Oktober 2020 |
201004 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die zehn kommunalen Energieversorger, die beim Gericht der Europäischen Union in Luxemburg gegen die Marktaufteilung zwischen E.ON und RWE klagen (200503), haben öffentlich dagegen protestiert, dass die Bundesregierung in diesem Rechtsstreit als Streithelfer für die beiden Konzerne bzw. die beklagten Kartellbehörden auftritt (200909). Am 23. Oktober veröffentlichten sie in der "Frankfurter Allgemeinen", der "Süddeutschen Zeitung" und im "Tagesspiegel" ganzseitige Anzeigen, in der sie den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auffordern, für einen fairen Wettbewerb innerhalb der deutschen Energiewirtschaft zu sorgen anstatt sich für die Entstehung "nationaler Champions" stark zu machen. Eine derartige staatliche Begünstigung von E.ON und RWE komme ohnehin nur deren "überwiegend ausländischen Investoren" zugute (siehe PDF).
Zu den Unterzeichnern des Appells gehört auch Ingbert Liebing, der seit April als Hauptgeschäftsführer des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) amtiert. Der ehemalige CDU-Politiker löste in dieser Funktion die ehemalige CDU-Politikerin Katherina Reiche ab, die voriges Jahr von E.ON-Chef Johannes Teyssen eine Führungsposition beim E.ON-Konzern angeboten bekam und seit Anfang des Jahres Vorsitzende der neuen E.ON-Vertriebsgesellschaft Westenergie ist. Unter Reiches Geschäftsführung zeigte der VKU eine ziemlich lasche Haltung gegenüber der Marktaufteilung zwischen E.ON und RWE. Weder verlangte er eine Untersagung des Vorhabens noch bestimmte Auflagen, um negative Auswirkungen einer kartellrechtlichen Genehmigung zu begrenzen. Seine einzige ablehnende Stellungnahme zu diesem Thema wirkte deshalb eher wie eine Pflichtübung (190908).
Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat sich schon im Februar 2019 bei großen Teilen der deutschen Wirtschaft in die Nesseln gesetzt, als er den Entwurf einer "Nationalen Industriestrategie 2030" vorlegte (190405). Besonderen Anstoß erregte sein protektionistisch anmutendes Konzept, das er unter der Überschrift "Nationale und europäische Champions: Größe zählt – Size matters!" entwarf. Das klang wie eine Neuauflage jener "Züchtung nationaler Champions", die vor zwei Jahrzehnten unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dessen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zum energiepolitischen Programm erhoben wurde.
Altmaiers jetzige Absegnung der Marktaufteilung zwischen E.ON und RWE erinnert an die schlimmste Deformierung des Wettbewerbs, die Schröder und Clement damals mit aller Gewalt durchdrückten: Mit einer ministeriellen Sondererlaubnis für die Einverleibung der Ruhrgas AG durch E.ON setzten sie sich 2002 sowohl über den Einspruch des Bundeskartellamts als auch das Votum der Monopolkommission hinweg. Nachdem diese Ministererlaubnis der gerichtlichen Überprüfung nicht standhielt, einigte sich der E.ON-Konzern auf privatrechtlichem Wege mit den Konkurrenten, damit sie ihre Klagen zurückzogen und er die Ruhrgas doch noch übernehmen konnte. Die bei diesem gigantischen Kuhhandel getroffenen Vereinbarungen sind bis heute nur bruchstücksweise bekannt geworden (siehe Link-Liste zur Fusion E.ON/Ruhrgas).
Die Monopolkommission übte seinerzeit scharfe Kritik an Schröders
Konzept, weil es auf die Förderung marktbeherrschender Großunternehmen
hinauslief. Mit Blick auf den Strommarkt konstatierte sie ein "wettbewerbsloses
Oligopol" auf der Großhandelsebene (040701).
Daran hat sich bis heute nichts wesentliches geändert – trotz eines
überaus lebhaften Wettbewerbs zwischen einer dreistelligen Anzahl von Stromanbietern,
die letztendlich aber alle auf demselben Großhandelsniveau einkaufen und
deshalb ihre Gewinnmargen oft mit nur sehr fragwürdigen oder sogar betrügerischen
Methoden erwirtschaften. Die Stadtwerke repräsentieren dabei den seriöseren
Teil des Vertriebsgeschäfts, obwohl es auch hier Ausnahmen gibt (siehe
Hintergrund, Januar 2019). Wenn nun die beiden Konzerne
E.ON und RWE sich kapitalmäßig verflechten und sowohl das Vertriebs-
wie das Erzeugungsgeschäft beherrschen dürfen, drohen anstelle eines
Oligopols künftig zwei Monopole. Zum Beispiel wird dann der E.ON-Konzern
auf zwei Drittel der Fläche Deutschlands zum größten Stromanbieter
mit einem Marktanteil von über 70 Prozent der Kunden (190202).
Mit dieser geballten Marktmacht bei Erzeugung und Vertrieb kann jeder kommunale
Konkurrent schachmatt gesetzt werden – sogar sehr große Stadtwerke
mit Eigenerzeugung wie die Frankfurter Mainova oder die Dresdener Drewag. Die
Mainova hat deshalb schon vor einem Jahr angekündigt, gegen die Entscheidung
der Kartellbehörden rechtlich vorzugehen (190901).