Januar 2012

120105

ENERGIE-CHRONIK


Rußland-Affäre ist für EnBW noch nicht ausgestanden

Auch nach der erneuten Bestellung von Hans-Josef Zimmer zum Technikvorstand der EnBW (111206) ist für das Unternehmen die Rußland-Affäre noch nicht ausgestanden, die vor eineinhalb Jahren zum Rücktritt Zimmers von diesem Posten führte (100716). Inzwischen stellte sich sogar heraus, daß vor dem Landgericht Landau weiterhin ein Verfahren anhängig ist, in dem die EnBW von Zimmer Schadenersatz in Millionenhöhe fordert. Indessen ist der seinerzeitige Rücktritt Zimmers wohl eher als eine Art Bauernopfer und die weiterhin gegen ihn laufende Klage als Formalität zu sehen. Mehr Licht in die Hintergründe brachte erstmals am 11. Januar eine Pressemitteilung des Landgerichts Karlsruhe, vor dem ein russischer Lobbyist die EnBW auf mehr als 120 Millionen Euro für angeblich erbrachte Dienstleistungen verklagen will.

Mit Scheingeschäften soll ein Lobby-Vertrag für Gas getarnt worden sein

Nach Angaben des Landgerichts liegt die Klage seit 13. September vergangenen Jahres vor. Sie wurde der EnBW jedoch noch nicht zugestellt, weil der erforderliche Gerichtskostenvorschuß trotz Aufforderung nicht gezahlt wurde. Der russische Geschäftsmann Andrej Bykov behauptet darin, die EnBW habe Beteiligungen an sibirischen Gasfeldern erwerben wollen und ihn deshalb mit entsprechender Lobbyarbeit in Moskau beauftragt. Die Electricité de France (EDF) als einer der beiden Großaktionäre des Unternehmens habe jedoch kein Interesse an diesem Geschäft gehabt. Der deutsche Teil des EnBW-Vorstands habe deshalb die Sache vorerst hinter dem Rücken der EDF und ihres eigentlich für den Gasbereich zuständigen EnBW-Vorstandsmitglieds Pierre Lederer durchführen wollen. So sei es zum Abschluß von Scheinverträgen über Lieferungen und Dienstleistungen im Nuklearbereich mit zwei ihm gehörenden Schweizer Firmen gekommen. Auf seiten der EnBW hätten die Töchter EnBW Kernkraft GmbH und Kernkraftwerk Obrigheim GmbH als Vertragspartner fungiert. Auf Basis dieser Scheinverträge hätten die beiden EnBW-Töchter mehr als 120 Millionen Euro für seine Lobbyarbeit überwiesen, das Geld aber später zurückverlangt, weil die zum Schein vereinbarten Leistungen tatsächlich nicht erbracht wurden. Mit seiner Klage will der Russe nun gerichtlich bestätigt wissen, daß die EnBW mit ihm eigentlich einen Lobbyvertrag geschlossen habe und keinen Anspruch auf Rückzahlung wegen nicht erbrachter Leistungen erheben könne, da es sich nur um Scheinverträge gehandelt habe.

EnBW hat drei Schiedsverfahren laufen und bezeichnet Vorwürfe als "ausschließlich taktisch motiviert"

Wie tags darauf die "Stuttgarter Zeitung" (12.1.) berichtete, kam die Pressemitteilung des Landgerichts aufgrund ihrer Recherchen zustande. Bei Andrej Bykov – der Name des Klägers war in der Mitteilung des Gerichts nicht genannt worden - handele es sich um einen schillernden Lobbyisten und Geschäftsmann, der in Rußland über beste Kontakte zu Politik und Wirtschaft bis hin zum Präsidenten Putin verfüge. Möglicherweise bezwecke er mit seiner Klage nur den Aufbau einer Drohkulisse gegenüber der EnBW, zumal er durchaus über genug Geld verfüge, um den bislang nicht gezahlten Gerichtskostenvorschuß zu leisten.

