Mai 2022

220501

ENERGIE-CHRONIK



Der monatliche Gasverbrauch war bisher deutlich geringer als im Vorjahr. Wie die schon im Januar und Februar einsetzende Minderung zeigt, war das allerdings weniger eine Reaktion auf den Ukraine-Krieg als auf höhere Temperaturen.
Quelle: Bundesnetzagentur

Putin will den Preis für weitere Gaslieferungen möglichst hoch schrauben

Russland hat seinen Krieg gegen die Ukraine im Mai unvermindert fortgesetzt. Den Bewohnern der besetzten Gebiete im Südosten wurden bereits russische Pässe angeboten. Indessen verfolgt der Kreml-Diktator Putin anscheinend nicht mehr sein ursprüngliches Ziel, das gesamte Land seinem Machtbereich einzuverleiben, nachdem er ein Vierteljahr lang auf erbitterten militärischen Widerstand gestoßen ist. Auch die von der EU, den USA und anderen Staaten verhängten Sanktionen hat er in diesem Ausmaß sicher nicht erwartet und machen ihm schwer zu schaffen. Zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand war er aber noch immer nicht bereit. Bei einem Telefongespräch, das am 28. Mai auf Initiative des deutschen Bundeskanzlers Scholz und des französischen Präsidenten Macron zustande kam, verlangte er stattdessen den Verzicht auf weitere westliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Andernfalls bestehe das Risko, dass sich in der Ukraine – so lautete seine perfid verpackte Drohung – "die Situation weiter destabilisiert und die humanitäre Krise verschärft".

Rubel-Forderung war nur ein erster Test, wie weit der Kreml gehen kann, ohne ein Embargo zu riskieren

Im Wirtschaftskrieg mit Westeuropa will Putin die vorerst noch bestehende Abhängigkeit Deutschlands und anderer Länder von russischen Gaslieferungen optimal nutzen, um in der ihm noch verbleibenden Zeitspanne von ein bis zwei Jahren den Preis für diese Lieferungen möglichst hoch zu treiben. Eine Grenze setzt ihm dabei nur die Schmerzschwelle, ab der er ein Embargo riskiert, weil dies für die Erpressten das kleinere Übel wäre. Ein erster Vorstoß in dieser Richtung war seine Forderung, die Gasrechnungen in Rubel statt Euro oder Dollar zu bezahlen, die er erstmals am 23. März erhob (220301) und am 27. April mit dem gegen Polen und Bulgarien verhängten Lieferstopp unterstrich, nachdem sich diese beiden Länder auf die verlangte Zwei-Konten-Prozedur nicht einlassen wollten (220401). Die damit beabsichtigte Erpressung scheint jedoch nicht funktioniert zu haben, denn offizieller Darstellung zufolge haben Uniper und RWE ihre fällig gewordenen Zahlungen im Einklang mit den EU-Vorschriften geleistet. Putin hätte demnach im Mai wieder etwas zurückgesteckt und akzeptiert, dass die deutschen Großkunden ihre Rechnung in Euro beglichen, ohne die Umwandlung in Rubel auf einem zweiten Konto bei der Gazprom-Bank zu beantragen.

Sanktionen gegen Gazprom Germania sollen Neuverhandlung bestehender Lieferträge erforderlich machen

Inzwischen ließ sich Putin eine neue Daumenschraube einfallen: Am 11. Mai verkündete er eine Liste mit Sanktionen gegen die Gazprom Germania und 29 Tochtergesellschaften, die seit 4. April treuhänderisch der Bundesnetzagentur unterstehen (220403). Der Gazprom wird dadurch verboten, diese 30 Unternehmen mit Gas zu beliefern oder sonstige Geschäfte mit ihnen zu tätigen. Offenbar will er damit vor allem eine Neuverhandlung der Gaslieferverträge erreichen, die mit der Wingas abgeschlossen wurden, um dabei höhere Preise durchzusetzen (220505). Mit weiteren Pressionen dieser Art ist zu rechnen.


Seit April benutzt die Gazprom die durch Polen führende Jamal-Pipeline überhaupt nicht mehr, weshalb die am Grenzübergangspunkt Mallnow ankommenden Gasmengen auf null gesunken sind. Stattdessen liefert sie die vereinbarten Mengen vor allem über die Ostsee-Pipeline (Greifswald). Der Einbruch, der hier Mitte März auftrat, war wohl auf temperaturbedingte Minderabnahmen der Importeure zuruckzuführen. Dagegen hat die im Mai registrierte Verringerung der Gasflüsse am Grenzübergangspunkt Waidhaus mit dem Krieg in der Ukraine zu tun: Die dortigen Behörden sperrten einen Teil der Durchflüsse mit der Begründung, dass sie infolge der russischen Besetzung des Gebiets Luhansk nicht mehr für die notwendige Überwachung und Sicherheit der Infrastruktur sorgen könnten.
Quelle: Bundesnetzagentur

Wenn Gazprom die Astora-Speicher erneut nicht füllt, kann das nun auch zwangsweise geschehen

