Mai 2021

210503

ENERGIE-CHRONIK


Bundesregierung legt revidiertes Klimaschutzgesetz vor

Union und SPD haben sich ungewöhnlich rasch darauf geeinigt, den Stolperstein zu beseitigen, der ihnen vom Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil zum "Klimaschutzgesetz" kurz vor der Bundestagswahl in den Weg gelegt wurde (210401). Schon zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Urteils legte die Bundesregierung am 12. Mai den "Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes" vor, der die Beanstandungen der Karlsruher Richter entkräften soll. So wird in § 3 das bisherige nationale Klimaziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990, auf "mindestens 65 Prozent" erhöht. Zusätzlich werden weiterreichende Zielmarken bis zum Jahr 2050 eingefügt: Bis 2040 soll die Minderung mindestens 88 Prozent betragen, bis 2045 die "Netto-Treibhausgasqualität" erreicht werden und ab 2050 sogar ein Rückgang gegenüber dem Stand vor fünfzig Jahren stattfinden.

Bayern will angeblich schon bis 2040 "klimaneutral" werden

Zur schnellen Einigung der Koalitionspartner trug bei, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am 3. Mai ankündigte, sein Bundesland werde "in jedem Fall" schon bis 2040 klimaneutral sein. Da gerade Bayern den Ausbau der Windenergie wie kein anderes Bundesland behindert (160510, 190707), wirkte diese Ankündigung alles andere als überzeugend. Sie wurde allgemein als propagandistisches Störmanöver Söders empfunden, der bei der Kür des Kanzlerkandidaten der Union dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) unterlegen war und dies anscheinend noch immer nicht akzeptieren wollte. Zwei Tage danach bestätigte das Kabinett die vorgesehene Lösung, die in den Grundzügen zwischen Union und SPD bereits ausgehandelt war. Die Änderungen sollen noch vor der Sommerpause beschlossen werden.

Zur Erhöhung der Sektoren-Zielwerte bis 2030 kommen pauschale Minderungen bis 2040

In der bisherigen Fassung enthält das vor eineinhalb Jahren beschlossene Klimaschutzgesetz nur bis 2030 konkrete Minderungsziele für die einzelnen Wirtschaftsbereiche. Im übrigen belässt sie es bei der vagen Zusage, "Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen". Nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts verträgt sich das nicht mit den Verpflichtungen, die Deutschland und die EU mit der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens eingegangen sind. Vor allem bleibt das Gesetz eine Antwort schuldig, wie die Lücke bis zur Klimaneutralität der Emissionen im Jahr 2050 geschlossen werden soll. Diese Kritik berücksichtigt die Novellierung nun zumindest auf dem Papier und insoweit, als sie die bisherigen Zielwerte für die Jahre bis 2030 erhöht und zusätzlich für das folgende Jahrzehnt bis 2040 eine schrittweise pauschale Minderung der CO2-Emissionen um 88 Prozent gegenüber dem Stand des Jahres 1990 vorsieht:


Zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030

gemäß Anlage 2 der KSG-Novelle

in Millionen Tonnen CO2-Äquivalent (neue Werte in rot, alte in Klammern)

 

2020
2021
2022
2023
2024
2025
2026
2027
2028
2029
2030
Energiewirtschaft

280

257

(175)
108

Industrie
186
182
177
172
(168)
165
(163)
157
(158)
149
(154)
140
(149)
132
(145)
125
(140)
118
Gebäude
118
113
108
(103)
102
(99)
97
(94)
92
(89)
87
(84)
82
(80)
77
(75)
72
(70)
67
Verkehr
150
145
139
134
128
123
117
112
(106)
105
(101)
96
(95)
85
Landwirtschaft
70
68
67
66
65
(64)
63
(63)
62
(61)
61
(60)
59
(59)
57
(58)
56
Abfallwirtschaft
und Sonstiges
9
9
8
8
7
7
(7)
6
(6)
6
(6)
5
(5)
5
(5)
4

Jährliche Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040 (gegenüber 1990 )

gemäß Anlage 3 der KSG-Novelle

2031
2032
2033
2034
2035
2036
2037
2038
2039
2040
67 %
70 %
72 %
74 %
77 %
79 %
81 %
83 %
86 %
88 %

 

