November 2016 |
161102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die EEX-Stromhandelszone (rot umrandet) schließt sowohl Deutschland als auch Österreich und Luxemburg mit ein. Sie konnte vor vierzehn Jahren an die historisch engen stromwirtschaftlichen Beziehungen zwischen diesen drei Ländern anknüpfen und ist bis heute die einzige grenzübergreifende Stromhandelszone innerhalb der EU geblieben. Wegen des stark gestiegenen Stromhandels und der innerdeutschen Netzengpässe suchen sich aber inzwischen die in Österreich abgenommenen Elektrizitätsmengen ihren Weg größtenteils über die Netze der Nachbarländer. Das sorgt für netztechnische Probleme und viel Ärger. Die europäische Regulierungsbehörde ACER betreibt deshalb die Auflösung der deutsch-österreichischen Stromhandelszone sowie die Fusion der bislang getrennten "Kapazitätsberechnungsregionen" CWE und CEE mit ihren ingesamt 13 Mitgliedsstaaten. |
Die europäische Regulierungsbehörde ACER hat am 17. November die Auflösung der deutsch-österreichischen Stromhandelszone angeordnet, die von der Strombörse EEX seit 2002 praktiziert wird. Wegen der im deutschen Transportnetz bestehenden Engpässe belastet dieses Börsenkonstrukt zunehmend die Netze anderer Staaten mit Ringflüssen (160201) und erfordert ein kostspieliges Engpaß-Management, das die Netzentgelte für die deutschen Stromverbraucher explodieren läßt (160901). Die EU-Behörde ACER und fast alle nationalen Regulierungsbehörden halten deshalb die Auflösung der EEX-Stromhandelszone für unumgänglich. Dagegen sträubt sich die österreichische Regulierungsbehörde E-Control weiterhin gegen eine solche Maßnahme und will sie mit allen möglichen rechtlichen Mitteln verhindern. Österreichische Wirtschaftsverbände befürchten einen Anstieg der Strompreise um rund 15 Prozent und drohen mit Schadenersatzforderungen.
Die ACER-Entscheidung erging nach einer gemeinsamen Sitzung mit den Vertretern der nationalen Regulierungsbehörden ("Board of Regulators"), die am 8. November stattfand und bei der wiederum die große Mehrheit die Auflösung der deutsch-österreichischen Stromhandelszone befürwortete. Die österreichische Regulierungsbehörde E-Control ließ daraufhin wissen, daß sie die bevorstehende förmliche Entscheidung mit allen möglichen rechtlichen Mitteln anfechten werde. Als erstes werde sie den Beschwerdeausschuß der EU-Behörde anrufen, wie sie das bereits vor einem Jahr getan hat, um einen verbindlichen Umsetzungsplan für die Auflösung der Stromhandelszone zu durchkreuzen (160201).
Der E-Control-Vorstand Andreas Eigenbauer bezeichnete die Entscheidung als sachlich falsch, weil der Engpaß innerhalb Deutschlands und nicht an der deutsch-österreichischen Grenze liege. Zudem sei ACER nicht dafür zuständig, über eine Trennung des deutsch-österreichischen Strommarktes zu entscheiden. Für die Festlegung von Gebotszonen sei ein eigenständiges Verfahren vorgesehen, bei dem der Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) die Notwendigkeit eines Engpaß-Managements zwischen Deutschland und Österreich zu prüfen habe.
Nach demselben Muster argumentierten die österreichische Industriellenvereinigung, die Wirtschaftskammer, die Energiebörse EXAA Energy Exchange Austria und der Energiekonzern Verbund. In einer Stellungnahme, die am 4. November der halbstaatliche Verbundkonzern veröffentlichte, beriefen sie sich auf ein Gutachten der Anwaltssozietät Clifford Chance Deutschland LLP, die im Vorgehen der Regulierungsbehörden "schwerwiegende prozessuale und materiellrechtliche Fehler" entdeckt haben will. Falls die EU-Regulierungsbehörde ACER die Trennung der Stromhandelszone anordne, könne sie deshalb von betroffenen Marktteilnehmern auf Schadenersatz verklagt werden. Die österreichische Wirtschaftskammer berief sich auf Studien, wonach bei einer Teilung der Gebotszone ein Anstieg der Strompreisen um etwa 15 Prozent zu erwarten sei. Dies würde die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs hemmen und tausende Arbeitsplätze gefährden.
Im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Auflösung der Stromhandelszone faßte die europäische Regulierungsbehörde ACER einen weiteren Beschluß, der die Zusammenlegung der Kapazitätsberechnungsregionen (CCR) in Mitteleuropa vorsieht. Damit soll künftig gewährleistet werden, daß die Transportnetzbetreiber ihren Kapazitätsberechnungen ein umfassenderes Bild der in Mitteleuropa herrschenden Stromflüsse zugrundelegen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Bisher erfolgen diese Kapazitätsberechnungen getrennt für die Regionen Westeuropa (CWE) und Osteuropa (CEE). Dabei sind Frankreich, die Benelux-Staaten sowie die deutschen Übertragungsnetzbetreiber Amprion und TransnetBW Mitglieder der CWE, während Österreich, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien und Rumänien sowie die deutschen Übertragungsnetzbetreiber TenneT und 50Hertz der CEE angehören (siehe Grafik). Ausgerechnet Deutschland und die ganze EEX-Stromhandelszone werden also unterschiedlichen Kapazitätsregionen und damit verbundenen Betrachtungsweisen zugeordnet, obwohl Deutschland als dominanter Stromproduzent und Verursacher von Ringflüssen im Westen wie im Osten starken Einfluß auf die Netze der Nachbarstaaten ausübt.
Nirgendwo sonst in der EU fließt physikalisch und stromhandelsmäßig soviel Strom über eine Grenze wie zwischen Deutschland und Österreich, wobei die deutschen Stromexporte mehrfach höher sind als die Stromimporte (160110). Innerhalb der Region CWE machen diese Stromflüsse mehr als 54 Prozent in der Region CEE mehr als 42 Prozent aller grenzüberschreitenden Stromflüsse aus. Der größte Teil der Elektrizitätsmengen – knapp 60 Prozent – fließt dabei aber nicht direkt über die deutsch-österreichische Grenze, sondern gelangt über die Netze der Nachbarländer in das Alpenland.