Dezember 2024 |
241204 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die rechnerisch erzielten CO2-Minderungen, die auf Gutschriften für Biokraftstoffe (grün) und UER-Zertifikaten (rot) beruhen, stehen großteils auf schwachen Füßen. Am solidesten wirken noch die Gutschriften für Elektromobilität (gelb), die 2023 weiter zugenommen haben. |
Die in Deutschland tätigen Mineralölkonzerne haben auch 2023 spielend die gesetzliche THG-Quote erfüllt, die ihnen im vergangenen Jahr eine Minderung der von ihnen verursachten CO2-Emissionen um 8 Prozent abverlangte (siehe Grafik 2). Das ergibt sich aus vorläufigen Angaben des Hauptzollamts Frankfurt (Oder), das die Daten zur Erfüllung der THG-Quote erfasst. Die mit dem Verkauf von Benzin und Diesel zwangsläufig verbundenen CO2-Emissionen konnten die Unternehmen komplett durch Beimischung von Biokraftstoffen sowie andere "Erfüllungsoptionen" kompensieren, die in § 37a Absatz 5 des Bundesimmissionsschutzgesetzes vorgesehen sind. Und nicht nur das: Mit einer rechnerisch erreichten Emissionsminderung von 18.883.382 Tonnen CO2-Äquivalent übertrafen sie die Gesamtverpflichtung der Branche um 8.068.798 Tonnen oder 43 Prozent. Außerdem hat die Mineralölindustrie zum ersten Mal die von Jahr zu Jahr steigende THG-Quote komplett durch Nutzung der zugelassenen Kompensationsmöglichkeiten erfüllt und deshalb keinen Cent "Ausgleichsabgabe" zahlen müssen, wie das im Vorjahr mit insgesamt 31,5 Millionen Euro noch der Fall war.
Aber leider besagt diese vermeintlich stolze Bilanz des Klimaschutzes nicht, dass die rechnerisch ermittelten Emissionsminderungen auch in der Praxis zu Buche schlagen. Vielmehr liegen diesen Berechnungen etliche Unstimmigkeiten zugrunde, die mehr als Schönheitfehler sind. Wie man seit längerem weiß, sind die wichtigsten "Erfüllungsoptionen" eben keineswegs so belastbar, wie das ein offenbar sehr blauäugiger Gesetzgeber meinte, als er das famose Instrument der UER-Zertifikate einführte, das in der Bilanz des Jahres 2023 mit einer CO2-Minderung von angeblich 2.014.030 Tonnen CO2-Äquivalent als zweitwichtigster Posten zu Buche schlägt. Nach bisherigem Kenntnisstand sind diese Zertifikate größtenteils nichts wert (240608).
Außerdem sind auch die Biokraftstoffe, die den allergrößten Teil der rechnerisch
ermittelten CO2-Minderungen ausmachen, keineswegs so "bio", wie es
den gesetzlichen Vorschriften entspräche. Nur überprüft das keiner. Noch schlimmer:
Es lässt sich offenbar gar nicht überprüfen, ob die in großen Mengen aus China
importierten Biokraftstoffe, die dem Mineralöl-Sprit beigemischt werden, tatsächlich
aus der Verwertung von Altölen oder aus frischem Palmöl stammen. Im ersten Fall
darf man sie sogar doppelt auf die CO2-Quote anrechnen. Im zweiten Fall sind
sie seit 2023 nicht mehr erlaubt, weil Palmöl-Plantagen keinesfalls als umweltfreundlich
gelten können.
