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Die sogenannte Liberalisierung des Energiemarktes hat einen ungeheuren
Regelungsbedarf erzeugt, der sich unter anderem an der Wucherung des Energiewirtschaftsgesetzes
ablesen läßt. Das jetzt verabschiedete neue EnWG gleicht mehr
denn je einem Dschungel, in dem sich kaum noch jemand zurechtfindet. Im
Vergleich mit der bis 1998 gültigen Fassung hat es neunmal mehr Pagraphen
und den zwanzigfachen Textumfang. |
Neues Energierecht läßt alle drei Entflechtungs-Optionen zu
Der Bundestag verabschiedete am 30. Juni eine umfangreiche Novellierung des
Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Zu den wichtigsten Änderungen gehört
die Anpassung der Entflechtungs-Vorschriften an die vor zweieinhalb Jahren in
Kraft getretene neue EU-Richtlinie (090401). Für
vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen werden alle drei von der
EU vorgesehenen Entflechtungs-Optionen zugelassen: Die vollständige eigentumsrechtliche
Entflechtung (§ 8), der Unabhängige
Systembetreiber (§ 9) und der Unabhängige
Transportnetzbetreiber (§ 10). Der
gesamte Entflechtungs-Teil des EnWG umfaßt nun anstelle von bisher fünf
Paragraphen drei neue Abschnitte mit insgesamt sechzehn Paragraphen.
Zahlreiche Änderungen machen den Umfang des EnWG noch monströser
Daneben enthält das novellierte Gesetz eine Fülle weiterer Änderungen,
die den Textumfang gegenüber der alten Fassung aus dem Jahr 2005 nochmals
um etwa zwei Drittel anschwellen lassen. Im Vergleich mit der bis zur Liberalisierung
des Energiemarktes geltenden Fassung hat sich der Umfang des Gesetzes sogar
um das Zwanzigfache erhöht (siehe Grafik). Noch größeren
Umfang dürften die zahlreichen Rechtsverordnungen erreichen, die das EnWG
zur Regelung von Details vorsieht. Insgesamt hat sich das EnWG - ähnlich
wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (081203)
– zu einem monströsen, dschungelartigen Gebilde ausgewachsen, in
dem sich allenfalls Spezialisten noch zurechtfinden.
Parlamentarische Beratung der "Energiewende"-Gesetze wurde zur Farce
Die EnWG-Novellierung ist Bestandteil des Gesetzespakets zur "Energiewende",
das die Bundesregierung Anfang Juni vorlegte und am 30. Juni vom Bundestag verabschieden
ließ. Es enthält außerdem die ähnlich umfangreiche Neuregelung
der Erneuerbaren-Förderung (110603), die Neufassung
des Atomgesetzes (110601), das neue Gesetz zur Beschleunigung
des Netzausbaues (110604), die steuerliche Förderung
der "Gebäudesanierung" (110605) und
die Änderung des Klimafonds-Gesetzes (110606).
Die Windeseile, mit der dieses Gesetzespaket vorgelegt und durch die Gremien
gepeitscht wurde, ließ die parlamentarische Beratung und Beschlußfassung
zur Farce werden. Tatsächlich dürfte angesichts der Kürze der
Zeit sowie des Umfangs und der Kompliziertheit der Texte kaum ein Abgeordneter
in der Lage gewesen sein, sich selber ein vernünftiges Urteil über
die Gesetzesvorlagen zu bilden.
Regierung legt künftig in einem "Bundesbedarfsplan"
die notwendigen Netzausbauten fest
Das frisch novellierte Energiewirtschaftsgesetz wurde noch in derselben Sitzung
des Bundestags durch das ebenfalls beschlossene Gesetz zur Beschleunigung des
Netzausbaues sowie das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die
Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien um zusätzliche
Paragraphen und Sätze erweitert. Im folgenden werden die wesentlichsten
Änderungen aufgelistet, die zusätzlich zu den neuen Entflechtungs-Vorschriften
im novellierten EnWG enthalten sind:
- §§ 4a – 4d regeln
die Zertifizierung und Beaufsichtigung von Transportnetzbetreibern durch die
Bundesnetzagentur;
- § 5a verpflichtet die Energieversorgungsunternehmen
zur fünfjährigen Speicherung aller Daten über Geschäfte
mit Großhandelskunden und Transportnetzbetreibern inklusive Energiederivaten;
- §§ 12a 12g verpflichten die
Transportnetzbetreiber zur Aufstellung von jährlichen "Netzentwicklungsplänen"
in Zusammenarbeit mit der Bundesnetzagentur. Die Behörde hat ihrerseits
mindestens alle drei Jahre der Bundesregierung einen "Netzentwicklungsplan"
vorzulegen. Auf dieser Grundlage beschließt die Bundesregierung dann
einen "Bundesbedarfsplan", der dem Bundestag zur Genehmigung vorgelegt
wird.
- § 20a präzisiert die
Vorschriften für den Lieferantenwechsel: Beispielsweise darf das Verfahren
drei Wochen nicht überschreiten und für den Letztverbraucher mit
keinen zusätzlichen Kosten verbunden sein.
- §§ 21b 21i ersetzen die
bisherigen Vorschriften zu "Meßeinrichtungen". Der Meßstellenbetrieb
kann anstelle des Netzbetreibers auch von Dritten geleistet werden. Der Einbau
sogenannter intelligenter Zähler wird in allen Gebäuden zur Pflicht,
"soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar ist".
- § 40 schreibt vor, wie Strom-
und Gasrechnungen aussehen müssen, damit sie "einfach und verständlich"
sind. Die Lieferanten werden verpflichtet, den Letztverbrauchern eine monatliche,
vierteljährliche oder halbjährliche Abrechnung anzubieten.
- § 41 enthält ähnliche
Vorschriften für die Gestaltung von Lieferverträgen mit Haushaltskunden.
Beispielsweise müssen die Kunden auf die nach §
111b einzurichtenden Schlichtungsstelle zur Beilegung von Streitigkeiten
hingewiesen werden.
- § 42 regelt die Transparenz
der Stromrechnungen hinsichtlich Energie-Mix oder CO2-Emissionen. Die Stromlieferanten
haben ihre jeweiligen Stromkennzeichnungen der Bundesnetzagentur zu melden.
- §§ 43 45 erleichtert Netzausbauten.
Vor allem für den Bau neuer Hochspannungsleitungen sollen Planung, Anhörung
und eventuelle Enteignung beschleunigt werden. Nach § 43h sind neue 110-kV-Leitungen
möglichst als Erdkabel auszuführen. In diesen Zusammenhang gehört
auch der neue § 117b, der die
Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine
Verwaltungsvorschriften über die Durchführung der Verfahren zu erlassen.
- § 110 ersetzt die bisherige
Definition von "Objektnetzen" durch neu formulierte Bestimmungen
zu "geschlossenen Verteilnetzen". Der Gesetzgeber zieht damit die
Konsequenzen aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs und der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs, wonach der bisherige Paragraph mit europäischem
Recht kollidiert (110415).
- § 111a verpflichtet die Energieversorgungsunternehmen,
auf Verbraucherbeschwerden innerhalb einer Frist von vier Wochen ab Zugang
beim Unternehmen zu antworten.
- § 111b regelt die Beilegung
von Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Verbrauchern durch eine noch einzurichtende
Schlichtungsstelle. Es soll sich dabei nach Möglichkeit um eine "privatrechtlich
organisierte Einrichtung" handeln. Andernfalls hat das Bundeswirtschaftsministerium
diese Aufgabe einer Bundesoberbehörde oder Bundesanstalt zu übertragen.
- § 118 Abs. 3 entfällt.
Dadurch wird die Anbindung von Offshore-Windparks endgültig den Transportnetzbetreibern
zugeordnet, denn es entfällt die bisherige Beschränkung auf Offshore-Anlagen,
mit deren Errichtung bis zum 31. Dezember 2011 begonnen worden ist.
- § 118a bekräftigt die
in § 7 Absatz 1e des novellierten Atomgesetzes enthaltene Übergangsregelung
für den Reservebetrieb eines Kernkraftwerks und läßt die dadurch
entstehenden Kosten in die Netzentgelte eingehen.
Links (intern)
- Neue EU-Richtlinien für Binnenmärkte bei Strom und Gas verabschiedet
(090401)
- HTML Energiewirtschaftsgesetz in
der vom Bundestag am 30. Juni 2011 beschlossenen Fassung