September 2010

100902

ENERGIE-CHRONIK


Bundesregierung will auch Altbauten "klimaneutral sanieren"

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat am 28. September das Energiekonzept beschlossen und veröffentlicht, das sie vor einem Jahr im Koalitionsvertrag ankündigte (091001). Das Papier verspricht eine "umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung". Neben der mit den Energiekonzernen vereinbarten Laufzeitverlängerung für die 17 deutschen Kernkraftwerke (100901) enthält es politische Eckpunkte zu den Themenbereichen Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, fossile Kraftwerke, Netzinfrastruktur, Elektromobilität, Energieforschung und internationalem Energieverbund. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der "energetischen Sanierung des Gebäudebestands", die als der "zentrale Schlüssel zur Modernisierung der Energieversorgung und zum Erreichen der Klimaschutzziele" gesehen wird. Der Primärenergiebedarf aller Gebäude soll bis 2020 um zwanzig Prozent und bis 2050 in der Größenordnung von achtzig Prozent gesenkt werden, so daß man dann einen "nahezu klimaneutralen Gebäudebestand" haben werden. Entsprechende Weichenstellungen sollen bei der für 2012 geplanten Novellierung der Energieeinsparverordnung (EnEV) erfolgen.

Nachträgliche Wärmedämmung von Altbauten birgt etliche Probleme

Die 2007 neugefaßte EnEV (070405) ist bereits vor einem Jahr erheblich verschärft worden, was die Wärmedämmung bei Neubauten betrifft (090910). Das nunmehr von der Koalition verkündete Ziel eines "nahezu klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050" wird in Fachkreisen als unrealistisch empfunden, da die Umrüstung des Altbaubestandes immense Kosten verursachen würde, die weder den Eigentümern aufgebürdet noch aus Steuergeldern bestritten werden könnten. Das hehre Ziel eines deutschen Beitrags zum weltweiten Klimaschutz räumt außerdem nicht den Verdacht aus, daß hier mit Steuergeldern und gesetzgeberischem Druck ein Konjunkturprogramm zugunsten bestimmter Branchen betrieben wird.

Zudem ignoriert die Bundesregierung etliche Probleme, die sich gerade bei Altbauten ergeben, wenn sie nachträglich zwecks Energieeinsparung "saniert" werden. Zum Beispiel führt eine nachträgliche Wärmedämmung der Außenwände in aller Regel zu tiefliegenden Fensterhöhlen und anderen Beeinträchtigungen der Fassade, die oft geradezu eine Verschandelung darstellen und mit den Zielen des Denkmalschutzes unvereinbar sind. Die Wärmedämmung der Innenwände ist weniger effizient und schwieriger durchzuführen. Sie erhöht zudem das Risiko der Schimmelbildung, das grundsätzlich bei allen Wohnungen gegeben ist, die hermetisch gegen Wärmeverluste abgedichtet sind. Es ist außerdem nicht jedermanns Sache, den größten Teil des Jahres in einem Gebäude mit Zwangsbelüftung bei geschlossenen Fenstern zu verbringen. Der bereits allenthalben kritisierte "Dämmstoffwahn" (FAZ, 22.9.) könnte deshalb eines Tages als ähnliche und noch größere Verirrung gelten wie die Verschandelung von Fassaden mit witterungsbeständigen Eternit-Platten, die ab den sechziger Jahren grassierte.

Zunächst war sogar von "Nullemission" für alle Gebäude bis 2050 die Rede

Im Entwurf ihres Energiekonzepts, den sie am 6. September vorlegte, wollte die Bundesregierung mit der geplanten EnEV-Novellierung sogar bis 2050 für alle Gebäude den "Standard Nullemission" einführen. Dies hätte bedeutet, daß alle Gebäude ihren Primärenergiebedarf für Heizung, Kühlung, Lüftung oder Beleuchtung nur noch mit erneuerbaren Energien bestreiten. Außerdem wollte sie die Eigentümer von Altbauten über einen steuerlichen Bonus bzw. Malus dazu zwingen, ihre Gebäude entsprechend dem Zeitplan umzurüsten (siehe vergleichende Darstellung beider Fassungen).

Dieser Passus, der anscheinend die Handschrift von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) trug, zeugte von einer erstaunlichen Realitätsblindheit. Des Beifalls von Baugewerbe, Stromwirtschaft, Wärmepumpenherstellern und anderen einschlägig interessierten Wirtschaftskreisen konnte sich die Koalition zwar sicher sein, wenn sie die nachträgliche Wärmedämmung von Altbauten bzw. Umstellung der Heizsysteme nicht nur förderte, sondern auch mit Zwangsmaßnahmen betrieb. Sie brüskierte damit aber ihre eigene Wählerschaft, unter der Haus- und Wohnungseigentümer in hohem Maße vertreten sind. Die hohen Belastungen hätten für viele Althauseigentümer eine enteignungsähnliche Maßnahme bedeutet. Ausgerechnet eine besitzbürgerlich-konservative Regierung hätte deshalb damit rechnen müssen, vor dem Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung des in Artikel 14 des Grundgesetzes geschützten Rechts auf Eigentum verklagt zu werden.

