Juli 2022

220711

ENERGIE-CHRONIK


EU-Kommission darf Kernenergie und Gas als "grün" einstufen

Das von der EU-Kommission beabsichtigte "Greenwashing" von Gas und Kernergie tritt nun Anfang August doch in Kraft, da weder im Parlament noch im Rat die erforderliche Mehrheit zur Verhinderung dieses "delegierten Rechtsakts" zustande kam. Am 6. Juli lehnte auch die Mehrheit des EU-Parlaments einen Einspruch gegen das Vorhaben ab, obwohl am 14. Juni die beiden zuständigen Ausschüsse für Umwelt und Wirtschaft eine gegenteilige Vorentscheidung getroffen hatten (220611). Für die Zurückweisung des Vorschlags im Plenum wären 353 der 705 Abgeordneten erforderlich gewesen. Diese einfache Mehrheit wurden aber mit 278 gegen 323 Stimmen bei 33 Enthaltungen weit deutlicher verfehlt, als nach dem Votum der Ausschüsse zu erwarten war. Das Veto gegen die grüne Reinwaschung von Gas und Kernenergie wurde vor allem von Grünen, Linken und Sozialdemokraten unterstützt, während Gegenstimmen und Enthaltungen in der Regel aus dem konservativen bis rechtsextremen Spektrum des Parlaments kamen.

Die Einbeziehung von Gas war ein Zugeständnis an die frühere deutsche Regierung

Ihren "Taxonomie"-Vorschlag zur grünen Reinwaschung der Kernenergie hatte die Kommission am 31. Dezember 2021vorgelegt (220102). Er kam hauptsächlich auf Drängen Frankreichs zustande, das die Kernenergie als angeblich umweltfreundliche Energiequelle anerkannt sehen will, um die enormen Kosten für die Beibehaltung und den weiteren Ausbau seines Nuklearparks besser schultern zu können (211008) Um auch die Unterstützung der seinerzeitigen schwarz-roten Bundesregierung zu gewinnen, erfolgte eine ähnliche Einstufung für Erdgas, dem im kernenergiefreien deutschen Energiekonzept die Rolle einer "Brückentechnologie" zum Ausgleich der fluktuierenden Einspeisung der Erneuerbaren zugedacht war. Die neue Bundesregierung hat dem so zustande gekommenen Kompromiss zunächst nur hinsichtlich der Kernenergie widersprochen, inzwischen aber klargestellt, dass sie auch Erdgas für keine umweltfreundliche Energiequelle hält (220512).

Im Rat müssten mindestens 20 der 27 EU-Staaten ein Veto unterstützen

Der deutsche Rückzieher reicht allerdings nicht, um den "delegierten Rechtsakt" zu verhindern, der Anfang August automatisch in Kraft tritt, sofern ihm im nicht das Parlament oder der Rat mit der jeweils vorgeschriebenen Mehrheit widersprochen hat. Ein Veto des Europäischen Rats müsste von mindestens 72 Prozent der Mitgliedstaaten (also mindestens 20) unterstützt werden, die zugleich mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU vertreten. Neben Frankreich verhindert das beispielsweise Polen, das seit langem den Einstieg in die Nuklearwirtschaft plant (120306). Andere osteuropäische Länder wie Tschechien (030418), Slowakei (130809), Ungarn (170304), Rumänien (960406) oder Bulgarien (160617) sehen in dem Vorschlag der Kommission eine Chance, inzwischen begrabene oder zumindest auf Eis gelegte Pläne zum Bau weiterer Reaktoren wieder hervorzuholen. Allerdings würde dies voraussetzen, dass private Investoren tatsächlich ihr Geld für eine derart teuere, unwirtschaftliche und hoch riskante Form der Stromerzeugung riskieren. Das bloße "Greenwashing" der Kernenergie durch die Kommission genügt dafür sicher nicht. Geradezu wie ein schlechter Witz mutet an, dass die EU-Kommission außerdem nun ausgerechnet Erdgas als nachhaltig und förderungswürdig einstuft, obwohl sie selber seit dem russischen Überfall auf die Ukraine allle Anstrengungen unternimmt, um den Verbrauch dieses fossilen Energieträgers so weit wie möglich einzuschränken.

BDI freut sich ­ Österreich und Luxemburg werden klagen

Der Bundesverband der deutschen Industrie zeigte sich erfreut über das Abstimmungsergebnis im EU-Parlament: "Mit der EU-Taxonomie ist jetzt der Weg frei für Finanzströme in den Übergang von Kohle und Erdgas zu erneuerbaren und alternativen Gasen – das gibt der Industrie Planungssicherheit", sagte der stellvertretender BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. "Unsere Brückentechnologie für das Zeitalter der Erneuerbaren ist das Gas." Dagegen bekräftigte die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, dass ihr Land gemeinsam mit Luxemburg vor dem Europäischen Gerichtshof klagen werde, "um zu verhindern, dass dieses Greenwashing-Programm – ich kann es nicht anders nennen – in Kraft tritt".

 

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