August 2025

250802

ENERGIE-CHRONIK




Die Umlagen bzw. Entgelte für die Konvertierung zwischen H- und L-Gas sind nur ein Teil der Gesamtkosten, die durch das Nebeneinander von zwei verschiedenen Erdgas-Qualitäten vorläufig noch entstehen. Hinzu kommt vor allem die 2015 eingeführte "Marktraumumstellungsumlage", die bis 2019 um das Achtzigfache gestiegen ist. Wie sich ihrer kryptisch anmutenden Bemessungsgrundlage entnehmen lässt – aktuell sind es 0,6713 Euro/kWh/h/a – , hat sie sich seitdem nochmals mehr als verdoppelt. In der Praxis dürfte sie damit etwa drei bis fünf Prozent der Gasnetzentgelte ausmachen.

Verdacht auf Marktmanipulation mit L-Gas

Die Trading Hub Europe (THE), die seit knapp vier Jahren für das gesamte deutsche Gas-Marktgebiet verantwortlich ist (211010), hat am 14. August die erneute Erhebung der sogenannten Konvertierungsumlage angekündigt. Diese Umlage wurde ab 1. Oktober 2022 eingeführt, um die Kosten der Umwandlung von L-Gas zu H-Gas zu decken. Sie betrug 38 Cent pro Megawattstunde, wurde aber nur ein Jahr lang erhoben und ab 1. Oktober 2023 auf Null reduziert. Nun wird sie mit Beginn des neuen Gasjahres ab 1. Oktober wieder aktiviert und beträgt 18 Cent/MWh. Der Grund dafür ist ein ungewöhnlich großer Anstieg der Konvertierungen von L-Gas und H-Gas, der zugleich den Verdacht auf Marktmanipulation nahelegt. Aufgrund einer Warnmeldung der THG hat die Bundesnetzagentur deshalb Ermittlungen gegen Energieversorger oder Energiehändler eingeleitet, die als Bilanzkreisverantwortliche fungieren.

Ungewöhnlich hohe Gas-Konvertierungskosten von 60 Millionen Euro

In einer THE-Pressemitteilung vom 14. August hieß es zur Wiederbelebung der Konvertierungsumlage lediglich: "Bereits im Vorjahr war ein verändertes Konvertierungsverhalten der Marktteilnehmer zu beobachten. Konvertierung findet fast ausschließlich in der Konvertierungsrichtung L-Gas nach H-Gas statt. Insbesondere vor dem Hintergrund der derzeit hohen Konvertierungsmengen in der Konvertierungsrichtung L-Gas nach H-Gas und des daraus resultierenden Regelenergiebedarfs wird die Konvertierungsumlage auf 0,18 EUR/MWh festgelegt."

Auf Anfrage der FAZ (13.8.) ließ die Bundesnetzagentur wissen, dass in den Monaten Mai bis Juli ungewöhnlich hohe Gas-Konvertierungskosten von etwa 60 Millionen Euro entstanden seien. Die bisherigen Recherchen hätten ergeben, "dass für den Regelenergieeinsatz im Wesentlichen wenige Bilanzkreise verantwortlich waren". Da die Bilanzkreisverantwortlichen aus unterschiedlichen Staaten stammten, sei auch die europäische Regulierungsbehörde ACER informiert worden. Falls sich der Verdacht bewahrheite, könnten den beteiligten Unternehmen Bußgelder auferlegt werden.

Mit L-Gas begann einst der Siegeszug von Erdgas – inzwischen ist es aber längst ein Auslaufmodell

Zum besseren Verständnis der Affäre muss man wissen, dass es noch immer zwei Sorten Erdgas gibt, die in Deutschland durch die Ferngas- und Verteilerleitungen zu den Verbrauchern gelangen. Die eine ist das L-Gas aus niederländischer und inländischer Förderung, das bis Ende der siebziger Jahre das bis dahin übliche Stadtgas bzw. Kokereigas verdrängte (SB100-08). Dieses "low calorific gas" – daher die Abkürzung – hat einen Methangehalt von 80 bis 87 Prozent. Der Brennwert ist deshalb geringer als beim H-Gas (high calorific gas), das einen Methangehalt von 87 bis 99 Prozent aufweist und ab den achtziger Jahren den Großteil der deutschen Gasimporte ausmachte. Schon 2007 trug das L-Gas nur noch mit einem Drittel zur deutschen Gasversorgung bei (15 Prozent inländische Förderung und 18 Prozent Importe aus den Niederlanden). Der Rest war H-Gas, das vor allem aus Russland (37 Prozent) und Norwegen (26 Prozent) importiert wurde (SB101-03).

In den Niederlanden kam es wegen zahlreicher Gebäude-Schäden zur vorzeitigen Beendigung der Förderung

Infolge der jahrzehntelangen Ausbeutung gaben die niederländischen Lagerstätten von L-Gas immer weniger her. Auch bei den inländischen Vorkommen war es nur eine Frage der Zeit, bis sie erschöpft sein würden. Einen besonders dramatischen Akzent setzten die Erdbeben, die in der niederländischen Erdgasregion Groningen immer häufiger auftraten und 2015 an Tausenden von Gebäuden Schäden in Milliardenhöhe verursachten (150605, 180207). Im Juni 2023 beschloss die niederländische Regierung, die Förderung in Groninger Feld zum 1. Oktober endgültig einzustellen (230604).