Mit einer Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes wurde 2015 die Mineralölindustrie verpflichtet, die durch Benzin und Diesel verursachten CO2-Emissionen bis 2030 stufenweise um 25 Prozent zu senken oder eine entsprechende "Ausgleichsabgabe" zu zahlen. Zugleich wurde es ihr ermöglicht, diese CO2-Minderungsverpflichtungen durch den Erwerb von Gutschriften für die Verwendung von Bio-Kraftstoffen, Elektrofahrzeugen oder anderen CO2-Einsparungen zu erfüllen. Inzwischen soll diese THG-Quotenregelung in ein zweites EU-Emissionshandelssystem (ETS 2) für Gebäude, Verkehr und andere Sektoren einbezogen werden, das ab 2027 startet und den seit 2005 bestehenden Emissionshandel für Kraftwerke und andere Großfeuerungsanlagen (ETS 1) ergänzt. Miteinbezogen wird dabei auch die seit 2021 erhobene CO2-Abgabe auf Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas, die mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (191103) eingeführt wurde. |
Am 10. Dezember beleuchtete das ZDF-Magazin "frontal" ein weiteres Mal die fortdauernden Ungereimtheiten, indem es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ausrechnen ließ, dass allein die chinesischen "Fake-Projekte" einen Marktwert von rund einer Milliarde Euro hätten. Ergo hätten die deutschen Autofahrer an den Tankstellen diese Summe für Klimaschutzprojekte der Mineralölindustrie gezahlt, die vermutlich gar nicht zum Klimaschutz beitrugen. An dieser Überlegung stimmt, dass die Mineralölindustrie alle Kostenbestandteile über die Spritpreise an die Verbraucher weitergibt, und oft sogar noch eine überhöhte Gewinnmarge draufsattelt, wie die teilweise Nichtweitergabe der Mitte 2022 erfolgten Steuersenkung auf Benzin und Diesel gezeigt hat (220605). Andererseits wäre den Tankstellen-Kunden jedoch noch wesentlich mehr abverlangt worden, wenn die Flut von genauso billigen wie fragwürdigen Kompensationsmöglichkeiten die THG-Quotenpreise nicht so stark gesenkt hätte, dass diese binnen eines Jahres von über 400 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent auf weniger als hundert Euro abstürzten (240802). In jedem Fall waren die Kosten weit geringer, als wenn die Mineralölkonzerne die ersatzweise fällige "Ausgleichsabgabe" auf die Spritpreise abgewälzt hätten. Insofern hatte die Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) recht, als sie im Interview mit "frontal" erklärte: "Diese betrügerischen Projekte waren letzten Endes an der Tankstelle eher billiger zu haben als gute Klimaschutzprojekte, die auch wirklich eine Klimawirkung gehabt hätten."
Die regelmäßige Übererfüllung der THG-Quote war 2023 so groß wie noch nie. Sie darf nun zwei Jahre lang nicht mehr auf die THG-Quote angerechnet werden, bleibt aber als Guthaben erhalten. |
Keine wirkliche Abhilfe, sondern eher dürftiges Pflaster auf eine chronische Wunde ist die Novellierung der 38. Bundesimmissionsschutzverordnung, die das Bundeskabinett am 13. November beschloss und inzwischen in Kraft trat: Demnach darf die Mineralölindustrie zur Erfüllung der Treibhausgasminderungsquote in den kommenden zwei Jahren nur noch solche rechnerischen CO2-Minderungen verwenden, die auch im selben Jahr erzielt wurden. Grundsätzlich bleibt es aber weiterhin möglich, Übererfüllungen der THG-Quote aus der Vergangenheit anzusparen und später anrechnen zu lassen. Diese Option wird lediglich für die Jahre 2025 und 2026 ausgesetzt. Die Bundesregierung sende damit "ein starkes Marktsignal an die Branche für erneuerbare Energien im Verkehr", meinte die Bundesumweltministerin Lemke. "Mit der Sofortmaßnahme sichern wir den Zielpfad für CO2-Minderungen im Kraftstoffbereich ab und verbessern die wirtschaftliche Situation von Herstellern von fortschrittlichen Biokraftstoffen und grünem Wasserstoff sowie Betreibern von Ladesäulen."
Das sieht die betroffene Biokraftstoff-Branche anders. Die Neuregelung werde "voraussichtlich eine leicht stabilisierende Wirkung auf dem THG-Quotenmarkt entfalten", erklärte die Sprecherin der "Initiative gegen Klimabetrug", Sandra Rostek. "Doch lindern diese Maßnahmen lediglich die Symptome, unter denen der Markt leidet. Die massive Übererfüllung der THG-Quote stammt vor allem aus erwiesenermaßen weit überwiegend gefälschten Upstream-Emission-Zertifikaten und vermeintlich fortschrittlichen Biokraftstoffen, welche sehr wahrscheinlich aus umdeklariertem Palmöl stammen. So macht sich die Politik zum Steigbügelhalter des Klimabetrugs."
zum Betrug mit UER-Zertifikaten und falsch deklarierten Biosprit-Importen
zu Vorgaben für Treibhausgas-Minderungsquote und Biokraftstoffe