September 2019 |
190907 |
ENERGIE-CHRONIK |
Vor dem Landgericht Hamburg streiten seit Juni die Energiekonzerne E.ON und Vattenfall um die Reststrommenge von 88.245 Gigawattstunden, die dem Kernkraftwerk Krümmel noch zustanden, als die schwarz-gelbe Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 die dauerhafte Abschaltung von insgesamt acht Reaktoren beschloß (110501). Eigentümer und Betreiber des Reaktors ist die Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. OHG , an der beide jeweils zur Hälfte beteiligt sind. Der E.ON-Konzern verlangt deshalb die unentgeltliche Überlassung der Hälfte des gesamten Reststrom-Guthabens. Er will damit vor allem die Laufzeit seines Kernkraftwerks Grohnde verlängern, das er sonst stillegen müsste, obwohl die im Atomgesetz genannten Schlusstermine den Betrieb bis Ende 2021 erlauben.
Die Auseinandersetzung endete am 11. Juli vorläufig mit einem Kompromiss: Vattenfall überlässt E.ON 10.000 Gigawattstunden. Der Geschäftspartner muss dafür aber der gemeinsamen KKW-Gesellschaft einen Kaufpreis von rund 278 Millionen Euro zahlen. Auf die Megawattstunde umgerechnet, die derzeit an der Börse um die 35 Euro kostet, ergibt das 27,8 Euro. Allerdings bekommt Vattenfall vom Gesamterlös nur die Hälfte. Die andere Hälfte fließt über die gemeinsame KKW-Gesellschaft wieder an E.ON zurück, so dass faktisch knapp 14 Euro anfallen.
Die Übertragung der Reststrommenge ist also auch gegen Bezahlung noch lohnend für die E.ON-Tochter PreussenElektra GmbH, die vor vier Jahren das auslaufende Kernenergiegeschäft des Konzerns übernommen hat und deshalb als Klägerin auftritt. Diese Neugründung trägt nicht ganz zufällig denselben Namen wie die PreussenElektra AG, die einst die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel gemeinsam mit den Hamburgischen Electricitäts-Werken errichtet und betrieben hat. Sie sollte aber keinesfalls mit der E.ON-Vorgängerin verwechselt werden. Die Namensgebung dürfte weniger einer Art Retro-Laune entsprungen sein als vor allem der Aufrechterhaltung des Markenschutzes dienen. Auf diese Weise ist auch die E.ON-Vorgängerin Bayernwerk AG in Form einer regionalen Netzgesellschaft scheinbar wieder auferstanden (150901).
Falls das Landgericht im weiteren Verlauf des Verfahrens doch befinden sollte, dass E.ON einen Anspruch auf unentgeltliche Überlassung hat, bekäme die PreussenElektra den Kaufpreis wieder zurück. Damit ist angesichts der gesellschaftsrechtlichen Konstruktion aber kaum zu rechnen. Zuletzt regte der Richter an, dass beide Parteien auch im Hauptverfahren Vergleichsverhandlungen aufnehmen und räumte dafür eine Frist bis Ende September ein.
Zum Jahresende 2018 waren von der ursprünglichen Reststrommenge des Kernkraftwerks Grohnde, die 200.900 GWh betrug, nur noch 3.340 GWh übrig. Das hätte gerade noch bis Mitte Mai gereicht, wenn man die jährliche Erzeugung der vergangenen drei Jahre zugrunde legt, die im Durchschnitt 9.296 GWh betrug. Zu Anfang dieses Jahres stockte E.ON deshalb diesen Rest um 4.674 GWh auf, die aus unverbrauchten Restguthaben der bereits stillgelegten Kernkraftwerke Unterweser (2.403 GWh), Grafenrheinfeld (247 GWh) und Isar 1 (2.024 GWh) übertragen wurden. Bis Ende Juni war dieses zusätzliche Kontingent aber fast komplett wieder abgearbeitet, und die verbleibenden 3.555 GWh hätten allenfalls noch bis November gereicht.
Die 10.000 GWh, die E.ON jetzt mit Zustimmung des Miteigentümers Vattenfall aus der unverbrauchten Reststrommenge des stillgelegten Reaktors Krümmel bekommen hat, ermöglichen fürs erste den Weiterbetrieb bis Dezember nächsten Jahres. Zur vollen Ausnutzung der zulässigen Betriebsdauer für Grohnde wäre aber ein Nachschlag von weiteren 11.000 GWh erforderlich, wobei die beiden gleichberechtigten Eigentümer des KKW Krümmel erneut über den Preis verhandeln müßten.
Alternativ könnte E.ON das Kernkraftwerk Grohnde schon vorher stillegen und so die Entschädigungen für die unverbrauchten Reststrommengen erhöhen, die in § 7f Abs. 1 der im Juni 2018 verabschiedeten Atomgesetz-Novelle (180601) speziell den Genehmigungsinhabern der Kernkraftwerke Brunsbüttel, Krümmel und Mülheim-Kärlich zugestanden werden. Das jetzt gewählte Verfahren ist für den Konzern aber lukrativer und sicherer, da die Höhe dieser Entschädigungen allgemein noch nicht feststeht und im Fall des KKW Krümmel ausdrücklich nur die Hälfte der Reststrommenge entschädigt werden darf. Außerdem setzt die Zahlung voraus, dass sich die Empfänger zuvor "ernsthaft um eine Übertragung der ausgleichsfähigen Elektrizitätsmengen zu angemessenen Bedingungen bemüht" haben. Mit dem Prozess vor dem Landgericht Hamburg kann E.ON einen solchen Nachweis erbringen.
Am meisten könnte E.ON aber profitieren, wenn das ICSID-Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington der seit sieben Jahren anhängigen Schadenersatzklage wegen Abschaltung der Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel stattgeben würde (141001). Der Konzern hat zwar nicht selber geklagt. Da er ein inländisches Unternehmen ist, würde die sogenannte Energie-Charta dafür auch keine Handhabe bieten. Er kann das aber getrost dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall überlassen, der auf Grundlage dieser Energie-Charta für angeblich in Deutschland erlittene Unbill 4,7 Milliarden Euro zuzüglich Zinsen fordert. Die Empfänger der Milliarden wären nämlich höchstwahrscheinlich die KKW-Gesellschaften für Krümmel und Brunsbüttel, die gemeinsam mit drei Vattenfall-Firmen als Kläger auftreten. Und auch am KKW Brunsbüttel ist E.ON mit immerhin einem Drittel beteiligt.
Bisher hat das Schiedsgericht die Verkündung seines Urteils immer wieder hinausgeschoben. Das lag zuletzt zweifellos daran, dass die Europäische Union derartige internationale Schiedsgerichte für ihren Binnenmarkt nicht länger anerkennen will (190107). Man darf gespannt sein, wie diese Machtprobe ausgeht, und welche politischen Folgen es hätte, falls ein dreiköpfiges Privatgericht in Washington tatsächlich die deutschen Steuerzahler um eine zehn- oder auch nur neunstellige Summe erleichtern könnte.
zur Reststrommengen-Entschädigung nach deutschem Recht:
zur Schadenersatz-Klage von Vattenfall in Washington: