September 2015 |
150907 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die europäische Regulierungsbehörde ACER (091212) hat am 23. September eine Auftrennung des Stromhandelsgebiets Deutschland/Österreich in zwei separate Preiszonen vorgeschlagen. Damit sollen die Ringflüsse vermieden werden, die bisher die Übertragungsnetze Polens und Tschechiens belasten. Der Vorschlag ist das Ergebnis einer Untersuchung, die auf Drängen der polnischen Regulierungsbehörde URE zustande kam. ACER hat die betroffenen nationalen Regulierungsbehörden und Übertragungsnetzbetreiber aufgefordert, sich zur Einführung eines Engpaßmanagements zu verpflichten und innerhalb von vier Monaten einen Zeitplan für die Umsetzung zu erarbeiten. Strom könnte dann nicht mehr in unbegrenzten Mengen zwischen Deutschland und Österreich gehandelt werden, was zumindest stundenweise zu unterschiedlichen Großhandelspreisen in beiden Ländern führen würde.
Die Netze Deutschlands und Österreich sind traditionell gut miteinander verbunden. Im Unterschied zu anderen grenzüberschreitenden Verbindungen gab es zwischen beiden Ländern keine Kapazitätsengpässe. Als die neue Strombörse EEX in Leipzig 2002 ihre Tätigkeit aufnahm (011008), behandelte sie deshalb Deutschland und Österreich von Anfang an als einheitliches Marktgebiet. Inzwischen hat sich die Situation allerdings verändert, weil die Liberalisierung des Strommarktes eine starke Zunahme des Stromhandels bewirkte, für den die bestehenden Netze nicht konzipiert wurden. Außerdem gibt es seitdem für Kraftwerksbetreiber keine Notwendigkeit und keinen Anreiz mehr, ihre Anlagen verbrauchsnah zu errichten. Das sorgt für eine zusätzliche Belastung der Netze.
Das Problem der Ringflüsse über Polen und Tschechien, das jetzt die EU-Regulierungsbehörde beschäftigt, hat sich vor allem durch die in Norddeutschland konzentrierten Windstromkapazitäten zugespitzt: Der dort bei Starkwind erzeugte Stromüberschuß wird nämlich größtenteils von Österreich abgenommen. Wegen der mangelnden Kapazität der Nord-Süd-Verbindungen im deutsch-österreichischen Handelsgebiet fließt er dabei aber auch über die Höchstspannungsnetze der beiden Nachbarstaaten. Diese haben zwar angekündigt, die unerwünschten Stromflüsse aus Deutschland abzublocken (120102). Die Inbetriebnahme eines ersten "Phasenschiebers", der dies an der deutsch-polnischen Grenze besorgen wird, ist in Kürze zu erwarten (140811). Der im deutsch-österreichischen Handelsgebiet bestehende Netzengpaß wird damit freilich nicht beseitigt, und der geplante Netzausbau mit vier leistungsfähigen HGÜ-Trassen, die den Norden Deutschlands direkt mit dem Süden verbinden (150204), dürfte noch etliche Jahre auf sich warten lassen. Es ist deshalb mit einer Verschärfung der Probleme zu rechnen, womit bloße "Redispatch"-Maßnahmen (121109) nicht mehr ausreichen und ein Engpaßmanagement erforderlich wird, wie es bereits an den Grenzen zu anderen Nachbarstaaten besteht.
Die deutsche Bundesnetzagentur und die österreichische E-Control verwiesen in einer gemeinsamen Stellungnahme darauf, daß der Vorschlag von ACER die nationalen Regulierungsbehörden rechtlich nicht bindet. Außerdem müsse die neue EU-Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpaßmanagement berücksichtigt werden, die im August in Kraft trat und derzeit noch die Übertragungsnetzbetreiber beschäftigt (siehe Link). Es gehe nun darum, solche Maßnahmen zu finden und umzusetzen, "die die Netzstabilität sichern, für die Übertragungsnetzbetreiber handhabbar bleiben, und die gleichzeitig möglichst geringe volkswirtschaftliche Belastungen mit sich bringen". Falls sich dabei die Engpaß-Bewirtschaftung als beste Lösung herausstellen sollte, sei mit deren Einführung nicht vor dem Winter 2018/2019 zu rechnen.
Die Forderung der EU-Regulierungsbehörde kam zumindest für die Fachwelt nicht überraschend. Schon im Mai ist die Bundesnetzagentur bei ihrer Prognose für den Bedarf an Reservekraftwerken (150505) davon ausgegangen, daß im Winterhalbjahr 2019/2020 an der österreichisch-deutschen Grenze ein Engpaßmanagement besteht, das den Bedarf an Reservekraftwerken mindert. Die Strombörse EEX veröffentlichte schon am 24. Februar eine Studie, die belegen soll, daß durch eine Aufteilung der deutsch-österreichischen Stromhandelszone "die Gesamtkosten für die Stromversorgung um bis zu 100 Millionen Euro pro Jahr steigen". Zum selben Zeitpunkt vertrat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem "Wochenbericht" die Auffassung, daß die Einführung von zwei Preiszonen "die Marktliquidität senkt und die Marktunsicherheit erhöht". Besser geeignet sei "eine gezielte engpaßorientierte Preisbildung für das gesamte deutsche Stromsystem" in Form eines sogenannten Nodalpreissystems.
Die Einführung unterschiedlicher Preiszonen wäre auch innerhalb Deutschland möglich. Vor vier Jahren hat die Monopolkommission genau diesen Vorschlag gemacht. Er bezweckte allerdings nicht die Behebung von Netzengpässen, sondern die Vermeidung neuer "Stromautobahnen" und den verbrauchsnaheren Bau von Kraftwerken (110907). Die Bundesnetzagentur hat damals diesen Vorschlag harsch abgelehnt (111011). Im Vergleich damit reagierte sie auf den ACER-Vorschlag fast schon zustimmend: "Die Bundesnetzagentur nimmt die Besorgnis unserer Nachbarn in Bezug auf die Netzsicherheit sehr ernst", ließ Behördenchef Jochen Homann verlauten. "Wir begrüßen daher die Empfehlung von ACER und wollen uns gemeinsam auf faire, zukunftssichere Regeln einschließlich eines realistischen Implementierungsfahrplans für die notwendigen Maßnahmen einigen."
Übrigens gab es vor 15 Jahren in Deutschland schon einmal zwei Handelszonen. Sie existierten freilich nur kurze Zeit als Bestandteil der sogenannten Verbändevereinbarung, bevor sie rückwirkend zum 1. Juli 2000 wieder aufgehoben wurden (000701). In diesem Fall dürfte es den Urhebern vor allem um die Behinderung von Wettbewerbern gegangen sein.