September 2024 |
240901 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Beimischung von Biokraftstoff zu Diesel und
Benzin (hellgrün) sowie die Verwendung reiner Biokraftstoffe (dunkelgrün)
war bis 2017 die einzige Option, mit der die Mineralölwirtschaft die
2015 eingeführte Treibhausgasminderungsquote erfüllen konnte. Dann kamen
noch weitere Kraftstoffe bzw. "Erfüllungsoptionen" hinzu, von
denen jedoch ab 2020 nur die UER-Zertifikate für die Vermeidung von
Emissionen bei der Ölförderung (rot) sowie ab 2022 die THG-Gutschriften
für Elektromobilität (gelb) größere Bedeutung erlangten.
Quelle: Hauptzollamt Frankfurt (Oder)
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Der starke Rückgang der "THG-Quotenpreise" hat mehr als 40 Unternehmen und 10 Verbände zur Gründung einer "Initiative Klimabetrug stoppen" veranlasst, die sich am 4. September bei einer Pressekonferenz in Berlin vorstellte. Mitglied ist auch die Landwärme GmbH, die im August Insolvenz in Eigenverwaltung beantragte (240802). Ebenso wie dieser Biomethan-Händler sieht die Initiative den Hauptgrund für den starken Verfall der THG-Quotenpreise seit Anfang 2023 im Betrug mit UER-Zertifikaten sowie in falsch deklarierten Biokraftstoff-Importen aus China, die nicht den hiesigen Vorschriften entsprechen.
Die drei Sprecher der Initiative vertreten insbesondere solche Unternehmen, die Biokraftstoffe herstellen und die THG-Quotenprämien für Elektroautos sowie andere "Erfüllungsoptionen" vermarkten: Sandra Rostek leitet mit dem "Hauptstadtbüro Bioenergie" die gemeinsame Interessenvertretung von Bundesverband Bioenergie (BBE), Deutscher Bauernverband (DBV), Fachverband Biogas (FvB) und Fachverband Holzenergie (FVH). Stefan Schreiber ist Vorstand des großen Biokraftstoff-Herstellers Verbio SE. Marc Schubert ist Vorsitzender des Bundesverbands THG-Quote und Geschäftsführer des THG-Quotenvermarkters "Elektrovorteil".
In einer gemeinsamen Erklärung verlangten die Mitglieder der Initiative die "Aufklärung aller fragwürdigen Geschäftspraktiken in den Bereichen Biokraftstoffe und UER-Projekte". Sie kritisierten, dass die UER-Zertifikate aktuell weiterhin von der Mineralölindustrie verwendet werden, um ihre Verpflichtungen zur Senkung der CO2-Emissionen aus dem Vertrieb von fossilen Kraftstoffen rein rechnerisch zu senken, obwohl die Bundesregierung beschlossen hat, die ursprünglich bis 2026 geplante Anrechnung solcher Zertifikate ab dem kommenden Jahr vorzeitig zu beenden (240608). Sie verlangten eine nachträgliche Überprüfung aller bisher anerkannten UER-Projekte und die rückwirkende Aberkennung der Emissionsminderung, wenn die Zertifizierung aufgrund falscher Angaben erfolgt ist. Außerdem müsse die Bundesregierung dem Import von mutmaßlich falsch deklarierten Biokraftstoffen aus China einen Riegel vorschieben, die entgegen den geltenden Vorschriften aus Palmöl oder gebrauchten Speiseölen ("Frittenfett") hergestellt würden.
Die Vorwürfe der Initiative sind insofern berechtigt, als die CO2-Minderungen bei der Ölförderung, die seit 2019 vom Umweltbundesamt mit den UER-Zertifikaten bescheinigt wurden, mit Sicherheit teilweise und wahrscheinlich sogar größtenteils auf falschen Angaben der beteiligen Projektanmelder und Prüfinstitute beruhen (240608). Diesen Eindruck gewann inzwischen auch das Umweltbundesamt, als es acht solcher angeblichen Klimaschutzprojekte in China überprüfte, bei denen der Antrag auf Anerkennung noch anhängig war. Wie die Behörde am 6. September mitteilte, haben sieben der acht Projektträger die angedrohte Vor-Ort-Überprüfung und den voraussichtlichen Ablehnungsbescheid erst gar nicht abgewartet, sondern ihre Anträge wieder zurückgezogen, nachdem sie "mit gravierenden rechtlichen und technischen Ungereimtheiten bei ihren Projekten konfrontiert" wurden. Die Behörde will nun die bereits anerkannten 45 UER- Projekte in China nochmals selber unter die Lupe nehmen. Falls sich der Betrugsverdacht bestätigt, will sie sich zudem um Rückabwicklung der erteilten CO2-Gutschriften bemühen, soweit dies noch möglich und sinnvoll ist.
