Mai 2024 |
240506 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der ehemalige EnBW-Vorstandsvorsitzende Andreas Schell, der im März vom Aufsichtsrat zum Rücktritt gezwungen wurde (240313), bekommt nach einer nur 16 Monate dauernden Amtszeit eine Abfindung von 6,42 Millionen Euro. Dies teilte der Aufsichtsratsvorsitzende Lutz Feldmann am 7. Mai im nichtöffentlichen Teil der Hauptversammlung mit. Schells Gesamtbezüge betrugen im vergangenen Jahr 2,74 Millionen Euro. Demnach wird die Abfindung nicht nur entgangene Einkünfte aus der Restlaufzeit seines dreijährigen Vertrages ausgleichen, sondern darüber hinaus einen Bonus von mehr als drei Millionen Euro enthalten.
Die EnBW kann sich solche Großzügigkeit leisten: Im Geschäftsjahr 2023 erzielte sie nach eigener Einschätzung "ein außergewöhnlich hohes Konzernergebnis". Das Adjusted EBITDA lag mit 6,4 Milliarden Euro um 60 Prozent über dem Vorjahr. Es war die siebte Ergebnissteigerung in Folge. Die Hauptversammlung genehmigte sich deshalb auf Vorschlag des Vorstands eine Erhöhung der Dividende um 36 Prozent, was einer "moderaten Ausschüttungsquote" von 15 Prozent entspreche.
Ihren Stromkunden hat die EnBW dagegen wieder mal tief in die Tasche gegriffen, als sie ihnen zum 1. April eine "Preisanpassung" um 16 Prozent zumutete (240206). Vor diesem Hintergrund nahmen die in Karlsruhe erscheinenden "Badischen Neuesten Nachrichten" (10.5.) die Abfindung für den abgehalfterten EnBW-Chef zum Anlass von Berechnungen, wie lange ein Normalverdiener arbeiten müsste, um in den Genuss eines derartigen Geldsegens zu kommen: Ausgangspunkt war jeweils das durchschnittliche Jahresgehalt einer Berufsgruppe. Ein Grundschullehrer müsste demnach rund 113 Jahre lang arbeiten, ein Dachdeckermeister 118 Jahre, ein Fliesenlegermeister 119 Jahre, ein Kfz-Mechatroniker 129 Jahre, ein Bauarbeiter 157 Jahre, ein Altenpfleger 145 Jahre, eine Umzugs-Fachkraft 180 Jahre und ein Bäckereifachverkäufer 211 Jahre. Derartige Normalverdiener bräuchten also mindestens eine bis drei Wiedergeburten, um bis zum Rentenbezug soviel Einkünfte erzielen zu können, wie sie die Aufsichtsräte der EnBW einem leitenden Angestellten spendieren, um ihn mit der üblichen Floskel von der "Trennung in gegenseitigem Einvernehmen" zwanzig Monate vor Auslaufen des Vertrags loszuwerden.
Der Vorgang erinnert ein bißchen an die fürstliche Frührente von jährlich 399.000 Euro, die seinerzeit Utz Claassen eingeräumt wurde, als er mit 39 Jahren den Chefposten bei der EnBW übernahm. Als er dann mit 44 Jahren auf eine Vertragsverlängerung verzichtete, hätte er diese Frührente in einer Gesamthöhe von über sieben Millionen Euro solange beanspruchen können, bis sie bei Erreichen der Altersgrenze von 63 Jahren nahtlos in die entsprechende EnBW-Pension übergegangen wäre (070803). Dazu kam es nur deshalb nicht, weil Claassen sich die Einkünfte aus neuer beruflicher Tätigkeit nicht auf die Frührente anrechnen lassen wollte (090316). Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der neuen EnBW-Führung verzichtete er deshalb auf diesen Anspruch – allerdings nur gegen Zahlung einer einmaligen Abfindung von 2,5 Millionen Euro (091016).
Hauptsächlich in die Amtszeit von Claassen fiel übrigens auch jene Posse, bei der die EnBW rund 220 Millionen Euro für den Erwerb von Anteilen an Gasfeldern auszugeben gedachte, in Wirklichkeit aber im russischen Sumpf versenkte. Als Gegenleistung wurde der EnBW-Chef Claassen in der russischen Botschaft mit dem "Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus" dekoriert (050712). Hinterher wollte er nichts von den sinnlos ausgegebenen Millionen gewusst haben, die ein zwielichtiger Lobbyist eingesackt und teilweise für klerikale Propaganda zur Stützung des Putin-Regimes ausgegeben hat (Hintergrund, Mai 2021).
Auch bei der jüngsten Hauptversammlung der EnBW waren die Aktionäre wie bei der vorherigen nur virtuell zugegen. Das mit Vertretern von Geschäftsführung und Aufsichtsrat sowie Hilfspersonal besetzte Podium befand sich dabei nicht am Unternehmenssitz in Karlsruhe, sondern in Stuttgart, wo die EnBW-Aktie an der Börse notiert wird. Der eher zeremonielle Teil der Veranstaltung wurde per Internet öffentlich übertragen, nicht aber die Mitteilung über die Abfindung für den entlassenen Vorstandsvorsitzenden. Vermutlich ist sie aus dem Kreis der privaten Kleinaktionäre an die Öffentlichkeit gelangt. Diese vertreten insgesamt 0,39 Prozent des Kapitals. Dem Vernehmen nach kritisierten sie in der Diskussion über den Geschäftsbericht die nur knapp abgewendete Insolvenz der EnBW-Tochter BMP Greengas (231209) sowie Probleme der Tochter Senec, bei deren Stromspeichern Brände auftraten. Im übrigen befinden sich die über 276 Millionen Aktien des Unternehmens zu über 99 Prozent im Eigentum der öffentlichen Hand, wobei das Land Baden-Württemberg und der Kommunalverband OEW mit jeweils 46,75 Prozent die bestimmenden Großaktionäre sind. Den Rest besitzen drei kleinere Kommunalverbände (4,05 Prozent) und die EnBW selber (2,08 Prozent).