Januar 2015

150114

ENERGIE-CHRONIK


 

49,5-Hertz-Problem – Bagatellgrenzen und nachzurüstende Anlagen
Anlagentyp Betroffene Anlagen nach
Leistungsklassen
Anlagenrestmenge,
auf deren
Nachrüstung
verzichtet wird
Nachzurüstende
Anlagen
Leistungsklasse
in kW
Inbetriebnahmejahr in GW in GW Anzahl
Windenergie >450 keine Grenze 0,3 12,1 11500
Feste Biomasse >100 keine Grenze <0,1 1,1 100
Biogas und
weitere
EEG-Typen
>100 2000 0,1 2,8 6500
KWK >5 000 keine Grenze 0,0 9,1 400
5 000 ≥ x > 100 2000 0,4 0,3 1000
Kleine
Wasserkraft
>100 keine Grenze <0,2 1,2 1500
Summe     1,0 26,7 21000

Höhere Frequenzschutz-Anforderungen für dezentrale Stromerzeuger

Die Systemstabilitätsverordnung (SysStabV), die am 26. Juli 2012 erstmals in Kraft trat und die Beseitigung der sogenannten "50,2-Hertz-Problematik" bei Photovoltaik-Anlagen bezweckte (120301), gilt jetzt in einer wesentlich erweiterten Fassung. Sie erfaßt nun auch Strom aus Windkraft, Biomasse, Deponie-, Klär-, Grubengas, kleinen Wasserkraftanlagen sowie KWK-Anlagen, der ins Mittel- oder Niederspannungsnetz eingespeist wird. Diese Anlagen müssen nun ebenfalls so eingestellt werden, daß sie bei Unter- oder Überschreitung der Sollfrequenz von 50 Hertz nicht schlagartig abschalten und dadurch die Netzstabilität gefährden. Die neugefaßte Verordnung wurde am 17. Dezember vom Bundeskabinett verabschiedet und tritt in Kraft, wenn der Bundesrat Anfang Februar zugestimmt hat.

Gemäß § 11 müssen die Frequenzschutzeinstellungen der neu erfaßten Anlagen nach Vorgaben der Netzbetreiber so festgelegt werden, daß bei einer Netzfrequenz zwischen 47,50 Hertz und einschließlich 50,20 Hertz keine automatische Trennung der Anlagen vom Stromnetz erfolgt. Die obere Abschaltfrequenz jeder einzelnen betroffenen Anlage muß zwischen 50,20 Hertz und einschließlich 51,50 Hertz liegen. Sie ist weiterhin so festzulegen, daß sich eine gleichmäßige Verteilung der oberen Abschaltfrequenzen über die gesamte Leistung des betroffenen Anlagenbestandes ergibt.

"49,50-Hertz-Problem" betrifft rund 21 000 Anlagen

Amtlicher Schwachsinn

Seit 14 Jahren dekretiert das "Bundesgleichstellungsgesetz" (BGleiG) in § 1 Abs. 1: "Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen." Das klingt gut, ist es aber nicht. Das Ergebnis war vielmehr eine behördlich sanktionierte Massenvergewaltigung der deutschen Sprache. Zumindest in amtlichen Texten wimmelt es seitdem nur so von Doppelkonstruktionen wie "Letztverbraucherinnen und Letztverbraucher" (siehe 081203).

Der sprachliche Schwulst und Schwachsinn, den die Hexenjagd auf das "generische Maskulinum" hervorgebracht hat, scheint mittlerweile dem Gesetzgeber selber auf den Geist zu gehen. In der Neufassung der Systemstabilitätsverordnung wurde jedenfalls auf die geschlechtliche Verdoppelung "Anlagenbetreiberin und Anlagenbetreiber" bewußt verzichtet. Zur Begründung heißt es:

... werden die Begriffe "Anlagenbetreiberin und Anlagenbetreiber" aus Gründen der besseren Lesbarkeit der Verordnung zu dem Begriff "Betreiber von Anlagen" zusammengefasst. Durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung sind weitere Konkretisierungen der betroffenen Anlagen erforderlich. Die ausführlichere Wendung "Anlagenbetreiberin und Anlagenbetreiber" würde im weiteren Verlauf zu einer nur schwer lesbaren Fassung der Verordnung führen.

Der Verzicht auf die geschlechtliche Verdoppelung ist sicher löblich. Die meisten Gesetzestexte sind ohnehin kaum lesbar, und wenn man sie dann noch mit irrwitzigen sprachlichen Exerzitien belastet, werden sie vollends ungenießbar. Aber weshalb wird nicht wieder schlicht vom "Anlagenbetreiber" gesprochen? Ist der "Betreiber von Anlagen" etwas anderes, abgesehen davon, daß er sprachlich holpriger daherkommt?

Und weshalb findet man weiterhin solche Lindwürmer wie "Installateurin oder Installateur oder Angestellte oder Angestellter eines Installationsunternehmens"? Muß wirklich ständig in Erinnerung gebracht werden, daß man als "Angestellte oder Angestellter oder Beauftragte oder Beauftragter von Wechselrichterherstellern" dem einen oder dem anderen Geschlecht angehören kann?

