September 2019

190902

ENERGIE-CHRONIK


Klimaschutzprogramm der Koalition enttäuscht

Das sogenannte Klimakabinett der Bundesregierung (190604) hat am 20. September seine "Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030" vorgelegt. Am 25. September wurden sie vom Bundeskabinett auch förmlich gebilligt, um als Basis für einen entsprechenden Gesetzentwurf zu dienen (siehe PDF). Schon jetzt ist allerdings klar, dass die rund 60 Eckpunkte im wesentlichen nur das "Pillepalle" in der Klimapolitik fortsetzen, dessen Beendigung die Bundeskanzlerin versprochen hatte (190604). Vor allem versagt die Regierung Merkel vor der zentralen Aufgabe, jene CO2-Emissionen zu mindern, die nicht aus Kraftwerken und anderen Großfeuerungsanlagen stammen und den größten Teil der Treibhausgas-Emissionen ausmachen. Deutschland wird deshalb die auf diesem Gebiet eingegangenen Minderungsverpflichtungen weiterhin nicht erfüllen können und ab 2020 ersatzweise Milliarden für Strafzahlungen bzw. Kompensationskäufe aufbringen müssen (181004).

"Der CO2-Preis hat nur noch eine Alibi-Funktion"

"Dieses Klimapaket ist erschreckend kraft- und mutlos", meinte der Direktor der Initiative Agora Energiewende, Patrick Graichen, in einer ersten Stellungnahme. "Insbesondere die vorgeschlagene CO2-Bepreisung ist ein schlechter Scherz: Die 10 Euro pro Tonne CO2 entfalten keinerlei Lenkungswirkung, und die jährliche Anhebung ist so homöopathisch, dass das kaum mehr als die Inflationsentwicklung ist. Auch bei dem Ausbau der Erneuerbaren gibt es keinerlei Fortschritte – im Gegenteil werden die Bedingungen für Windkraftanlagen verschlechtert. So werden die 2030-Klimaschutzziele definitiv nicht erreicht."

"Der CO2-Preis hätte das klimapolitische Leitinstrument werden müssen, hat aber nun nur eine Alibi-Funktion", erklärte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, mit dessen Vorschlag für einen CO2-Mindestpreis (190703) die Kanzlerin eine Zeitlang zu sympathisieren schien. Ein sinnvoller Einstiegspreis müsse bei 50 Euro pro Tonne CO2 liegen und bis 2030 auf 130 Euro steigen. Zwischen der notwendigen und der jetzt geplanten CO2-Bepreisung bestehe also eine gewaltige Lücke, und es sei unrealistisch, dass diese bei den noch folgenden Beratungen geschlossen werden könne.

Niedriger CO2-Festpreis für Heiz- und Kraftstoffe soll nach fünf Jahren vom Handel mit Emissionszertifikaten abgelöst werden

Den Vorschlag einer CO2-Lenkungsabgabe greifen die jetzt vorgelegten Eckpunkte nur insoweit auf, als ab 2021 vorübergehend ein Festpreissystem für die Emissionen des Verkehrs- und Gebäudebereichs eingeführt werden soll. Die Heiz- und Kraftstoffhändler müssten dann entsprechende Emissionsberechtigungen pro Tonne CO2 erwerben, deren Preis bis 2025 von 10 auf 35 Euro steigt. Ab 2026 würde dieses Festpreissystem von einem Handel mit Emissionszertifikaten abgelöst, wie er seit 2005 bei den Großfeuerungsanlagen praktiziert wird. Die freie Preisbildung würde dabei zunächst für ein Jahr durch einen Mindestpreis von 35 Euro und einen Höchstpreis von 60 Euro pro Tonne CO2 begrenzt. Auf diese Weise soll ein Versagen wie beim etablierten Emissionshandel verhindert werden, wo sich der Preis der Zertifikate 13 Jahre lang meistens im einstelligen Euro-Bereich bewegte und deshalb faktisch wirkungslos blieb. Ob diese Einschränkung der Preisbildung auch ab 2027 noch gilt, wäre sehr ungewiss. Die Entscheidung darüber soll bereits 2025 getroffen werden.

Im großen und ganzen würde also das bisherige Emissionshandelssystem mit seinen bekannten Schwächen und Tücken sowie einer zeitlichen Verzögerung von fünf Jahren auch auf den Verkehrs- und Wärmebereich übertragen. Damit haben sich CDU und CSU durchgesetzt, die eine Woche vor der entscheidenden Sitzung des Klimakabinetts ein entsprechendes Positionspapier vorlegten. Die feste CO2-Bepreisung ist darin nur als flankierende und vorübergehende Maßnahme vorgesehen. Vor allem sind die vorgesehenen Fest- und Mindestpreise viel zu niedrig, um die notwendige klimaschützende Wirkung zu entfalten.

