Januar 2005 |
050115 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Kernkraftwerk Philippsburg 2 könnte bei einem Leck der Hauptkühlmittelleitung unmittelbar am Reaktordruckbehälter nicht genügend Wasser für die Notkühlung zur Verfügung stehen. Dies ergab eine jüngst durchgeführte Untersuchung, deren Ergebnisse am 14. Januar von der Energie Baden-Württemberg (EnBW) und dem Umweltministerium des Landes bekanntgegeben wurden. Das Bundesumweltministerium hat deshalb Zweifel, ob das Sicherheitsmanagement der EnBW den Anforderungen genügt. Das Problem betrifft auch die Druckwasserreaktoren der EnBW in Neckarwestheim und Obrigheim sowie baugleiche Reaktoren sonstiger Betreiber. Philippsburg 1 ist aufgrund der anderen Bauweise (Siedewasserreaktor) nicht betroffen.
Schon im Oktober 2001 waren Mängel am Notkühlsystem in Philippsburg 2 entdeckt worden (011001), die zu einer siebzig Tage dauernden Stillegung der Anlage führten (011212). Das nun entdeckte Problem beruht darauf, daß auch im Falle der Notkühlung die Wassermassen ihren Weg über ein kurzes Stück der Hauptkühlmittelleitung nehmen müssen, das den Raum zwischen dem Reaktordruckbehälter und der ihn umgebenden Betonhülle überbrückt (diese Betonhülle wird als "biologischer Schild" bezeichnet). Bei einem Leck dicht vor dem Reaktordruckbehälter würde sich deshalb Wasser in diesen Zwischenraum ergießen und stünde nicht mehr für die Notkühlung zur Verfügung. Der Umfang und die Folgen eines solchen Kühlmittelverlusts wurden bisher offenbar unterschätzt. Als Ergebnis der Untersuchung in Philippsburg kann jedenfalls derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass es im "Sumpf" des Reaktorsicherheitsbehälters, in dem das Wasser zur erneuten Einspeisung ins Notkühlsystem aufgefangen wird, wegen zu geringen Wasserstands zu Luftwirbeln kommt und dadurch die Pumpen des Notkühlsystems beschädigt werden.
Bis zur abschließenden Klärung dieser Frage müssen auf Anweisung des Stuttgarter Umweltministeriums in Philippsburg 2 immer sämtliche vier Not- und Nachkühlsysteme in Betrieb sein. An sich sollte schon ein einziges System die Kernschmelze verhindern können (siehe 040712). Nach Angaben der EnBW gingen die Gutachter in Philippsburg von der "konservativen" Annahme aus, daß lediglich zwei der vier Notkühlsysteme zu Verfügung stehen. Bereits ein einziger Flutbehälter des Notkühlsystems enthalte aber erheblich mehr Wasser als in den Raum zwischen Reaktordruckbehälter und "biologischem Schild" passen würde.
Das Bundesumweltministerium bezeichnete es am 18. Januar als unverständlich, dass die EnBW bei der Berechnung der nötigen Wassermengen bis heute diesen Kühlmittelverlust ignoriert habe. Außerdem habe sie den Druckwasserreaktor in Philippsburg "offenbar drei Wochen lang in Kenntnis einer unzureichenden Störfallbeherrschung und ohne geregelte Ersatzmaßnahmen betrieben". Nun versuche sie durch Berechnungen nachträglich nachzuweisen, dass trotz des vorschriftswidrigen Verhaltens die Sicherheit nicht beeinträchtigt gewesen sei. Sie behaupte ferner, die unzureichende Störfallbeherrschung selbst ermittelt zu haben und bestreite, dass die neuen Erkenntnisse auf Untersuchungen eines staatsanwaltschaftlichen Sachverständigen zurückgehen. Auch wenn der derzeitige Betrieb des Atomkraftwerks Philippsburg 2 keinen Gefährdungszustand darstellt, wie das baden-württembergische Umwelt- und Verkehrsministerium dem Bundesumweltministerium bestätigt habe, bestünden bei der Bundesaufsicht Zweifel, ob das Sicherheitsmanagement der EnBW den Anforderungen genügt.