Bundesbauminister Ramsauer warnte vor "unzulässigem Eingriff ins Eigentum"

Sogar innerhalb der Bundesregierung regte sich massiver Widerstand gegen das Ziel, bis 2050 auch für Altbauten den "Standard Nullemission" verbindlich zu machen. Vor allem Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) trug die Pläne nicht mit, da sie nach Berechnungen seines Ministeriums einen finanziellen Aufwand von jährlich mindestens 75 Milliarden Euro erfordern würden. "Bei einer derartigen Zwangssanierung mißachtet die Politik die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und sozialen Ausgewogenheit", erklärte der Minister laut "Spiegel" (37/2010). Einem Bericht des Magazins "Focus" (37/2010) zufolge sprach Ramsauer sogar von einem "unzulässigen Eingriff ins Eigentum". Der Verband Haus & Grund taxierte in einer ersten Berechnung allein die Sanierungskosten für ein kleines Einfamilienhaus aus dem Jahr 1970 mit einer Fläche von 120 Quadratmetern auf 70.000 Euro.

Sanierungsziel muß jetzt mit "Wirtschaftlichkeitsgebot" verträglich sein

In der nunmehr etwas entschärften Fassung des Kapitels "Gebäudesanierung" im Energiekonzept will die Bundesregierung weiterhin auch Altbauten von 2020 bis 2050 auf das "Zielniveau einer Minderung des Primärenergiebedarfs um 80 Prozent" bringen. Sie macht die Erreichung des Ziels aber von der Einhaltung des "geltenden Wirtschaftlichkeitsgebots" abhängig und verzichtet auf die vorgesehene Malus-Regelung. "Wir wollen dabei Anreize setzen, aber keine Zwangssanierungen anordnen", beteuert sie. "Wir stellen wirtschaftliche Anreize in den Mittelpunkt unserer Politik und nicht die Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger".

Abriß-Prämie für Althausbesitzer

Statt von einem "klimaneutralen" ist jetzt nur noch von einem "energieeffizienten Gebäudebestand bis 2050" die Rede. Wer als Gebäudeeigentümer die von der Regierung vorgegebenen Zielwerte erfüllt oder übererfüllt, soll weiterhin mit staatlicher Förderung belohnt werden. Die Eigentümer haben dabei die Wahl zwischen "Maßnahmen an der Gebäudehülle, der Verbesserung der Anlagentechnik oder dem Einsatz erneuerbarer Energien". Neu aufgenommen wurde eine Art Abriß-Prämie für Altbauten, bei denen die Sanierung nicht möglich oder zu teuer wäre. Sie verbirgt sich in dem Satz: "Ersatz-Neubau soll im Gebäudesanierungsprogramm förderfähig werden."

Förderung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt aus dem Klimafonds

Um mit ihren Förderungsversprechen glaubwürdiger zu werden, erhöht die Bundesregierung nun doch wieder die Mittel für das Marktanreizprogramm zur Förderung des Einsatzes erneuerbarer Energien im Wärmemarkt. Erst vor kurzem hatte sie dieses Programm mangels Geld gestoppt (100503). Erst nach erheblichen Protesten revidierte sie den Beschluß (100702), strich aber die Förderung für Anlagen in Neubauten, da das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, das Anfang 2009 in Kraft trat (081203), die Bauherren ohnehin zur Nutzung erneuerbarer Wärmequellen verpflichtet (080601). Im ersten Entwurf des Energiekonzepts wollte sie dieses stark gekürzte Programm um lediglich 200 Millionen Euro jährlich aufstocken, was angesichts des mehr als ehrgeizigen Gebäude-Sanierungsprogramms eine lächerlich geringe Summe darstellte. Nun will sie dafür Gelder in unbestimmter Höhe aus dem neuen Fonds bereitstellen, in den die Kernkraftwerksbetreiber ihre Sonderabgabe für die Verlängerung der Laufzeiten einzahlen (100901). Außerdem prüft sie eine "haushaltsunabhängige Förderung durch ein Anreizsystem für erneuerbare Wärme innerhalb des Marktes".

Kosten sollen auf Mieter überwälzt werden können

Normalerweise rentieren sich die enormen Kosten einer besseren Wärmedämmung oder einer neuen Anlagentechnik bei Altbauten nicht oder nur sehr langfristig, so daß der finanzielle Aufwand trotz verringerter Heizkosten nicht lohnt. Um den Hausbesitzern die "Sanierung" dennoch schmackhaft zu machen, will die Bundesregierung "das Mietrecht ausgewogen novellieren und für energetische Sanierungen investitionsfreundlicher gestalten". Konkret läßt sich das nur so verstehen, daß die Vermieter die Kosten auf die Mieten umlegen und die Mieter keinen Anspruch auf Mietminderung wegen der Umbauarbeiten geltend machen dürfen.