Teures Sammelsurium von teilweise fragwürdigen Maßnahmen

Den in letzter Zeit vieldiskutierten Grundgedanken der Kostenneutralität einer CO2-Bepreisung greift das Eckpunkte-Papier ebenfalls nur rhetorisch auf, indem es verspricht, dass "alle zusätzlichen Einnahmen" entweder geplanten Klimaschutzfördermaßnahmen zugute kämen oder als Entlastung den Bürgern zurückgegeben würden. Auf diese Weise soll offenbar ein Sammelsurium von teilweise fragwürdigen Maßnahmen legitimiert werden, dessen Gesamtkosten in jedem Fall höher wären als die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Zum Beispiel will man als Ausgleich für die CO2-Belastung der Kraftstoffpreise die Pauschale für Fernpendler erhöhen. Die Subventionierung der Anschaffung von Elektroautos (190609) soll ein weiteres Mal und jetzt sogar unbefristet verlängert werden, obwohl sie praktisch nur auf Mitnahmeeffekte hinausläuft. Die im Zuge einer verfehlten Privatisierungspolitik kaputtgesparte Deutsche Bahn bekommt bis 2030 eine Kapitalspritze von elf Milliarden Euro für ihre dringendsten Baustellen. Zusätzlich darf sie sich auf eine Reduzierung der Mehrwertsteuer für Fahrkarten im Fernverkehr freuen. Das heißt freilich noch lange nicht, dass sie diese Wohltaten auch an die Kunden weitergibt, das mit Namen wie Mehdorn verbundene Missmanagement aufhört und das Bahnfahren insgesamt attraktiver wird.

Rückgang der EEG-Umlage wäre keine Gegenleistung, sondern ohnehin zu erwarten

Als Gegenleistung für die CO2-Belastung der Heiz- und Kraftstoffpreise verspricht das Eckpunktepapier den Stromkunden eine Verringerung der EEG-Umlage. Diese soll von 2021 bis 2025 "schrittweise entlang des Bepreisungspfades" um 0,25 bis 0,625 Cent pro Kilowattstunde sinken. Um diese grandiose Entlastung richtig zu würdigen, muss man allerdings wissen, dass ab 2021 jedes Jahr zahlreiche EEG-Anlagen wegen Ablauf der zwanzigjährigen Förderdauer aus der Vergütung herausfallen und deshalb die Umlage ohnehin sinken dürfte (190804) – und zwar vielleicht noch stärker als bei der geplanten gesetzlichen Absenkung.

BDEW kritisiert geplanten Mindestabstand von tausend Meter für Windkraftanlagen

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bezeichnete das Gesamtpaket als enttäuschend. Vor allem bei der CO2-Bepreisung, der notwendigen Strompreis-Entlastung und im Bereich der Erneuerbaren Energien sei der Koalition "alles andere als ein großer Wurf gelungen", erklärte die Verbandspräsidentin Marie-Luise Wolff. Enttäuschend und kontraproduktiv sei vor allem die geplante Einführung eines pauschalen Mindestabstands von tausend Metern zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung. Damit würden die bestehenden Flächenrestriktionen sogar noch verschärft anstatt abgebaut. Zu begrüßen seien hingegen die Aufhebung des 52-Gigawatt-Deckels bei der Photovoltaik (190903), der vermehrte Zubau von Windparks vor der Küste und die Umlagenbefreiung von Energiespeichern.

Die steuerliche Absetzbarkeit von energetischen Sanierungen im Gebäudebereich und das ab 2026 geplante Verbot neuer Ölheizungen erfreuen den Branchenverband naturgemäß ebenfalls, da dies den Markt für Wärmepumpen, Lüftungsanlagen und andere Stromanwendungen erweitert. Zusätzlich verlangt er aber, dass auch der Einbau "hocheffizienter Gasheizungen" steuerlich geltend gemacht werden kann, zumal "Gas immer grüner" werde. Die Forderung nach einer Million Ladesäulen für Elektroautos bis 2030 sei hingegen "überdimensioniert". Nach BDEW-Berechnungen würden 350.000 öffentliche Ladepunkte für die geplanten zehn Millionen E-Autos vollkommen ausreichen.

 

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)