April 2022 |
220405 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Bundesnetzagentur führte vom 21. bis 28. April die erste Datenerhebung für die "Sicherheitsplattform Gas" durch. Die neu zu schaffende Plattform soll der Behörde aktuelle Daten für den Fall einer deutlich verschlechterten Gasversorgung in Deutschland oder anderen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen. In einer solchen Lage wäre es Aufgabe der Bundesnetzagentur, den Gasverbrauch zu regeln. Die Ergebnisse der Datenerhebungen ermöglichen es ihr dann, die Folgen von Maßnahmen für die betroffenen Letztverbraucher und für die Gesellschaft bestmöglich einschätzen zu können.
Die Sicherheitsplattform wird gemeinsam vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, der Bundesnetzagentur und Trading Hub Europe (THE) entwickelt. Ihre endgültige Inbetriebnahme ist zum 1. Oktober 2022 geplant. Die im April durchgeführte Erhebung betraf die Gasnetzbetreiber im Marktgebiet der THE. Im Mai soll eine weitere Datenabfrage bei den deutschen Gasverbrauchern ab einer Größe von 10 MWh/h technischer Anschlusskapazität stattfinden. Der neue Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller (220105), erklärte dazu mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: "Wir bereiten uns intensiv auf eine Lage vor, in der die Bundesnetzagentur Lieferreduzierungen von großen Gasverbrauchern verfügen muss. Gleichzeitig tun wir alles, damit diese Situation nicht eintritt."
Mittelfristig soll auch die Datenbereitstellung über die neue Sicherheitsplattform Gas erfolgen. Auf dieser müssen sich zukünftig alle großen Gasverbraucher mit einer Anschlusskapazität von mindestens 10 MWh/h, Gasnetzbetreiber sowie alle Bilanzkreisverantwortlichen wie beispielsweise Gasversorger oder Gashändler registrieren. Der Schwellenwert von 10 MWh/h erfasse einen Großteil der Verbraucher, hieß es in der Mitteilung der Bundesnetzagentur. Dies ermögliche ein effizientes Management im Krisenfall.
Die Bundesnetzagentur übernimmt im Krisenfall die hoheitliche Verteilung und Zuteilung der knappen Gasmengen. Formal muss dafür die letzte Stufe des Notfallplans Gas in Deutschland ausgerufen werden, mit der die Bundesnetzagentur zum sogenannten Bundeslastverteiler wird. Der Bundeslastverteiler wird nach dem Energiesicherungsgesetz (EnSiG) aktiv, wenn die Notfallstufe gemäß der EU-Verordnung 2017/1938 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (sog. SoS-VO) und dem Notfallplan Gas (PDF) von der Bundesregierung ausgerufen wird. Derzeit ist in Deutschland nur die Frühwarnstufe nach dem Notfallplan Gas aktiv, die am 30. März ausgerufen wurde (220301).
Die als SoS-VO bezeichnete EU-Verordnung sieht in Artikel 11 drei aufeinanderfolgende Krisenstufen vor:
Frühwarnstufe (Frühwarnung): "Es liegen konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- bzw. der Notfallstufe führt; die Frühwarnstufe kann durch ein Frühwarnsystem ausgelöst werden."
Alarmstufe (Alarm): "Es liegt eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen."
Notfallstufe (Notfall): "Es liegt eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere beträchtliche Verschlechterung der Versorgungslage vor und es wurden alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen umgesetzt, aber die Gasversorgung reicht nicht aus, um die noch verbleibende Gasnachfrage zu decken, sodass zusätzlich nicht marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen, um insbesondere die Gasversorgung der geschützten Kunden gemäß Artikel 6 sicherzustellen."
Bei Ausrufung der Notfallstufe stellt der Bundeslastverteiler die im überregionalen öffentlichen Interesse liegende Versorgung sicher, führt einen Ausgleich der elektrizitäts- und gaswirtschaftlichen Bedürfnisse und Interessen der Länder herbei oder regelt den Einsatz von unterirdischen Gasspeichern und sonstigen Gasversorgungsanlagen mit überregionaler Bedeutung (§ 4 Abs. 3 EnSiG). Dies betrifft insbesondere die Versorgung der privilegierten Haushaltskunden (§ 53a EnWG), die nach EU- und nationalem Recht einen besonderen Schutz genießen.
Am 25. April teilte die Bundesregierung mit, dass sie eine Novellierung
des aus den siebziger Jahren stammenden Energiesicherheitsgesetzes
beschlossen hat. Unter anderem sollen Unternehmen, die kritische
Energieinfrastrukturenbetreiben, unter Treuhandverwaltung gestellt werden
können, wenn sie ihren Aufgaben nicht mehr hinreichend nachkommen und eine
Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. "Als Ultima Ratio ist
unter klar benannten und engen Bedingungen auch eine Enteignung möglich,
wenn die Sicherung der Energieversorgung nicht anders gewährleistet werden
kann", hieß es in der Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums. Im
Vorgriff auf die Neuregelung – in diesem Fall aber unter Berufung auf das
Außenwirtschaftsgesetz – wurde am 4. April bereits die russische Gazprom
Germania treuhänderisch der Bundesnetzagentur unterstellt (220403).