Lieferverpflichtungen werden mit synthetischem L-Gas erfüllt, das mit Stickstoff aus H-Gas hergestellt wird

Ersatzweise werden seitdem sowohl die niederländischen Verbraucher als auch die deutschen Abnehmer mit synthetischem L-Gas beliefert, das aus importiertem H-Gas hergestellt wird. Die niederländische Gasunie baute dafür eine spezielle Anlage, die das hochkalorische Importgas derart mit Stickstoff anreichert, dass es denselben geringeren Brennwert wie das frühere Groningen-Gas hat (200410).

Das H-Gas kann nämlich nicht einfach in die Leitungen für L-Gas eingespeist werden. Zuvor bedarf es einer technischen Umrüstung bei den betroffenen Verbrauchsgeräten. Schon im Netzentwicklungsplan Gas für das Jahr 2014 war deshalb eine langfristige Umstellung vorgesehen, die den Bedarf an L-Gas-Leistung von 82 Gigawatt im Jahr 2015 auf einen Restbedarf von 7 GW im Jahr 2030 verringern sollte (siehe Karten).

Innerhalb von 15 Jahren schrumpfte die Anzahl der deutschen Gas-Marktgebiete von 19 auf 1

Auf Drängen der Bundesnetzagentur hatten die Gasunternehmen, deren Netze bis dahin abgeschottete Vertriebsgebiete waren, sich im Juni 2006 bereitgefunden, zunächst 19 netzübergreifende Marktgebiete einzurichten (060603). Deren Anzahl schrumpfte dann ab Oktober 2007 auf 14, ab Oktober 2008 auf 11 und ab Oktober 2009 auf 6. Bei diesem verbliebenen halben Dutzend handelte es sich um jeweils drei Marktgebiete für H-Gas und für L-Gas, die dann jedoch bis zum Ende des Gasjahrs 2011 in den beiden Marktgebieten "Net Connect Germany GmbH & Co. KG" (NCG) und "Gaspool Balancing Services GmbH" aufgingen (100811, 120409, 160801). Diese beiden Marktgebiete wurden dann wiederum mit Beginn des neuen Gaswirtschaftsjahres am 1. Oktober 2021 zur Trading Hub Europe GmbH (THE) zusammengelegt (211010). Mit der Verantwortung für das ganze deutsche Gas-Marktgebiet gehören zum Geschäftsbereich der THE sowohl das H-Gas als auch die noch verbliebenen Restbestände an L-Gas-Kunden.

"Bilanzielle Konvertierung" ermöglichte die weitere Verwendung von L-Gas in einem einzigen Marktgebiet

Mit der Festlegung "Konni Gas" vom 27. Februar 2012 erließ die Bundesnetzagentur eine Regelung, die es den Marktteilnehmern ermöglichte, die beiden noch verbliebenen Marktgebiete ohne Rücksicht auf die Unterschiede zwischen H- und L-Gas zu nutzen. Und zwar ermöglichte dies eine "bilanzielle Konvertierung" in Verbindung mit einem physischen Ausgleich, den die Marktgebietsverantwortlichen durch den Einsatz von Regelenergie besorgten. Dafür wurde im ersten Fall ein "Konvertierungsentgelt" und im zweiten eine "Konvertierungsumlage" erhoben.

Das Konvertierungsentgelt für die bilanzielle Umwandlung von der einen in die andere Gasqualität sollte ursprünglich zum 1.Oktober 2016 vollständig entfallen. Mit der als "Konni Gas 2.0" bezeichneten Änderung vom 21. Dezember 2016 erfasste das Konvertierungsentgelt dann aber weiterhin die Konvertierung von H- in L-Gas. Es entfiel lediglich in umgekehrter Richtung, in der die Konvertierung ohnehin keine Rolle spielte. Die Bundesnetzagentur gab damit dem Antrag der beiden Marktgebietsbetreiber statt, die auf zunehmende Probleme bei der L-Gas-Beschaffung verwiesen hatten, weil die Förderung von L-Gas in den Niederlanden schneller schrumpfte als die Umstellung auf H-Gas in Deutschland vorankam. Vor allem im Markgebiet von NCG, das den weitaus größten Teil der L-Gas-Verbraucher umfasste, war ein massiver Anstieg bei der Nutzung des Konvertierungssystem zu verzeichnen, der zu unverhältnismäßig hohen Kosten führte (160801).

Der vor neun Jahren aufgetauchte Manipulationsverdacht wurde nie abschließend geklärt

Schon damals stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Anstieg der Konvertierungskosten auch durch die mangelnde Transparenz des über die Börse abgewickelten Marktgeschehens bzw. durch mißbräuchliche Arbitragegeschäfte verursacht oder zumindest gefördert worden sein könnte. Zum Beispiel könnten Transportkunden durch gezielte Veränderung ihres Transportverhaltens künstlich Netzungleichgewichte erzeugen, um sodann dem Marktgebietsverantwortlichen die zum Ausgleich erforderliche Regelenergie anzubieten. Dafür sprach vor allem der hohe Anteil an kommerzieller Konvertierung, der bei NCG durch den Einsatz von Regelenergie entstand. Die Bundesnetzagentur hatte diese Möglichkeit ebenfalls im Blick, als sie von den beiden Marktverantwortlichen im Mai 2016 eine detaillierte Analyse der Hintergründe verlangte und insbesondere von NCG wissen wollte, ob "ein Fehlverhalten oder sogar ein mißbräuchliches Verhalten einzelner Marktakteure feststellbar ist" (160801).

Es kam damals zu keiner abschließenden Klärung des Manipulationsverdachts. Die heutige Affäre ist insofern anders gelagert, als nicht um die Konvertierung von H- in L-Gas, sondern um die von L- zu H-Gas geht. Der mögliche Betrugsmechanismus, wie er vor allem durch Arbitrage-Geschäfte vorstellbar ist, wäre aber sehr ähnlich.

 

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