März 2022

220301

ENERGIE-CHRONIK


Wird ein Gas-Embargo der EU gegen Russland unumgänglich?

Der russische Überfall auf die Ukraine, der am 24. Februar nach monatelangen Vorbereitungen begann (220201), verlief keineswegs so erfolgreich, wie sich das der Kreml-Diktator Wladimir Putin offenbar vorgestellt hatte. Bis Ende März beherrschten seine Truppen nur Randgebiete des großen Landes. Die Hauptstadt Kiew widerstand trotz verstärkten Beschusses. Im Süden gelang den Russen die Besetzung eines durchgehenden Landstreifens zwischen den okkupierten Gebieten Donezk/Luhansk und Krim erst, nachdem sie die Stadt Mariupol in Trümmer gelegt hatten. EU und USA unterstützten die ukrainische Regierung wie bisher mit Waffenlieferungen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Angreifer, lehnten aber die Forderung nach direktem militärischen Eingreifen weiterhin ab. Die Befürchtung, dass bei den Kämpfen auch einer der 15 Reaktoren der Ukraine getroffen werden und eine radioaktive Verseuchung auslösen könnte, hat sich bisher zum Glück nicht erfüllt (220306).

USA beschlossen schon am 8. März ein Öl- und Gasembargo

Die westliche Unterstützung war von großer Wirkung. So stürzte durch die bereits im Februar verfügten Finanzsanktionen der Kurs des Rubels sofort ins Bodenlose. Am 8. März stoppten die USA zusätzlich die Einfuhr von Öl und Gas aus Russland, was den Preis für ein Barrel Brent vorübergehend bis auf 117 Euro hochtrieb (220304). Die EU-Staaten zogen bei diesem Embargo aber nicht mit, weil sie in ungleich größerem Maße vor allem von Gaslieferungen aus Russland abhängig sind. Die Begleichung der dadurch entstehenden Rechnungen blieb deshalb von den Finanzsanktionen ausgenommen.

Putin verlangte Bezahlung der Gasrechnung in Rubel statt in Euro

Am 23. März entstand indessen eine neue Lage, weil Putin plötzlich eine Schwarze Liste mit "unfreundlichen Staaten" präsentierte, die künftig ihre Gasrechnungen nicht mehr in Dollar oder Euro, sondern in Rubel bezahlen müssten. Dazu zählten Deutschland und alle anderen EU-Staaten, aber auch die USA, Kanada und Großbritannien. Der Kremlchef wollte auf diese Weise die Finanzsanktionen unterlaufen, die ihn an der praktischen Verwertung der eingenommenen Devisen hindern. Allein durch diese Ankündigung zog der Kurs des Rubel auch deutlich an. Allerdings würde Putin damit einen klaren "Vertragsbruch" begehen, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sogleich feststellte, denn die vertraglich vereinbarte Währung zur Bezahlung der deutschen Gasimporte sind nun mal Euro. Die Hinnahme eines solchen Vertragsbruchs würde den Kreml-Diktator logischerweise ermuntern, die Abhängigkeit der EU von den russischen Gaslieferungen zu weiteren Erpressungen zu nutzen.

G7-Staaten verständigten sich auf Ablehnung des Ansinnens

Am 28. März verständigten sich die G7-Staaten darauf, der von Putin verlangten Zahlung in Rubel keine Folge zu leisten. Die Videokonferenz wurde von Bundeswirtschaftsminister Habeck einberufen, da Deutschland in dieser Runde derzeit die Präsidentschaft innehat. Weitere Mitglieder sind die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und die Europäische Union. Der Kreml reagierte mit der Ankündigung, die Zahlungsbedingungen bis 31. März festzulegen. Es könne dann nur noch in Rubel bezahlt werden. "Keine Bezahlung – kein Gas", drohte der Kreml-Sprecher Peskow. Am 30. März rief Bundeswirtschaftsminister Habeck daraufhin die "Frühwarnstufe" des sogenannten Notfallsplans Gas aus.

