskraftwerke

Laut der belgischen Zeitung "Le Soir" (8.12.), die den Brief einsehen konnte, fordert Engie ausdrücklich den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2025 und schließt die Möglichkeit einer Laufzeiten-Verlängerung für einzelne Reaktoren aus. Stattdessen bekräftigt der Konzern sein "Engagement, zur Energiewende in Belgien beizutragen", indem er seine Investitionen in erneuerbare Energien fortsetzt und sich am Bau von Gaskraftwerken zur Deckung der Residuallast beteiligt. In diesem Zusammenhang äußert sich Engie besorgt über "die Schwierigkeiten, die bei der Erteilung der regionalen Umweltgenehmigung für das Kraftwerk Vilvoorde aufgetreten sind" – ein Wink in Richtung der flämischen Umweltministerin Zuhal Demir von der Partei N-VA, die das Gaskraftwerk bislang ablehnt.

"Engie ist der Ansicht, dass es keine andere Option mehr gibt als die schrittweise Stilllegung"

Die beiden Spitzenmanager machen in ihrem Brief deutlich, dass Engie keinesfalls bereit wäre, die Kosten des weiteren Betriebs von Kernkraftwerken allein zu tragen. Das gehe nicht ohne eine umfassende und langfristig angelegt staatliche Unterstützung:

"Wie wir in den letzten Jahren immer wieder betont haben, ist die Verlängerung der beiden Reaktorblöcke Doel 4 und Tihange 3 nur im Rahmen eines Projekts denkbar, das zu einer Verlängerung der Lebensdauer von 10 bis 20 Jahren führt. Ein solches Projekt erfordert eine Vorlaufzeit, die wir unter Berücksichtigung der Ingenieur- und Sicherheitsstudien, des Dialogs mit den Behörden, der Gesetzgebungs- und Regulierungsprozesse und der eigentlichen Durchführung der Investition auf fünf Jahre schätzen. Unsere Erfahrung mit ähnlichen Projekten hat uns davon überzeugt, dass diese Zeitspanne nur schwer zu komprimieren ist. Unter diesen Bedingungen erscheint es uns unmöglich, die Verlängerung des Betriebs dieser beiden Blöcke im Jahr 2025 zu gewährleisten."

Schon gar nichts hält Engie von dem Vorschlag, die Laufzeiten der beiden Blöcke nur kurzfristig zu verlängern:

"Einige erwähnen die Möglichkeit einer kurzfristigen Verlängerung, die viel schneller vorbereitet werden könnte. Eine solche Entscheidung wäre ohne Präzedenzfall, und es gibt heute weder einen regulatorischen noch einen technischen Rahmen, um sie zu realisieren. Insgesamt und in diesem Kontext ist Engie der Ansicht, dass es keine andere Option mehr gibt, als die schrittweise Stilllegung der von uns betriebenen Kernkraftwerksblöcke einzuleiten."

Der Einspruch der Engie-Manager kann als weiterer Beleg dafür gelten, dass der Betrieb von Kernkraftwerken ein teueres und riskantes Geschäft ist, das für privatwirtschaftlich orientierte Betreiber nur mit massiver staatlicher Rückendeckung und Subventionierung rentabel sein kann. Das gilt sogar für den bloßen Weiterbetrieb von bereits bestehenden Anlagen und für noch immer staatsnahe Unternehmen wie den Engie-Konzern, bei dem es sich um die einstige GDF Suez handelt, die sich 2015 einen neuen Namen zulegte. Die GDF Suez entstand ihrerseits aus der Fusion der vormals staatseigenen Gaz de France mit dem Versorgungskonzern Suez (080618). Diese Fusion wurde seinerzeit von der französischen Regierung betrieben und auch von der belgischen Regierung unterstützt, um die Pläne des italienischen Energiekonzerns Enel zu durchkreuzen, der sich Suez hauptsächlich deshalb einverleiben wollte, um in den Besitz von dessen belgischer KKW-Tochter Electrabel zu gelangen (060302).

Kabinett rettet Koalition durch faulen Kompromiss

Der MR-Vorsitzende Bouchez interpretierte den Brief der Engie-Mangager sogleich in seinem Sinne: "Dieser Brief sagt nicht, dass es unmöglich ist, die Atomkraft zu verlängern, sondern dass sie es nicht wollen und dass man den gesetzlichen Rahmen ändern muss. " Um die Sieben-Parteien-Koalition nicht zu gefährden, kam es so am 23. Dezember wieder mal zu einem typisch "belgischen Kompromiss": Das Kabinett billigte den "Vorentwurf des Gesetzes über Vorkehrungen für die Stilllegung von Kernkraftwerken und die Entsorgung abgebrannter Brennelemente", den die Energieministerin Tinne Van der Straeten vorgelegt hatte. Das dazu veröffentlichte Kommunikee enthielt nur nebulöse Formulierungen. Der wichtigste Satz lautete, dass sich dieser Vorentwurf im Einklang mit den Koalitionsvereinbarungen befinde. Alles andere soll die nähere Ausarbeitung des geplanten Gesetzentwurfs richten, indem er sowohl die Anhänger wie die Gegner des Atomausstiegs teilweise zufriedenstellt – zum Beispiel dadurch, dass an der Abschaltung der Reaktoren bis Ende 2025 prinzipiell festgehalten wird, diese aber mit Blick auf eine mögliche Wiederinbetriebnahme erfolgt und auch von der Versorgungslage abhängig gemacht wirdl.

 

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