Juli 2021

210707

ENERGIE-CHRONIK


Berlin unterliegt im Streit um die Ostsee-Anschlusspipeline Opal erneut

Die russische Gazprom darf die Kapazität der Ostsee-Anschlussleitung Opal weiterhin nur bis zur Hälfte nutzen. Am 15. Juli wies auch der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg (EuGH) das Verlangen der deutschen Regierung zurück, die im Oktober 2016 erteilte Ausnahmegenehmigung der EU-Kommission zur beinahe unumschränkten Nutzung dieser Pipeline wieder in Kraft zu setzen. Er bestätigte damit ein Urteil des Gerichts der Europäischen Union, das im September 2019 einer entsprechenden Klage der polnischen Regierung stattgegeben hatte. Die Vorinstanz begründete ihre Entscheidung damit, dass die Kommission es unterlassen habe, die Auswirkungen ihrer Genehmigung auf die Versorgungssicherheit des Mitgliedsstaates Polen zu prüfen. Damit habe sie gegen den Grundsatz der Solidarität im Energiesektor verstoßen, der in Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert ist.

"Alle energiepolitischen Handlungen der EU sind anhand des Grundsatzes der Energiesolidarität zu beurteilen"

Der Gerichtshof bestätigte nun ausdrücklich, dass die Vorinstanz keinen Rechtsfehler beging, als sie den Beschluss der Kommission für nichtig erklärte, weil er gegen den Grundsatz der Energiesolidarität verstoße. "Die Rechtmäßigkeit aller Handlungen der Unionsorgane im Bereich der Energiepolitik der Union ist anhand des Grundsatzes der Energiesolidarität zu beurteilen" überschrieb er seine Mitteilung. Entgegen der Ansicht der deutschen Regierung sei dieser Grundsatz nicht auf die in Artikel 222 AEUV aufgeführten Situationen eines Terroranschlags, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe beschränkt. Vielmehr erstrecke er sich auf alle Maßnahmen der Energiepolitik der Union. Er sei eng mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Artikel 4 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) verbunden, wonach sich die Union und die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, gegenseitig achten und unterstützen. Da der Grundsatz der Solidarität allen Zielen der Energiepolitik der Union zugrunde liege, lasse nichts die Annahme zu, dass er keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeuge.

Kommission hatte die Genehmigung erst abgelehnt und dann doch dem Druck aus Berlin nachgegeben

Auf Wunsch der Bundesregierung hatte die Bundesnetzagentur 2009 die Opal für den Zeitraum von 22 Jahren ab Inbetriebnahme von der Regulierung ausgenommen, weil sie angeblich das Kriterium einer zwischenstaatlichen Verbindungsleitung erfüllte (090306). Auf Verlangen der EU-Kommission mußte sie dann aber die erteilte Ausnahmegenehmigung ein paar Monate später mit der Einschränkung versehen, dass die Gazprom nur die Hälfte der Kapazität nutzen darf. Die von der Bundesregierung gewünschte Änderung dieser Entscheidung lehnte die Kommission zunächst ab (141206). Allerdings gab sie dann dem fortdauernden Drängen aus Berlin am Ende doch nach und erlaubte der Gazprom im Oktober 2016 eine Ausnutzung der Kapazität bis zu 93 Prozent (161017). Diese weitgehende Freigabe der Opal-Kapazitäten ermöglicht der Gazprom die Verringerung jener Gasflüsse, die bisher über die Gasfernleitungen Jamal (Belarus, Polen) und Brotherhood/Transgas (Ukraine, Slowakei, Tschechien) von Russland in die Europäische Union gelangten. Die polnische Regierung klagte deshalb mit Unterstützung von Lettland und Litauen in Luxemburg, wobei sie von Anfang an geltend machte, dass der Beschluss der Kommission gegen den in Artikel 194 AEUV verankerten Grundsatz der Energiesolidarität verstoße.

 

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