April 2021 |
210401 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundesverfassungsgericht veröffentlichte am 29. April einen bereits am 24. März gefassten Beschluss, mit dem der Gesetzgeber verpflichtet wird, das im November 2019 verabschiedete "Klimaschutzgesetz" bis zum 31. Dezember 2022 zu konkretisieren. Die Richter beanstanden die Lücke zwischen dem langfristigen Ziel der Klimaneutralität bis 2050 und den bis 2030 vorgesehenen Treibhausgas-Minderungen. Sie halten zwar die beabsichtigte Minderung um 55 Prozent gegenüber 1990 nicht ausdrücklich für unzureichend, dringen aber auf eine Präzisierung der Maßnahmen, mit denen der Gesetzgeber den Nachholbedarf bis 2050 zu bewerkstelligen gedenkt.
Die gerügte Lücke entstand deshalb, weil die im März 2018 erneuerte schwarz-rote Koalition (180304) mit den "Eckpunkten für das Klimaschutzprogramm 2030", die sie im September 2019 vorlegte (190902), lediglich das "Pillepalle" in der Klimapolitik fortsetzte, dessen Beendigung die Bundeskanzlerin eigentlich versprochen hatte (190604). Das auf diesen Eckpunkten basierende Klimaschutzgesetz, das der Bundestag im November 2019 mit den Stimmen der Regierungsmehrheit beschloss (191102), enthielt nicht mehr als die alten CO2-Minderungsziele, auf die sich die Vorgänger-Koalition schon 2016 geeinigt hatte und die schon damals unzureichend waren (161104).
Der Beschluss des Verfassungsgerichts erging aufgrund mehrerer Verfassungsbeschwerden "natürlicher Personen", zu denen unter anderen die Klimaaktivistin Lisa Neubauer sowie Bauern aus Nepal und Bangladesch gehörten. Die Verfassungsbeschwerden von zwei Umweltverbänden wurden dagegen abgewiesen, weil sie nicht klageberechtigt seien. Die Klimaaktivisten machten vor allem geltend, dass der Staat mit § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Anlage 2 des Klimaschutzgesetzes keine ausreichenden Regelungen zur alsbaldigen Reduktion von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen unternommen habe, um die Erwärmung der Erde bei 1,5 Grad oder wenigstens deutlich unter 2 Grad zu halten, wie das im Pariser Klimaabkommen für notwendig gehalten wird (151209), das im Herbst 2016 in Kraft trat, nachdem es auch von der EU und deren Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde (161008).
Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, bei der das Klimaschutzproblem eine wichtige Rolle spielt, birgt die Karlsruher Entscheidung etliche Sprengkraft. Es verwundert daher nicht, dass es praktisch von allen Seiten begrüßt wurde, obwohl es zumindest den Parteien der schwarz-roten Koalition sehr unwillkommen sein dürfte. Unverhüllte Kritik kam lediglich von der rechtsextremen AfD, für deren Fraktionsvorsitzende Alice Weidel das Klimaschutzgesetz schon in seiner derzeitigen Fassung zu weit geht.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ließ über das Kurznachrichten-Medium "Twitter" wissen, dass es sich um ein "bedeutendes Urteil" handele, das für den Klimaschutz "epochal" sei. Der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz setzte auf diesen populistischen Schelmen anderthalbe, indem er mit einer Schuldzuweisung reagierte: "Nach meiner Erinnerung haben Sie und die CDU/CSU genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde. Aber das können wir rasch korrigieren. Sind Sie dabei?" Er selber werde nun gemeinsam mit Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) umgehend eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes vorlegen. Auch Altmaier will sich nun Nachbesserungen des Gesetzes überlegen. Ob Union und SPD das gemeinsam verschuldete Konfliktpotential tatsächlich noch vor der Bundestagswahl ausräumen oder ob es vielmehr als Wahlkampfmunition dient, bleibt vorerst offen.