Eine Reihe gesetzlicher Änderungen erleichtert es inzwischen der Bundesregierung, die Energieversorgung trotz der entstandenen Notlage aufrechtzuerhalten und gezielten russischen Störversuchen ebenso gezielt entgegenzutreten. Zum Beispiel sichert das Gasspeichergesetz, das am 30. April in Kraft trat, dass die der Gazprom Germania gehörenden Gasspeicher zwangsweise befüllt werden können. Schon im letzten Jahr unterließ die Gazprom die übliche Auffüllung im Sommer, was anscheinend bereits zu Putins Kriegsvorbereitungen gehörte (210804). Inzwischen kann sie sich sogar darauf berufen, dass sie mit der Auffüllung gegen russisches Gesetz verstoßen würde, weil die Speichertochter Astora auf Putins Sanktionsliste steht. Die Bundesregierung wird deshalb nun ihrerseits das geänderte Energiewirtschaftsgesetz anwenden müssen, um vor allem Deutschlands größten Gasspeicher Rehden, der im Mai weiterhin nur zu zwei Prozent gefüllt war, rechtzeitig bis Jahresende auf den vorgeschriebenen Füllstand von 90 Prozent zu bringen (220504).

Energiesicherheitsgesetz ermöglicht Treuhandverwaltung von Unternehmen der kritischen Infrastruktur

Die Neufassung des Energiesicherheitsgesetzes, die der Bundestag am 12. Mai beschloss, ermöglicht nun generell die Treuhandverwaltung von Unternehmen der kritischen Infrastruktur, wenn diese ihren Aufgaben nicht mehr hinreichend nachkommen und dadurch eine Gefährdung der Versorgungssicherheit droht. Zudem enthält das Gesetz unter anderem eine Regelung zur Preisanpassung entlang der gesamten Lieferkette für den Fall, dass Gaslieferungen aus einem Drittstaat ausbleiben oder drastisch gekürzt werden (220505). Voraussetzung ist die Feststellung erheblich verminderter Gasimporte in der Alarm- oder Notfallstufe (220405).

Bundesregierung mietet schwimmende Terminals für Flüssigggas

Um die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen möglichst schnell zu verringern, sieht das am 19. Mai beschlossene LNG-Beschleunigsgesetz die Errichtung von insgesamt sechs schwimmenden Terminals für Flüssiggas vor. Für vier solcher Anlagen gibt es bereits Vereinbarungen mit RWE und Uniper, die im Auftrag der Bundesregierung die dafür gemieteten FSRU-Schiffe betreiben werden. Der erste Terminal soll bis Jahresende in Wilhelmshaven den Betrieb aufnehmen. Die Genehmigungen gelten nur bis 2043, falls die Terminals bis dahin nicht auf Wasserstoff umgestellt worden sind (220502).

Im Notfall können zusätzlich abgeschaltete Kohlekraftwerke aktiviert werden

Außerdem bereitet die Bundesregierung ein "Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz" vor. Es soll dafür sorgen, dass die Stromversorgung selbst dann nicht gefährdet wird oder gar zusammenbricht, wenn die russischen Gaslieferungen völlig entfallen. Zu diesem Zweck wird die normale Netzreserve durch die Vorhaltung weiterer Kohlekraftwerke ergänzt, die in einem solchen Notfall ohne große Verzögerungen wieder ans Netz gebracht werden könnten, damit das noch verbleibende Gas für den notwendigen Bedarf von Haushalten und Industrie zur Verfügung steht 220503).

Putins Nutznießer sollen ihre Vermögen nicht mehr verschleiern können

In Arbeit befinden sich auch noch zwei "Sanktionsdurchsetzungsgesetze" zur Umsetzung der von der EU gefassten Sanktionsbeschlüsse. Dabei geht es um das Einfrieren von Vermögenswerten gelisteter Personen, Reisebeschränkungen, Beschränkungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie Im- und Exportrestriktionen. In einem ersten Artikelgesetz sollen Außenwirtschaftsgesetz, Geldwäschegesetz, Kreditwesengesetz und Wertpapierhandelsgesetz entsprechend angepasst werden. Später folgt ein Zweites Sanktionsdurchsetzungsgesetz zur Schaffung eine sein nationalen Registers für Vermögen unklarer Herkunft und sanktionierte Vermögenswerte. Überdies soll ein eigenständiges Verwaltungsverfahren zur Aufklärung von Vermögen unklarer Herkunft eingeführt und eine besondere Hinweisgeberstelle geschaffen werden.

Schröder macht Rückzieher, um nicht auf die EU-Sanktionsliste zu kommen

Das Europa-Parlament hat am 19. Mai den Europäischen Rat aufgefordert, auch den ehemaligen Bundeskanzer Gerhard Schröder auf die EU-Sanktionsliste zu setzen, wenn er die diversen Posten nicht aufgibt, die ihm als Nutznießer und Helfer des Putin-Regimes bei russischen Unternehmen zugeschanzt wurden. Wie Schröder daraufhin mitteilte, will er es dabei bewenden lassen, sein Mandat als Vorsitzender des Aufsichtsrats beim staatlichen Ölkonzern Rosneft nicht zu verlängern und auf eine für Juni geplante Wahl in den Aufsichtsrat der Gazprom zu verzichten. Der Haushaltsausschuss des Bundestags beschloss am selben Tag, die Privilegien für ehemalige Regierungschefs zu reformieren. Dadurch wird der Ex-Kanzler sein bisher vom Steuerzahler finanziertes Büro mit fünf Mitarbeitern und einem Chauffeur verlieren (220507).

 

Links (intern)