Bisher können Vermieter elf Prozent der Modernisierungskosten pro Jahr auf die Mieter abwälzen. Bei einem Aufwand von 20.000 Euro für die Wärmedämmung einer Drei-Zimmer-Wohnung entspräche das einer Mieterhöhung um monatlich 183 Euro. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (29.9.) antwortete die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Frage, ob diese Abwälzungsmöglichkeit noch erweitert werden soll: "Ja, das findet natürlich auf den ersten Blick nicht jeder gut, aber es ist doch verständlich, daß sich solch eine Investition in die Zukunft sowohl für den Vermieter als auch für den Mieter lohnen muß. Der Mieter profitiert ja seinerseits auf Dauer auch, weil er viel niedrigere Energiekosten hat."

Schlafmütziger Mieterbund – Wachsame Hauseigentümer

Nun schwante auch dem "Deutschen Mieterbund" (DMB) endlich, was da auf seine Mitglieder zukommt. Noch am 28. September hatte er das Ziel einer "klimaneutralen Gebäudesanierung" rückhaltlos begrüßt und die Regierung sogar getadelt, weil sie von den zunächst vorgesehenen Zwangsmaßnahmen abgerückt war: Dadurch bleibe das Konzept ein "zahnloser Tiger", bedauerte der DMB-Präsident Franz-Georg Rips.

Einen Tag später krititisierte DMB-Präsident Rips die zitierte Äußerung der Kanzlerin als "nicht nachvollziehbar und offensichtlich nicht zu Ende gedacht". Er verlangte, daß die Mietererhöhungen nicht höher sein dürften als die Einsparung bei den Heizkosten. Dabei hatte Merkel im Grunde nur bekräftigt, was bereits seit dem 6. September im damals veröffentlichten Entwurf des Energiekonzepts zu lesen war. Anscheinend hatte man beim Mieterbund, der politisch traditionell der SPD nahesteht, den Text nicht richtig gelesen oder verstanden.

Der traditionell eher den Unionsparteien und der FDP verbundene Verband Haus & Grund hatte dagegen das usprüngliche Konzept heftig kritisiert: "Der geplante Standard Null-Emission wird viele Eigentümer langfristig dazu zwingen, ihre Häuser abzureißen", erklärte Generalsekretär Andreas Stücke am 8. September (und gab damit anscheinend den Anstoß zur nachträglichen Einfügung der "Abriß-Prämie"). Nach der Streichung der vorgesehenen Malus-Regelung erklärte Haus & Grund-Präsident Rolf Kornemann: "Der Einsatz von Bauminister Ramsauer sowie der Fachpolitiker aus den Koalitionsfraktionen für die Eigentumsfreiheit hat sich gelohnt."

"Die Kosten werden wohl größer sein als die der deutschen Wiedervereinigung"

Die "Frankfurter Allgemeine" (30.9.), die sonst der schwarz-gelben Regierung eher zugetan ist, empfand angesichts des jetzt vorgelegten Energiekonzepts große Bauchschmerzen und prophezeite Kosten, die noch über denen der Wiedervereinigung liegen:

"Deutschland allein kann das Weltklima nicht retten; dennoch beschließt die Bundesregierung mit ihrem Energiekonzept den Umbau der hochindustrialisierten deutschen Volkswirtschaft zur ökologischen Musterwirtschaft – die Kosten hierfür werden wohl größer sein als die der deutschen Wiedervereinigung. Der Vision einer kohlenstofffreien Wirtschaft wird sogar das hundert Jahre alte Ziel einer sicheren, kostengünstigen Eigenversorgung mit Strom geopfert."

In der Tat wirkt das Energiekonzept der Bundesregierung unausgegoren, finanziell unrealistisch und vor allem mit Blick auf die energetische "Sanierung" von Altbauten verfehlt. Die im Titel versprochene "bezahlbare Energieversorgung" ist ein Euphemismus für weiter steigende Energiepreise und andere Belastungen, die durch das Energiekonzept programmiert werden. Daß sie damit nicht viel Beifall finden wird, ahnt die Bundesregierung wohl selber, denn einen der insgesamt neun Punkte widmet sie den notwendigen Bemühungen um "Transparenz und Akzeptanz". Die Umsetzung könne nur gelingen, "wenn die künftige Energiepolitik für die Bürgerinnen und Bürger verständlich und nachvollziehbar ist", heißt es da. "Für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe sind Wirtschaft und Politik gleichermaßen gefordert." Spezielle Propaganda-Offensiven sollen außerdem die Akzeptanz des Baues neuer Hochspannungsleitungen und der Kohlendioxid-Einlagerung erhöhen. Zumindest PR-Branche, Werbeagenturen und die unter Anzeigenschwund leidenden Medien dürfen sich deshalb von dem Energiekonzept einiges erhoffen.

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