August 2019

190803

ENERGIE-CHRONIK


Grünen-Politikerin Andreae wird Chefin des BDEW

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat am 13. August die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae zur neuen Vorsitzenden der Hauptgeschäftsführung berufen. Der aus Branchenvertretern bestehende Verbandsvorstand folgte damit einer einstimmigen Empfehlung des Präsidiums, dem auch der RWE-Vorstandsvorsitzende Rolf-Martin Schmitz angehört. Die 1968 geborene Diplom-Volkswirtin wird den neuen Posten zum 1. November übernehmen und gleichzeitig ihr Bundestagsmandat niederlegen. Damit rückt zum ersten Mal ein Mitglied der Grünen an die Spitze der Geschäftsführung. Vorgänger war der frühere FDP-Politiker Stefan Kapferer, der zum ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz wechselte (190613). Kapferer hatte seinerseits die frühere CDU-Politikerin Hildegard Müller ersetzt, die zur RWE-Tochter Innogy gegangen war (160115).

Schon 2014 übernahm ein Grüner den Vorsitz im Verbandspräsidum


Will nun "Lobbyarbeit für die Energiewende" leisten: Die Grünen-Abgeordnete Kerstin Andreae.
Foto: Deutscher Bundestag / Inga Haar

"Vor Jahren noch wäre eine Grüne in dieser Position undenkbar gewesen", bemerkte dazu die "Süddeutsche Zeitung" (6.8.) Allerdings zeichnete sich schon 2014 eine deutliche Aufweichung der alten Fronten ab, als die BDEW-Mitgliederversammlung den Technischen Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg, Johannes Kempmann, zum neuen Präsidenten des Branchenverbandes wählte (140606). Kempmann war früher als militanter Atomkraftgegner hervorgetreten und saß von 1986 bis 1994 für die Grünen im niedersächsischen Landtag. Inzwischen wurde er als BDEW-Präsident von der Entega-Chefin Marie-Luise Wolff abgelöst (180615).

Andreae kam erst ins Spiel, nachdem ein Sozialdemokrat abgesagt hatte

Zunächst wollte das BDEW-Präsidium die Geschäftsführung des Verbands dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies (SPD) übertragen, der aber nach zweiwöchiger Bedenkzeit absagte und sich für die Fortsetzung seiner politischen Karriere entschied. Erst dadurch kam die Grünen-Politikerin ins Spiel. "Andreae wird wohl abgewogen haben, warum sie den hochdotierten Lobbyposten den Unsicherheiten einer weiteren Parteikarriere vorzieht", bemerkte dazu die "Frankfurter Allgemeine" (6.8.). Andreae hatte 2013 für den Fraktionsvorsitz kandidiert, war aber Katrin Göring-Eckardt unterlegen, die ebenfalls zum "Realo"-Flügel der Partei gerecnnet wird. Bis 2017 war sie eine der fünf stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Voriges Jahr initiierte sie die Gründung eines "Wirtschaftsbeirats" der Partei, dem rund 50 Manager angehören, darunter der BASF-Chef Martin Brudermüller.

Mit dem Ausstieg aus Kernenergie und Kohle entfallen die wichtigsten Konfliktpunkte

Andreae begann ihre politische Karriere in Freiburg, wo sie 1999 für die Grünen in den Gemeinderat einzog. Zugleich wurde sie Mitglied im baden-württembergischen Landesvorstand der Partei. Seit 2002 sitzt sie im Bundestag. Sie ist derzeit noch Obfrau der Grünen im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und wirtschaftspolitische Fraktionssprecherin. Laut Bundestagshandbuch hat sie sich in Freiburg als "Finanzdienstleister im Bereich Windenergie" betätigt. Als Energiepolitikerin ist sie bisher aber nicht hervorgetreten.

Die Berufung von Kerstin Andreae zur Hauptgeschäftsführerin des Lobbyverbands der Energiewirtschaft verdeutlicht, dass mit dem so gut wie vollzogenen Ausstieg aus der Kernenergie und der prinzipiell beschlossenen Beendigung der Kohleverstromung die wichtigste Konfliktpunkte im Verhältnis zu den Grünen entfallen sind. Sogar die großen Energiekonzerne, die den Verband früher dominiert haben, setzen nicht mehr auf Atom- und Kohlekraftwerke, sondern auf die erneuerbaren Energiequellen. Hinzu kommen die Verschiebungen in der politischen Landschaft: Die Grünen haben sich nicht nur seit langem als wichtigste politische Kraft neben Union und SPD etabliert, sondern sind derzeit sogar dabei, die SPD in der Wählergunst zu überholen. Allein dies wäre für einen Wirtschaftsverband wie den BDEW genügend Grund, sie nicht mehr links liegen zu lassen.

Es hat sich einiges verändert, seitdem Gunda Röstel zu E.ON ging

Um die Bauchschmerzen vieler Parteifreunde wegen ihres Wechsels zu einem Lobbyverband zu beschwichtigen, hat sich Andreae auf ihrer Internetseite ein rhetorisches Trostpflaster einfallen lassen: "Viele fragen sich, ob ich nun Lobbyarbeit mache. Dies beantworte ich mit einem ganz klaren 'Ja'. Lobbyarbeit für die Energiewende, Lobbyarbeit für die Lebensadern Wasser und Energie, für den Klimaschutz."

Mit einigen Abstrichen dürfte diese Argumentation auch von der Mehrheit ihrer Parteifreunde akzeptiert werden. Als sich dagegen vor 19 Jahren die frühere Vorstandssprecherin der Grünen, Gunda Röstel, bei der E.ON-Tochter Gelsenwasser als Managerin für Projektentwicklung und Unternehmensstrategie verdingte (000906), wurde dies als kompromittierend empfunden. In Bundestagsdebatten wurde Röstel sogar parteiübergreifend als Beispiel für Opportunismus zitiert (060203, 030404). Erst ein Jahrzehnt später geriet ihr die politische Vergangenheit wieder zum Bonus, indem sie nach dem Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg in den Aufsichtsrat der EnBW einziehen durfte, in dem sie bis heute sitzt (110615).

 

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