Februar 2024 |
240202 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach längeren internen Auseinandersetzungen hat die Ampelkoalition am 5. Februar endlich ihre "Kraftwerksstrategie" vorgelegt. Sie soll den seit Juli 2020 gesetzlich beschlossenen Kohleausstieg bis 2038 (200701) bzw. dessen nachträglich vereinbartes Vorziehen bis 2030 (221004) ermöglichen. Zugleich soll sie den zügigen Ausbau der erneuerbaren Stromquellen Windkraft und Photovoltaik absichern, wie ihn die Regierungskoalition im Juli 2022 beschloss, um den Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf mindestens 80 Prozent zu erhöhen (220703). Das von allen drei Regierungspartnern gebilligte Konzept sieht die kurzfristige Ausschreibung von Gas-Kraftwerkskapazitäten vor, um den Wegfall der Kohlekraftwerke zu kompensieren und den erhöhten Bedarf an Regelenergie sicherzustellen, den eine größtenteils auf erneuerbaren Quellen basierende Stromerzeugung erfordert.
Gegenüber einer früheren Ankündigung des Bundeswirtschaftsministeriums (220703) und den bisher im EEG vorgesehenen Regelungen schrumpft der Umfang der nunmehr geplanten Ausschreibungen um deutlich mehr als die Hälfte. Die Abstriche wurden offenbar mit der Strom- und Gasbranche abgestimmt bzw. erfolgten sogar auf deren Vorschlag. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatte sie bereits in einer Pressemitteilung vom 11. Januar antizipiert, in der er "unbedingt" eine Überprüfung der vorgesehenen EEG-Förderung für "Wasserstoff-Sprinter" und "Wasserstoff-Hybrid-Kraftwerke" verlangte (240104). In einer weiteren Stellungnahme vom 5. Februar begrüsste die BDEW-Chefin Kerstin Andreae (190803) den nun verkündeten Beschluss der Koalition: "Es ist richtig, im Rahmen der neuen Kraftwerksstrategie aus Kostengründen zunächst mit der Ausschreibung von neuen wasserstofffähigen Kraftwerken zu starten. Dies hatte die Energiebranche als Beitrag zur Kosteneffizienz vorgeschlagen. Richtigerweise werden teuere Hybrid- und Sprinter-Kraftwerke in der Strategie zurückgestellt."
Wie es in der gemeinsamen Pressemitteilung der drei Koalitionäre heisst, haben sich der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Grüne) und der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) darauf geeinigt, kurzfristig die Errichtung von Gaskraftwerken mit einer Kapazität von "bis zu 4 mal 2,5 GW" auszuschreiben. Das ergibt insgesamt bis zu 10 Gigawatt. Diese Kraftwerke sollen ab 2028 an "systemdienlichen Standorten" in Betrieb gehen, um die jeweils verbleibende Residuallast abzudecken, die den schwankenden Beitrag der erneuerbaren Stromquellen übersteigt. Sie dienen also der Netzunterstützung und nicht der allgemeinen Stromerzeugung, für die ihr Betrieb auch zu teuer wäre. Trotzdem sollen die Betreiber auf ihre Kosten kommen. Und zwar durch eine Lösung, die schon die bloße Bereithaltung von Kapazität vergütet. Über die muss aber erst noch verhandelt werden. Die Einigung über diesen "marktlichen, technologieneutralen Kapazitätsmechanismus" soll bis spätestens zum Sommer dieses Jahres erfolgen.
Alle Anlagen sind "H2-ready", wie ein neuerdings vielstrapazierter Anglizismus für vorbereitende Maßnahmen zur späteren Umstellung auf Wasserstoff lautet. Diese Umstellung soll aber erst zwischen 2035 und 2040 erfolgen, wobei das genaue Umstiegsdatum ab 2032 festzulegen wäre. Das bedeutet, dass sich in den beiden nächsten Jahrzehnten an der Erdgasbasierung der netzunterstützenden Kraftwerksleistung nicht viel ändert. Die Abhängigkeit vom Erdgas wird infolge des Wegfalls der Kohle eher noch größer. Auch die schließlich geplante Umstellung auf Wasserstoff ändert daran nicht viel, solange dieser Wasserstoff weiterhin größtenteils aus Erdgas erzeugt wird.
