Juni 2012 |
120601 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das damals von der EnBW verbreitete Pressefoto zeigt den frisch dekorierten EnBW-Chef . Neben ihm steht der russische Botschafter Wladimir V. Kotenev, der später Chef der Gazprom Germania wurde (100716), aber sehr schnell in der Versenkung verschwand (110615). Nicht im Bild, aber ebenfalls zugegen, war der dubiose russische Geschäftsmann Andrej Bykov, von dem die EnBW jetzt 130 Millionen Euro zurückhaben möchte. Pressefoto EnBW
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Die Auseinandersetzung mit dem zwielichtigen russischen Geschäftsmann Andrej Bykov (120105) wird für die Energie Baden-Württemberg (EnBW) immer peinlicher, weil sie nachträglich ein Licht auf Geschäftspraktiken wirft, die aus gutem Grund geheimgehalten wurden. Aufgrund verschiedener Presseberichte – vor allem im "Handelsblatt" und in der "Süddeutschen Zeitung" – sah sich die EnBW am 14. Juni zu einer ausführlichen Stellungnahme veranlaßt. Darin räumt sie ein, mit Bykov mehrere Verträge im Umfang von rund 220 Millionen Euro abgeschlossen zu haben. Es sei dabei aber nicht um Lobbyarbeit zur Anbahnung von Gasgeschäften gegangen, wie Bykov jetzt behauptet, sondern um Uranlieferungen aus Rußland, die Entsorgung von Atommüll aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Obrigheim und die Entwicklung eines Überwachungssystems für Nukleartransporte. Da die Bykov-Firmen die vertraglich vereinbarten Leistungen nur zum Teil erbracht hätten, habe man insgesamt 130 Millionen Euro zurückgefordert.
Entschieden widersprach die EnBW der Behauptung Bykovs, es habe sich nur um Scheinverträge gehandelt. Daß es sich um echte Aufträge gehandelt habe, zeige schon deren teilweise Erfüllung sowie der Spruch eines Schiedsgerichts, das im Mai die Bykov-Firma Eurepa Suisse SA mit Sitz in Zürich wegen Nichterfüllung eines im März 2007 geschlossenen Vertrags über die Lieferung von Uran zur Rückzahlung von 24,5 Millionen Euro an die EnBW Kernkraft GmbH (EnKK) verurteilte. Die Bykov-Firma sei dieser Zahlungsverpflichtung bis heute nicht nachgekommen.
Im selben Schiedsverfahren hat die EnBW-Tochter EnKK außerdem 35,6 Millionen Euro wegen Nichterfüllung eines im April 2007 geschlossenen "Lager- und Sicherungsvertrags" in Höhe von 35,6 Millionen Euro verlangt (gemeint ist offenbar der Export von Atommüll nach Rußland). Diese Forderung hat das Schiedsgericht jedoch wegen der "nicht hinreichenden Klarheit dieses Vertrags" abgelehnt.
Insgesamt hat die EnBW drei Schiedsverfahren gegen Bykov-Firmen angestrengt, von denen inzwischen zwei abgeschlossen sind und überwiegend zum Nachteil der EnBW ausgingen. Wie am 22. Juni bekannt wurde, braucht die Eurepa Suisse SA auch 12 Millionen Euro nicht zurückzuzahlen, die sie 2005 zur Entwicklung eines "Accounting- und Monitoringsystems für radioaktive Abfälle und Spaltmaterialien" erhalten hatte. Der Auftrag für die Entwicklung kam offiziell von der russischen Atomaufsicht, die damit angeblich Diebstähle und illegale Geschäfte mit russischem Nuklearmaterial verhindern wollte. Das von der EnBW spendierte Geld floß aber offenbar in andere Kanäle. Bykov behauptete, es habe sich dabei nur um ein Scheingeschäft gehandelt, um ihn für Lobbyarbeit im Gasbereich zu bezahlen. Das Schweizer Schiedsgericht hielt diese Behauptung nicht für glaubwürdig. Es folgte aber auch nicht der Ansicht der EnBW, daß es sich um ein Darlehen gehandelt habe. Dem damals unterzeichneten Vertragstext sei jedenfalls keine Verpflichtung zur Rückzahlung zu entnehmen.
Bykovs Behauptung, er sei für die EnBW insgeheim – vor allem ohne Wissen des unternehmensführenden Großaktionärs EDF – als Gasbeschaffer in Rußland tätig gewesen, scheint dennoch nicht ganz an den Haaren herbeigezogen zu sein. Wie es in einer Pressemitteilung der EnBW vom 11. Mai hieß, hat Bykov "Koordinierungsaufgaben im Rahmen einer im Jahr 2008 von der EnBW geprüften Beteiligungsmöglichkeit an zwei russischen Gasfeldern" wahrgenommen. Dafür habe er "eine angemessene Vergütung" bekommen. Die Beteiligung an den russischen Gasfeldern sei dann "aus wirtschaftlichen Gründen letztendlich nicht weiter verfolgt" worden.