Vermutlich wird sich bei der Überprüfung herausstellen, dass diese Ölförder-Anlagen – soweit sie überhaupt existieren – schon seit Jahren in Betrieb waren oder weiterhin keine Begleitgasnutzung haben. Diese Nachprüfung wäre eigentlich Aufgabe der deutschen Prüfinstitute gewesen, auf deren Angaben sich das Umweltbundesamt verließ. Diese haben aber offenbar geschludert oder sogar mit den Projektanmeldern konspiriert. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt deshalb gegen 17 Personen wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges. Bei den Beschuldigten handelt es sich um Geschäftsführer bzw. Mitarbeiter von Prüfstellen, die an der Verifizierung von UER-Projekten beteiligt gewesen sein sollen (240706).
Da seit 1. Juli keine neuen Projekte mehr beantragt werden können, ist sichergestellt, dass der Schaden nicht noch größer wird, der durch die Upstream-Emissionsminderungs-Verordnung (UERV) entstanden ist. Die Verordnung sollte ursprünglich bis 2026 gelten und zu Treibhausgas-Einsparungen bei der weltweiten Ölförderung anreizen, indem die dabei anfallenden Begleitgase nicht mehr einfach abgefackelt, sondern durch Umbau der Anlage energetisch genutzt werden. Insgesamt wurden bisher weltweit 75 solcher UER-Projekte genehmigt, davon 66 in China.
Es spricht auch einiges dafür, dass die Importe von billigen Biokraftstoffen aus China, die den hiesigen Herstellern stark zu schaffen machen, nicht den geltenden Vorschriften entsprechen. Dies lässt sich aber nicht durch Analyse des Endprodukts feststellen, sondern würde einen entsprechenden Nachweis der unzulässigen Herstellungsweise voraussetzen. Eine Beschränkung oder gar ein völliges Verbot der chinesischen Importe ist deshalb kaum vorstellbar, zumal die Mineralölindustrie zu den Nutznießern dieser zweifelhaften Importe gehört.
Den Strom-Anteil an den Erfüllungsoptionen gibt es schon seit 2018. Er spielte aber keine nennenswerte Rolle, bis ihn ab 2021 zunehmend auch private Besitzer von Elektrofahrzeugen geltend machten. Von 2021 bis 2022 stieg er fast um das Neunfache. Durch die erfolgreiche Werbung der Quotenvermarkter hat er sich 2023 nochmals mehr als verdoppelt und so zum Überangebot beigetragen. Quellen: Zoll/Evaluierungs-Bericht
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Die Betrügereien bei den UER-Zertifikaten sowie die mutmaßlichen Mängel bei den Biokraftstoff-Deklarationen sind aber sicher keine hinreichende Erklärung für den starken Rückgang der THG-Quotenpreise, die Anfang 2023 noch bei über 400 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent lagen und derzeit nur noch etwa hundert Euro betragen (siehe 240802). Vielmehr bieten die unterschiedlichen "Erfüllungsoptionen", die in § 37a Abs. 5 des Bundesimmissionsschutzgesetzes aufgelistet werden, der Mineralölindustrie auch ohne Betrug so viele Möglichkeiten zum Ausgleich ihrer jährlich steigenden CO2-Minderungsverpflichtungen, dass sie diese Verpflichtung mühelos durch den Ankauf von Kompensationsnachweisen erfüllen kann – und zwar zu Kosten, die weit unter den 600 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent liegen, die sie sonst als Ausgleich zu zahlen hätte.
Dazu beigetragen hat neben den UER-Zertifikaten, die seit 2020 für meistens sehr fragwürdige CO2-Einsparungen bei der Ölförderung ausgestellt wurden, auch die Honorierung von Strom für den Antrieb von Fahrzeugen anstelle von Benzin oder Diesel. Im Prinzip konnten dafür schon seit 2018 Gutschriften erteilt werden. Größere Bedeutung erlangten diese Gutschriften für den Ersatz von fossilen Kraftstoffen durch Strom aber erst mit dem 2021 beschlossenen Gesetz zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungsquote. Dieses Gesetz, das die bis dahin geltende THG-Quote von 6 Prozent bis zum Jahr 2030 stufenweise auf 25 Prozent erhöht, ermöglichte es erstmals auch den privaten Besitzern von Elektroautos, am Quotenhandel teilzunehmen. Zusammen mit der aus dem Vorjahr übertragenen Übererfüllung der Minderungsverpflichtung konnte die Mineralölindustrie so für das Jahr 2022 insgesamt eine Emissionsminderung um 16.713.121 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent geltend machen.
Neuere Zahlen gibt es kaum, da die vom Hauptzollamt Frankfurt (Oder) erfassten statistischen Daten zur THG-Quote bisher nur bis 2022 vorliegen. Der Bericht zur Evaluierung der THG-Quote, den die Bundesregierung gemäß § 37g des Bundesimmissionsschutzgesetzes alle zwei Jahre erstellen muss und zuletzt am 29. August dem Bundestag übermittelte, ist aus diesem Grund auch nicht viel aktueller. Immerhin lässt sich ihm aber entnehmen, dass dem Umweltbundesamt für das Jahr 2023 insgesamt 3.606 Gigawattstunden an Strom zur Anrechnung auf die TGH-Quote gemeldet wurden. Davon entfielen1.079 GWh auf öffentliche Ladepunkte und 2.527 GWh auf die pauschalen Schätzwerte für das nichtöffentliche Laden von reinen Batteriefahrzeugen (siehe Grafik 2).