Emissionsminderung im ETS-Bereich wird um 67 Millionen Tonnen höher veranschlagt

Die Korrekturen an den zulässigen Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030 greifen in den Nicht-ETS-Sektoren hauptsächlich erst ab 2025 und sind vergleichsweise bescheiden. Die größten zusätzlichen Anstrengungen gegenüber der bisherigen Regelung müsste die Industrie erbringen (-22), gefolgt vom Verkehr (-10), dem Gebäudebereich (-3), der Landwirtschaft (-2) und der Abfallwirtschaft (-1). Der allergrößte Teil der zusätzlichen Gesamtminderung von 105 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent wird aber mit 67 Millionen Tonnen von der Energiewirtschaft erwartet. Wie schon in der bisherigen Fassung des Gesetzes sind für die Energiewirtschaft praktisch keine Zwischenziele vorgegeben, obwohl sie den Kernbereich der Emissionsminderungen bildet. Stattdessen wird offenbar darauf vertraut, dass der 2005 gestartete Handel mit EU-Emissionszertifikaten nun endlich funktionieren werde, obwohl er zumindest bis 2017 jämmerlich versagt hat (siehe Hintergrund, November 2017). Die mühsam durchgesetzte Reform des ETS (180210) hat zwar ab 2018 den Preis für die Emissionszertifikate (EUA) endlich in Richtung Klimawirksamkeit steigen lassen (180813). Im aktuellen Monat Mai wurde sogar erstmals die Grenze von 50 Euro für ein Zertifikat überschritten, das zur Emission von einer Tonne CO2-Äquivalent berechtigt. Eine verläßliche Grundlage für Prognosen ist das aber noch nicht, weil die EUA-Preise stark von Spekulationen beeinflusst werden. Schon gar nicht erklärt es die Zuversicht, mit der die schwarz-rote Koalition nun einfach die erwartete Emissionsminderung im ETS-Bereich um 67 Millionen Tonnen höher ansetzt.

Bis 2025 ist der zusätzliche Minderungsbedarf zehnmal kleiner als in den folgenden fünf Jahren

Irritierend wirkt an der korrigierten Tabelle auch, wie die alten Werte teilweise bis ins Jahr 2027 unverändert übernommen werden. Daraus ergibt sich dann bis 2025 – also für die nächste Legislaturperiode – nur ein zusätzlicher Treibhausgasreduktionsbedarf von 10 Millionen Tonnen. In den folgenden fünf Jahren bis 2030 sind es dagegen 105 Millionen Tonnen, was gut zehnmal soviel ist. Die derzeit noch regierenden Parteien verteilen so die zusätzlichen Minderungslasten auf ihre Nachfolger sehr ungleich – gerade so, als ob sie sich jetzt schon erneut in der Regierungsverantwortung sähen und deshalb die Probleme lieber auf die lange Bank schieben...

Bei der Festlegung der Ausgangswerte für 2020 dachte noch keiner an die Corona-Pandemie

Die für 2020 genannten zulässigen Jahresemissionsmengen sind inzwischen ziemlich weit weg von der Realität. Sie wurden 2019 ins Gesetz geschrieben, als die Regierung selber nicht mehr damit rechnete, das im Koalitionsvertrag von 2013 formulierte Klimaziel zu erreichen, die CO2-Emissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent zu mindern (180611). Entgegen allen Erwartungen wurde dieses Klimaziel dann aber infolge der Corona-Pandemie doch noch knapp erreicht (210309). Deshalb liegen nun die hier genannten zulässigen Emissionsmengen um 73 Millionen Tonnen über der tatsächlich erzielten Minderung. Der größte Teil des unerwarteten Rückgangs entfiel dabei auf die Energiewirtschaft, die das gesetzte Limit um 59 Millionen Tonnen unterschritt. Ihr ebenfalls unverändert gebliebenes Zwischenziel für 2022– das einzige bis 2030 – wirkt deshalb nun fast wie die Erlaubnis, die Emissionen um 36 Millionen Tonnen zu erhöhen. Offenbar geht die Regierung davon aus, dass der unerwartete Rückgang der CO2-Emissionen infolge der Corona-Pandemie ein einmaliger Vorgang bleibt. Eine diesbezügliche Erläuterung findet man aber in der Begründung nicht.

LULUCF-Maßnahmen sollen bis 2030 zusätzliche Minderung um 25 Millionen Tonnen erbringen

Neu ist in dem Gesetzentwurf ferner der § 3a zum "Beitrag des Sektors Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft". Es geht dabei um die Umsetzung der vor drei Jahren erlassenen EU-Verordnung zur Erfassung und zum Ausgleich von Emissionen im Sektor "Land Use, Land-Use Change and Forestry" (LULUCF). Durch geeignete Maßnahmen, die noch per Verordnung zu regeln sind, soll in diesem Bereich bis 2030 eine CO2-Minderung um mindestens minus 25 Millionen Tonnen erreicht werden, die bis 2045 auf mindestens 45 Millionen Tonnen steigt. Die Gesetzesbegründung nennt dabei "insbesondere Emissionsminderungen durch Wiedervernässung von Moorböden" sowie den "Schutz und die Wiederherstellung der Fähigkeiten von Wäldern, zur Bindung von Kohlendioxid und zur Speicherung von Kohlenstoff". Der Gesamtbedarf für die LULUCF-Maßnahmen wird auf 3540 Millionen Euro bis zum Jahr 2030 geschätzt. Davon entfallen 2100 Millionen Euro auf den Bereich Moore und 1440 Millionen Euro auf den Bereich Wald.

 

Links (intern)

zum Klimaschutz auf nationaler Ebene

zum Klimaschutz auf EU-Ebene