Februar 2013 |
130214 |
ENERGIE-CHRONIK |
Dem "Moratorium", mit dem die Bundesregierung am 14. März 2011 die Abschaltung der sieben bzw. acht ältesten deutschen Kernkraftwerke verfügte (110302), fehlte eine ausreichende Rechtsgrundlage. Dies ergibt sich aus zwei Urteilen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der am 27. Februar die Stillegung der beiden Reaktoren Biblis A und Biblis B für rechtswidrig erklärte (Aktenzeichen: 6 C 824/11.T und 6 C 825/11.T). Das Gericht gab damit einer Klage des RWE-Konzerns statt, der sich als einziger der vier betroffenen KKW-Betreiber gegen das Moratorium gewehrt hatte (110403).
RWE verfolgte mit der Klage zunächst das Ziel, die Betriebsuntersagung aufzuheben, die vom hessischen Umweltministerium als zuständiger Atomaufsichtsbehörde am 18. März angeordnet worden war. Diese Absicht erledigte sich mit dem Ablauf des auf drei Monate befristeten Moratoriums und der Neufassung des Atomgesetzes, die die Stillegung der acht ältesten deutschen Kernkraftwerke definitiv verfügte (110601). Nun ging es RWE nur noch darum, die Rechtswidrigkeit der Stillegung feststellen zu lassen, um zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gegen das Land Hessen geltend machen zu können.
Das jetzt ergangene Urteil bietet die Basis für einen solchen Zivilprozeß, bei dem RWE Schadenersatz in Höhe von 187 Millionen Euro für den dreimonatigen Produktionsausfall in Biblis verlangen dürfte (abgeschaltet wurde lediglich Biblis A, während Block B bereits aus anderen Gründen stillstand). Unabhängig davon haben E.ON, RWE und Vattenfall in Karlsruhe Verfassungsbeschwerden gegen die im Sommer 2011 beschlossene Neufassung des Atomgesetzes eingereicht, um im Erfolgsfall Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe erheben zu können (120714). Ferner klagen E.ON, RWE und EnBW gegen die weitere Erhebung der Brennelementesteuer (110607, 110704).
Wie das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung ausführte, waren die Anordnungen des hessischen Umweltministeriums vom 18. März 2011 sowohl formell als auch materiell rechtswidrig. Zum einen sei die RWE Power als Betreiberin der beiden Kernkraftwerke vor Erlaß der Anordnungen nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend ordnungsgemäß angehört worden. Darüber hinaus habe das Umweltministerium das ihm vom Atomgesetz für vorläufige Betriebseinstellungen eingeräumte Ermessen nicht so pflichtgemäß ausgeübt, wie es rechtlich erforderlich gewesen wäre.
Die Revision gegen beide Urteile wurde nicht zugelassen. Das Land Hessen könnte allenfalls Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erheben, über die dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu entscheiden hätte.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung, die eben erst die Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert hatte (101214), war nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima (110301) zur alten Ausstiegsregelung im Atomgesetz zurückgekehrt (110601). Aus Gründen der politischen Dramaturgie wollte sie es aber nicht dabei belassen, sondern verfügte vorab die Stillegung der ältesten deutschen Kernkraftwerke, die ihre in der alten Ausstiegs-Regelung vorgesehenen Restmengen ohnehin fast abgearbeitet hatten und bald abgeschaltet worden wären (110501). Es gab keinerlei sachlichen Grund für diese Maßnahme, die dann durch die Neufassung des Atomgesetzes perpetuiert wurde (110402). Im Gegenteil: Durch die gleichzeitige Abschaltung mehrerer Kernkraftwerke wurden aus der Architektur des deutschen Übertragungsnetzes wichtige Ecksteine abrupt und ersatzlos herausgebrochen (110401, 110502). Die so entstandene Gefährdung der Netzstabilität mußte durch Notmaßnahmen wie die Verwendung des abgeschalteten Kernkraftwerks Biblis A als "Phasenschieber" (110815) mühsam kompensiert werden. Schon damals war klar, daß der zur Begründung herangezogene § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes keine ausreichende Rechtsgrundlage für das ebenso willkürliche wie technisch ignorante Vorgehen von Bundesregierung und Atomaufsichtsbehörden der Länder bot (110302).