Bemerkenswert ist ferner eine "statistische Auswertung des Vollzugs der 38. BImSchV für das Verpflichtungsjahr 2023", die das Umweltbundesamt im April vorlegte. Demnach erhöhte sich die auf die THG-Quote anrechenbare Strommenge, welche die Betreiber von Ladesäulen und die Besitzer von Elektroautos geltend machen können, im Jahr 2023 um 45 Prozent. Zugleich ging jedoch die Anzahl der Anträge um deutlich mehr als die Hälfte zurück. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, dass inzwischen schätzungsweise rund hundert Firmen – vor allem Start-ups, aber auch etablierte Unternehmen wie Stromtarifvergleicher oder der ADAC – die individuellen Ansprüche der Elektroauto-Besitzer als neues Geschäftsfeld entdeckt haben. Die Besitzer von Elektroautos werden seitdem regelrecht umworben, ihre ungenutzten Ansprüche auf die THG-Quotenprämie durch diese Firmen vermarkten zu lassen. Dafür bekommen sie die Prämie nach Abzug einer Provision direkt ausbezahlt. Die Dienstleister erledigen dann die notwendigen Formalitäten und verkaufen die vom Umweltbundesamt bescheinigten Emissionsminderungen gebündelt an die Mineralölindustrie.
Diese Aktivierung eines bislang brachliegenden Geschäftsfeldes dürfte ebenfalls zu dem Überangebot aus "Erfüllungsoptionen" beigetragen haben, das die THG-Quotenprämie binnen eines Jahres von über 300 auf etwa 100 Euro sinken ließ. Zu den Mitgliedern der "Initiative Klimabetrug stoppen" gehören etliche solcher Vermarkter von THG-Quotenprämien. Sie sind insofern nicht nur Leidtragende des Prämien-Verfalls, sondern durch ihre erfolgreiche Geschäftstätigkeit auch eine der Ursachen des Überangebots.
Das Bundesumweltministerium scheint die Problematik der Betrügereien wie auch die des generellen Überangebots zunächst unterschätzt zu haben. Inzwischen will es sich aber nicht mehr nur darauf verlassen, dass die THG-Quote in den nächsten sechs Jahren von aktuell 9,25 Prozent bis auf 25 Prozent ansteigen wird. Wie das Ministerium am 20. September mitteilte, bereitet es eine Novellierung der 38. Bundesimmissionsschutzverordnung vor: Dadurch wird die Übertragung von Übererfüllungen für zwei Jahre ausgesetzt. Somit können die Unternehmen in den Jahren 2025 und 2026 zur Erfüllung ihrer Verpflichtung ausschließlich CO2-Minderungen aus Erfüllungsoptionen nutzen, die in diesen Jahren eingesetzt wurden. Die CO2-Minderungen aus den Vorjahren verfallen dabei nicht, sondern können ab 2027 wieder zur Anrechnung gebracht werden. Wieweit diese Maßnahme ausreichen wird, das Angebot aus den diversen "Erfüllungsoptionen" zu senken und die THG-Quotenprämien zu erhöhen, wird sich noch herausstellen müssen.
Die jährlichen Minderungsverpflichtungen wurden
bisher von der Mineralölbranche regelmäßig durch Inanspruchnahme der
diversen Kompensationsmöglichkeiten übererfüllt (links). Die andernfalls
fällige "Ausgleichsabgabe" betraf 2022 nur 0,17 Prozent der
gesamten Minderungsverpflichtung, obwohl sie dem Staat immerhin 31,5
Millionen Euro einbrachte (rechts).
Quelle: Hauptzollamt Frankfurt (Oder)
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Ein Überangebot bestand im Grunde schon immer, da die Mineralölbranche hre Minderungsverpflichtungen regelmäßig übererfüllen konnte (Grafik 3). Diese Übererfüllung wurde dann jeweils auf das folgende Jahr übertragen. Einzige Ausnahme war die Übererfüllung des Jahres 2019, die zusammen mit der von 2020 erst 2021 als Übertrag verbucht wurde (siehe Grafik 1).
Dieser Gesamtüberschuss der Branche schloss indessen nicht aus, das es einzelne Unternehmen vorzogen, die beim Fehlen von Kompensationsnachweisen fällig werdende Pönale von 600 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent zu zahlen. Laut dem von der Bundesregierung vorgelegten Evaluierungs-Bericht flossen so im Jahr 2022 "Ausgleichsabgaben" von 31,5 Millionen Euro für eine unterbliebene Emissionsminderung von rund 53.000 Tonnen CO2-Äquivalent in die Staatskasse. Da die geltende THG-Quote von 7 Prozent die Mineralölbranche zu einer Minderung von rund 14 Millionen Tonnen verpflichtete, betrafen die Pönalen also nur einen sehr kleinen Anteil von etwa 0,17 Prozent (Grafik 3).