Irgendwie scheint die Rebellen auf halbem Wege der Mut verlassen zu haben. Sie trauen sich offenbar nur, den aus § 1 Abs. 1 BGleiG resultierenden Schwachsinn dort in Frage zu stellen, wo die Anlagenbetreiber oder Netzbetreiber ohnehin juristische Personen sind. Und die sind dann als GmbH oder AG sowieso nicht mit dem Makel des generischen Maskulinum behaftet, dem die Gender-Salafisten den Heiligen Krieg erklärt haben. Bis die Vernunft auch bei den "Letztverbraucherinnen und Letztverbrauchern" ankommt, wird es wohl noch einige Zeit dauern.

Notwendig wird die Neuregelung wegen der starken Zunahme von dezentralen Stromerzeugungsanlagen im Mittel- und Niederspannungsnetz. Aufgrund älterer Netzanschlußbedingungen ist bei einem großen Teil dieser Anlagen der Frequenzschutz derart eingestellt, daß sie sich bei Erreichen einer kritischen Netzfrequenz automatisch abschalten (automatische Netztrennung bei Über- und Unterfrequenz). Diese gleichzeitige Abschaltung einer größeren Anzahl von Anlagen kann zu einem abrupten Leistungsausfall und damit zu einer erheblichen Gefährdung der Systemstabilität bis hin zum flächendeckenden Stromausfall führen.

Ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten gelangte vor einem Jahr zu dem Ergebnis, daß insbesondere die Abschaltung bei einer Unterfrequenz von 49,50 Hertz problematisch ist und daß von diesem "49,50-Hertz-Problem" rund 21 000 Anlagen mit einer installierte Leistung von rund 27 Gigawatt (GW) betroffen sind. Obwohl niemals alle Anlagen gleichzeitig mit voller Leistung einspeisen, liege damit die mögliche Abschaltleistung sehr deutlich über der in Kontinentaleuropa vorzuhaltenden Primärregelleistung von 3 GW.

Betreiber haben für Nachrüstung zu sorgen

Im Unterschied zur Regelung für Solaranlagen, die unverändert bleibt, erfassen die neuen Bestimmungen erst Anlagen ab einer Leistung von 100 Kilowatt. Außerdem wird die Pflicht zur Nachrüstung nicht den Netzbetreibern auferlegt, sondern den Anlagenbetreibern. Begründet wird dies damit, daß es sich teilweise um sehr individuell konstruierte Anlagen handele, bei denen eine durch den Netzbetreiber organisierte Nachrüstung sowohl technisch als auch haftungsrechtlich ausgesprochen schwierig wäre. Bei Anlagen mit einer Leistung von mehr als 100 Kilowatt könne zudem von professionellen Betreibern ausgegangen werden.

Kosten werden teilweise über die Netzentgelte abgewälzt

Die Kosten der Nachrüstung haben die Betreiber mit bis zu 7,50 Euro je Kilowatt selber zu tragen. Für darüber hinaus anfallende Kosten ermäßigt sich der Eigenbeitrag auf 25 Prozent. Die übrigen 75 Prozent werden von den Betreibern des Übertragungsnetzes erstattet und können auf die Netzentgelte umgelegt werden (§ 21). Der Umfang dieser anteiligen Kostenübernahme wird mit rund 23 Millionen Euro angegeben. Außerdem entstehen den Netzbetreibern durch zusätzlichen Verwaltungsaufwand Kosten von rund 8 Millionen Euro. Insgesamt können so nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums innerhalb von drei Jahren 31 Millionen Euro zusätzlich auf die Netzentgelte umgelegt werden. Die daraus resultierende Belastung für einen Drei-Personen-Durchschnittshaushalt betrage aber jährlich nur 9 Cent und sei damit zu vernachlässigen.

Technische Regeln haben zunehmend amtlichen Charakter

Die Systemstabilitätsverordnung beruht auf der Ermächtigungsgrundlage in § 12 Abs. 3a und § 49 Abs. 4 des Energiewirtschaftsgesetzes, die es dem Bundeswirtschaftsministerium gestattet, netztechnische Anforderungen festzulegen. Sie ist typisch für die zunehmende Verrechtlichung von technischen Regeln, deren Festlegung früher Branchenverbänden wie dem VDEW, der DVG, dem VDN oder dem VDE überlassen wurde.

Bei der Liberalisierung des Strommarktes wollte man zunächst sogar den Netzzugang durch solche freiwilligen "Verbändevereinbarungen" regeln (siehe Link-Liste). Ergänzend dazu legte die Deutsche Verbundgesellschaft (DVG) im September 1998 erstmals den "GridCode" mit technischen Vorschriften für den Anschluß von Erzeugern und Kunden an die Übertragungsnetze vor (980907). Dieser GridCode wurde mehrfach verändert (000613) und 2003 durch den "DistributionCode" für Verteilernetze ergänzt, weshalb er fortan zur Unterscheidung "TransmissionCode" hieß. Seit 2001 war der neu gegründete "Verband der Netzbetreiber" (VDN) für die Regelung netztechnischer Fragen zuständig (010609). Mit der 2005 in Kraft getretenen Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts entfiel die Praxis der Verbändevereinbarungen, die sich als untauglich erwiesen hatte (050701). Zugleich übernahm die neu eingerichtete Bundesnetzagentur neben der Regulierung von Netzzugang und Netzentgelten zunehmend auch frühere Aufgaben des VDN, weshalb dieser schließlich aufgelöst wurde (070617). Der TransmissionCode und der DistributionCode sind aber in der Fassung, in der sie zuletzt 2007 vom VDN herausgegeben wurden, bis heute als technische Regelwerke für die Übertragungs- und Verteilnetze gültig.

Links (intern)