Zugleich mehrten sich die Stimmen für ein sofortiges Gas-Embargo seitens der EU. "Es wird bitter, aber ich denke, wir müssen schnellstmöglich auf russische Gas- und Öllieferungen verzichten", erklärte zum Beispiel am 27. März der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). "Wir dürfen nicht zurückzucken, wenn es für uns unangenehm wird." Man müsse Putin unmißerständlich signalisieren: "Für unsere Art zu leben, für unsere Freiheit, sind wir bereit, auch substanzielle Opfer zu bringen."

Putin akzeptiert weiterhin Euro, will sie aber an die Gazprom-Bank überwiesen haben

Die Entschlossenheit der G7-Staaten blieb in Moskau nicht ohne Wirkung. Laut Bundesregierung kam am 30. März auf russischen Wunsch ein Telefonat zwischen Putin und Bundeskanzler Scholz zustande, bei dem der Kremlchef anbot, die Gaslieferungen weiter in Euro bezahlen zu können. Die Devisen müssten nun aber an die Gazprom-Bank überwiesen werden. Scholz bat um nähere schriftliche Ausführungen zu dieser vorgeschlagenen Änderung des Verfahrens, ohne ihm zuzustimmen. Am folgenden Tag erklärte er dann: "Die Zahlung russischer Gaslieferungen findet entsprechend der bestehenden Verträge in Euro und Dollar statt. Das ist so, das wird auch so bleiben, und das habe ich gestern in meinem Gespräch mit Präsident Putin auch deutlich gemacht."

Putin rückte somit von der pauschalen Forderung ab, die Zahlungen in Rubel zu leisten. Zugleich nannte er als neuen Zahlungsempfänger die staatseigene Gazprom-Bank, die wegen ihrer besonderen Nähe zum Erdgasgeschäft nicht mit Sanktionen belegt wurde. Diesen Umstand will er anscheinend nutzen, um die Finanzsanktionen besser unterlaufen zu können, die gegen die russische Zentralbank verhängt wurden. Bei dem nun vorgesehenen Verfahren eröffnen die westeuropäischen Gaskunden bei der Gazprom-Bank jeweils zwei Konten: Eines in Euro und eines in Rubel. Dann beantragen sie die Umwandlung der überwiesenen Euro-Beträge in Rubel. Im Grunde würde sich also nichts wesentliches ändern, wenn in der zweiten April-Hälfte zum ersten Mal die fälligen Gasrechnungen auf diese Weise beglichen werden. Dass die Gazprom-Bank die eingegangenen Euro nicht von sich aus in Rubel umwandelt, sondern erst auf Antrag der Einzahler, dürfte vor allem kosmetische Gründe haben.

Putin kann sein Vabanque-Spiel nur gewinnen, wenn sich die EU tatsächlich erpressen lässt

Westeuropa muss sich grundsätzlich auf weitere solche Erpressungsversuche gefasst machen, bei denen mit dem Stopp oder der Einschränkung von Gaslieferungen gedroht wird. Gewinnen kann Putin ein solches Vabanque-Spiel aber nur, wenn sich die EU tatsächlich erpressen lässt. Andernfalls würde er ihr nur eine unausweichliche Entscheidung erleichtern. Mit einem Lieferstopp würde er sie geradezu zwingen, diesen in ein aktives Embargo zu verwandeln und daran auch festzuhalten. Die Folgen wären vor allem für Russland fatal – und für Putin persönlich, dessen Herrschaft ohnehin angeknackst ist.

Schon Anfang März häuften sich Stimmen, die ein sofortiges Gas-Embargo der EU gegenüber Russland forderten. Der Kreml dämpfte daraufhin diese Embargo-Diskussion und den in Rekordhöhen gestiegenen Gaspreis durch die Ankündigung, die Gaslieferungen über Nord Stream 1 aufrechterhalten zu wollen, obwohl er eigentlich wegen der Nichtgenehmigung von Nord Stream 2 zu einer "spiegelgerechten" Vergeltungsmaßnahme berechtigt sei (220302). Das konnte als Beleg dafür gewertet werden, das ein solches Embargo den russischen Lieferanten noch empfindlicher treffen würde als seine westeuropäischen Kunden.