Nochmals einen Tag später reagierte die EnBW mit einer Stellungnahme. Sie bestätigte, daß sie 2005 bis 2008 mit den beiden Schweizer Bykov-Firmen Eurepa Suisse S.A. und Pro Life Systems S.A. "Verträge im nuklearen Bereich" geschlossen hat. Dabei sei es um die Lieferung und Sicherung von Uran gegangen, um die "Rückzahlung eines Darlehens zur Entwicklung eines Monitoring-System für die Überwachung von Transporten nuklearer Stoffe in Rußland" sowie um die Kooperation beim Rückbau des stillgelegten Kernkraftwerks Obrigheim. Ferner habe man eine gemeinsame Gesellschaft gegründet, um die Rückbauaktivitäten in Obrigheim und das dafür erforderliche Know-how zu koordinieren. Nachdem sich im Sommer 2009 abzeichnete, daß die Bykov-Firmen ihre "vertraglichen noch geschuldeten Verpflichtungen" endgültig nicht erfüllen würden, habe man zunächst deren Erfüllung angemahnt und schließlich rechtliche Schritte eingeleitet, wie sie die bei Vertragsabschluß getroffenen Schiedsvereinbarungen vorsehen. Zwei Schiedsverfahren liefen gegen die Eurepa Suisse S.A. wegen Lieferung und Lagerung von Brennstoffen sowie der Rückzahlung des erwähnten Darlehens. Ein anderes richte sich gegen die Pro Life Systems S.A.. Bei allen drei Verfahren habe bereits ein umfangreicher Austausch von Schriftsätzen sowie in einem Verfahren eine mehrtägige mündliche Verhandlung stattgefunden. Eine erste Entscheidung sei noch in diesem Jahr zu erwarten.

Anscheinend hat die EnBW in diesen Schiedsverfahren keine schlechten Karten. Ihr schwacher Punkt ist aber, daß sie alles unter der Decke halten wollte und deshalb wohl auch von vornherein das Schiedsverfahren vereinbart hat. Hier setzt Bykov mit seiner Klage vor dem Landgericht Karlsruhe an. Wie die EnBW angibt, hat er sie während des laufenden Schiedsverfahrens über die Einreichung der Klage unterrichtet, obwohl er durch Nichtzahlung des Gerichtskostenvorschusses zugleich verhinderte, daß sie tatsächlich anhängig und der EnBW offiziell zugestellt wurde. Das Vorgehen der Bykov-Gesellschaften sei "ausschließlich taktisch motiviert und nicht begründet". Bykov habe schon vor Einleitung der Schiedsverfahren die Auffassung vertreten, daß es sich bei den abgeschlossenen Verträgen nicht um Austauschverträge, sondern um Scheingeschäfte handle, um erbrachte Beratungstätigkeiten im Gasbereich zu finanzieren. Trotz mehrfacher Aufforderung habe er aber dafür keine Beweise vorgelegt.

Die EnBW dementierte ferner, daß der nun wieder eingesetzte Technikvorstand Zimmer intern damit gedroht habe, die wahren Hintergründe offenzulegen, wenn er weiterhin als Sündenbock herhalten müsse. Die Aufrechterhaltung der Schadenersatzklage gegen Zimmer sowie drei andere EnBW-Manager begründete sie mit der notwendigen Wahrung von Rechtspositionen, "auch mit Blick auf versicherungsrelevante Aspekte".

Kontakt mit Bykov kam bereits unter Goll zustande – Claassen hält sich bedeckt

Einem weiteren Bericht der "Stuttgarter Zeitung" (17.1.) zufolge kam der Kontakt mit Bykov bereits unter Gerhard Goll zustande. Der frühere EnBW-Chef erinnere sich, wie ihm der Russe Ende 2001 anlässlich eines Besuchs im Kernkraftwerk Neckarwestheim (GKN) vom damaligem kaufmännischen Geschäftsführer des GKN, Wolfgang Heni, vorgestellt wurde. Bykow habe sich der EnBW als Gasbeschaffer angeboten und einen Kontakt zum staatlichen Mineralölunternehmen Rosneft hergestellt, das auch Gas fördert. Ende 2002 habe sich herausgestellt, daß dieses Ziel zu den für die EnBW relevanten Bedingungen nicht erreichbar war. Welche Hürden im Weg standen, habe der ehemalige Vorstandschef nicht gesagt.

Trotz dieses Fehlschlags sei man Anfang 2003 erneut mit Bykow ins Geschäft gekommen: Zusammen mit dem damaligen US-Konzern Westinghouse sollten in Russland Kapazitäten für die Produktion von Brennelementen für EnBW-Reaktoren aufgebaut werden. Wie es dann weiter ging, könne Goll nicht sagen, weil er im April 2003 ausschied. Sein Nachfolger Utz Claassen ließ auf Anfrage über seinen Anwalt ausrichten, daß er sich aus Gründen der Vertraulichkeit und Verschwiegenheit nicht zu Details äußern könne. Claassen war von der russischen Regierung zwei Jahre später mit dem "Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus" sowie akademischen Würden dekoriert worden (siehe Hintergrund). Dazu paßt, daß Bykov religiös und ein Verehrer des Heiligen Nikolaus sein soll.

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