Die von der EnBW zurückverlangten Gelder will Bykov großteils für klerikale Propaganda zur Stützung des gegenwärtigen Kreml-Regimes ausgegeben haben. Als Präsident der Stiftung "Heiliger Nikolaus, der Wundertäter" finanzierte er vor allem Kirchen, Denkmäler und Wallfahrten zu Ehren des erwähnten Heiligen. "Dieser Heilige ist in Russland sehr bedeutend", meinte er dazu in einem Interview mit dem "Handelsblatt" (12.6.) "Und jeder, der sich für ihn einsetzt, kann im Gegenzug mit großem Wohlwollen der Behörden und höchsten Spitzen von Politik, Industrie und Militär rechnen. Das nennt man Klimapflege." Bykov überließ der Zeitung eine ganze Serie von Fotos, die belegen sollen, daß das EnBW-Geld in solche "Klimapflege" geflossen sei (siehe externer Link).
So war es auch kein Zufall, daß der damalige EnBW-Chef Utz Claassen im Juli 2005 vom ehemaligen stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Anatoli Kulikov mit dem "Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus" ausgezeichnet wurde (050712). Bei der Zeremonie in der russischen Botschaft war neben dem damaligen Botschafter Wladimir V. Kotenev auch Andrej Bykov zugegen. In seiner Dankesrede rühmte Claassen den "fruchtbaren und andauernden Dialog mit Rußland". Er vermied es aber geflissentlich, auf die konkreten geschäftlichen Hintergründe einzugehen, die ihm diese dubiose Auszeichnung eintrugen.
Die jetzt strittigen Zahlungen aus den Jahren 2005 und 2007 fallen in die Amtszeit Claassens. Begonnen hat der "fruchtbare Dialog" aber unter dessen Vorgänger Gerhard Goll. Einem Bericht der "Stuttgarter Zeitung" zufolge hat sich Bykov der EnBW schon 2001 als Gasbeschaffer angeboten und wurde Anfang 2003 mit der Herstellung von Nuklear-Kontakten beauftragt (120413). Die EnBW dürfte deshalb für Bykovs Dienste noch erheblich mehr als die genannten 220 Millionen Euro ausgegeben haben.
Wie die "Süddeutsche Zeitung" (26.6.) berichtet, hat Bykov sogar bereits 2001 den Auftrag zur Besorgung von Brennelementen im Gesamtwert von 380 Millionen Euro aus Rußland erhalten. Unternehmensinterne Prüfer habe dies zu der Warnung veranlaßt, damit würden "35 Prozent der gesamten EnBW-Stromversorgung von einem Brennstofflieferanten abhängig". Bei einer weiteren Überprüfung der Verträge im Jahr 2005 sei außerdem die Frage aufgeworfen worden, ob es sich bei den Zahlungen an die Bykov-Firma Eurepa nicht letzten Endes um verschleierte Zahlungen an Entscheidungsträger im russischen Atomministerium bzw. um Bestechungsgelder handeln könnte. Immerhin hatte im September 2001 der damalige russische Atomminister Valentin Ivanov persönlich ein Dankschreiben nach Karlsruhe geschickt und den Abschluß der Verträge mit der Bykov-Firma Eurepa als richtigen Weg "zu einer Festigung unserer Zusammenarbeit" bezeichnet...
Laut einer Besprechungsnotiz, die der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt, fand am 3. Juli 2004 in der Berliner EnBW-Vertretung ein geheimes Treffen mit dem Putin-Vertrauten Valery Bogomolov statt, der damals Generalsekretär der Regierungspartei Einiges Rußland war. Bogomolov bat die westdeutschen KKW-Betreiber um Hilfe bei der Bewältigung der nuklearen Hinterlassenschaften, die Rußland kaum noch vor Diebstählen und anderem Mißbrauch schützen könne. Anscheinend entstand so die Idee für das "Accounting- und Monitoringsystem für radioaktive Abfälle und Spaltmaterialien", für das die EnBW 12 Millionen Euro spendierte, die dann dem "Heiligen Nikolaus" zugute kamen. RWE bestätigte die Teilnahme an diesem Treffen: Es sei dabei "um Fragen der Zusammenarbeit im Kernbrennstoffkreislauf" gegangen. Von E.ON und Vattenfall war keine Bestätigung zu erhalten. Sie bekamen aber offenbar zumindest die Protokolle der Sitzung und ließen sie im Panzerschrank verschwinden, weil das Horrorgemälde von der russischen Nuklearwirtschaft überhaupt nicht zu ihrer Absicht paßte, aus dem 2001 besiegelten Kernenergie-Kompromiß möglichst schnell wieder auszusteigen.
Die Affäre könnte sogar ein strafrechtliches Nachspiel haben. Wie die Staatsanwaltschaft Mannheim am 29. Juni mitteilte, hat sie gegen sieben amtierende oder ehemalige Verantwortliche des Energiekonzerns ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und der Untreue zum Nachteil der EnBW eingeleitet. Die durchgeführten Vorermittlungen hätten konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß in den Steuererklärungen für die Jahre 2001 bis 2008 die Zahlungen an Bykov-Firmen zu Unrecht als Betriebsausgaben geltend gemacht wurden. Zudem bestehe der Verdacht der Untreue durch den Abschluß zweier Verträge in den Jahren 2007 und 2008. Die Namen der Verdächtigten nannte die Staatsanwaltschaft nicht. Sie ließ lediglich wissen, daß der amtierende EnBW-Chef Hans-Peter Villis, dessen Vertrag Ende September ausläuft (120315), nicht dazugehöre.