Bisher will die EU die Unabhängigkeit von russischem Gas erst bis 2027 erreichen

Bisher haben die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Treffen am 10./11. März in Versailles nur beschlossen, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland bis 2027 zu beenden. Die EU-Kommission wurde beauftragt, bis Mitte Mai dazu einen Vorschlag vorzulegen (220303). Bei der vorläufig letzten Ratstagung am 24./25. März war auch der US-Präsident Biden persönlich zugegen, während der ukrainische Präsident Selenskij per Video zugeschaltet wurde. Der Gipfel beließ es aber dabei, erneut die Solidarität mit der Ukraine zu bekunden und den bereits beschlossenen Sanktionen ein viertes Paket hinzuzufügen.

Biden bezeichnete Putin als "Schlächter", "Kriegsverbrecher" und "mörderischen Diktator"

Bei einem anschließenden Besuch in Polen bezeichnete Biden den russischen Präsidenten Putin wegen des Leids, das er über die ukrainische Bevölkerung gebracht hat, als "Schlächter", "Kriegsverbrecher" und "mörderischen Diktator", der "nicht an der Macht bleiben könne". Das traf in vieler Hinsicht ins Schwarze, war aber nicht gerade die Sprache der Diplomatie. Der französische Präsident Macron ließ deshalb wissen, dass er den Begriff "Schlächter" für Putin nicht verwenden würde: Im Ukraine-Krieg müsse eine Eskalation sowohl bei den Handlungen wie bei den Worten vermieden werden. Der Kreml gab sich wegen Bidens Wortwahl so empört, wie sich das für ein Regime gehört, das in der Ukraine angeblich nur eine "Spezialoperation" zur Verjagung von Nazis und zur Verhinderung eines "Völkermords" durchführt. Die Regierung in Washington hielt Bidens Äußerungen insoweit für erläuterungsbedürftig, als er damit nicht die Herbeiführung eines Regimewechsels in Moskau als strategisches Ziel der US-Politik verkündet habei.

Europarat hat Russland endgültig ausgeschlossen

Dabei ist eine grundlegende Neuordnung des Verhältnisses zu Russland ohne einen solchen Regimewechsel eigentlich nicht mehr vorstellbar. Am 16. März beschloss das Ministerkomitee des Europarats, Russland endgültig aus dieser Menschenrechtsorganisation auszuschließen, nachdem es die Mitgliedschaft zu Beginn des Angriffs auf die Ukraine nur suspendiert hatte. Russland hat diverse Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und damit verbundene Geldbußen schon seit sieben Jahren nur noch nach eigenem Gutdünken akzeptiert oder zurückgewiesen (140801, 150708).

UN-Gerichtshof verlangt unverzügliche Beendigung des Angriffs auf die Ukraine

Ebenfalls am 16. März entschied der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass der russische Angriff auf die Ukraine völkerrechtlich derart "zweifelhaft" sei, dass er bis zu einer endgültigen Klärung unverzüglich gestoppt werden müsse. Die Ukraine hatte nämlich von ihrem Recht Gebrauch gemacht, den von Russland mehrfach offiziell erhobenen Vorwurf eines angeblichen "Genozids" gegen vier Millionen Menschen im Osten der Ukraine durch den Gerichtshof überprüfen zu lassen. Diesem Verfahren vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen, in dem Russland selbst einen der 15 Richter stellte, konnte sich der Kreml nicht entziehen. Stattdessen behauptete er nun, dass Putin nicht von Völkermord im Sinne der einschlägigen UN-Konvention gesprochen habe und der Gerichtshof deshalb nicht zuständig sei. Da der Gerichtshof keine Machtmittel zur Durchsetzung seiner Urteile hat, blieb es vorläufig bei einer moralischen Niederlage für den Kreml. Langfristig droht Putin allerdings schon jetzt das Risiko, eines Tages wie der jugoslawische Staatspräsident Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu landen.

 

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