Theoretisch wäre es zwar spätestens ab 2040 möglich, diese neuen Gaskraftwerke auch mit Wasserstoff zu betreiben, der elektrolytisch aus den überschüssigen Grünstrom-Mengen von Wind- und Solarkraftwerken erzeugt wird, die bisher nutzlos abgeregelt und entschädigt (221205) oder für energetisch minderwertige Zwecke wie die Erzeugung von Fernwärme (230603) verwendet werden. Es ist indessen nicht mehr geplant, diese Technik anhand von Pilotprojekten zu erproben, wie es bisher noch die im Juli 2022 vom Bundestag beschlossenen Neufassung des EEG in § 28f vorsieht. Die erste von insgesamt zehn Ausschreibungen solcher "Hybridkraftwerke" im Umfang von 4,4 GW hätte eigentlich schon zum 15. Dezember 2023 stattfinden müssen. Dazu kam es aber nicht, weil auch eineinhalb Jahre nach der Beschlussfassung im Bundestag noch immer die notwendige Ausführungsverordnung fehlte. Vermutlich war das mehr auf Absicht als auf Schlamperei zurückzuführen. Auf einen Bruchteil minimiert werden anscheinend auch die 4,4 GW für reine Wasserstoffkraftwerke, deren Ausschreibung in § 28g EEG vorgesehen ist, denn die neu gefasste Vorgabe lautet nun: "Kraftwerke, die ausschließlich mit Wasserstoff laufen, werden bis zu 500 MW im Rahmen der Energieforschung gefördert."
Ein schwacher Trost bleibt, dass sich die Koalitionäre wenigstens darauf einigen konnten, bestehende Hemmnisse für die Erzeugung von "grünem" Wasserstoff aus den Überschüssen von Wind- und Solarkraftwerken zu beseitigen. "Die Nutzung von Überschussstrom wird uneingeschränkt ermöglicht", versichern sie in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung. "Alle bestehenden regulatorischen Hürden werden so weit wie möglich abgebaut." Was das konkret bedeuten soll, bleibt abzuwarten.
Sicher ist vorläufig nur, dass der Bundestag am 10. November die in § 118 EnWG enthaltene Netzentgeltebefreiung für neue Stromspeicher um weitere drei Jahre bis 2029 verlängert hat. Diese Regelung wurde mit zahlreichen anderen Änderungen der 2011 beschlossenen Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes (110602) eingefügt, weil neue Pumpspeicherkraftwerke nicht weiterhin wie Endverbraucher von Strom behandelt werden sollten (Hintergrund, August 2014). Profitiert haben davon vor allem Batteriespeicher, während der Anreiz zum Neubau von Pumpspeicherkraftwerken zu gering war. Eigentlich hätte man aber anstelle einer Verlängerung um drei Jahre die endgültige Abschaffung derartiger Stromspeicher-Belastungen erwarten dürfen.
Der Deutsche Wasserstoff-Verband (DWV) begrüßte die endlich erzielte Einigung innerhalb der Koalition, ließ aber auch deutliche Kritik anklingen: "Nur mit Wasserstoff-Kraftwerken, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden, können die Klimaziele 2030 erreicht und gleichzeitig die Stromversorgung vollkommen witterungsunabhängig in einer erneuerbaren Energiewirtschaft gesichert werden", unterstrich der DWV-Vorstandsvorsitzende Werner Diwald. Er verwies darauf, dass laut einer Analyse des Bundeswirtschaftsministeriums bis 2030 über 23 GW an wasserstofftauglichen Gaskraftwerken zur Absicherung der Stromversorgung erforderlich sind. Es stelle sich daher die Frage, warum in der Eckpunkte-Vereinbarung zur Kraftwerksstrategie nur insgesamt 10,5 GW an Kraftwerksleistung ausgeschrieben werden sollen. Der DWV fordere deshalb die Ausschreibung der bereits seit langem angekündigten und im EEG 2023 verankerten 8,8 GW Hybrid- und Sprinterkraftwerke (240104). Zudem müssten weitere 15 GW an zukunftsfähigen H2-ready Kraftwerken in den nächsten drei Jahren ausgeschrieben werden, damit deren Fertigstellung bis 2030 gewährleistet werden kann.