August 2015 |
150801 |
ENERGIE-CHRONIK |
Japan hat am 11. August zum ersten Mal wieder einen der 42 Reaktoren hochgefahren, die nach der Katastrophe von Fukushima (110301) zwar einsatzfähig blieben, aber aus Sicherheitsgründen bis auf weiteres abgeschaltet wurden. Es handelt sich um den älteren der beiden baugleichen Druckwasserreaktoren im Kernkraftwerk Sendai, die 1983 bzw. 1985 mit einer Nettoleistung von jeweils 890 MW in Betrieb genommen wurden. Im September soll Sendai 1 wieder Strom ins Netz einspeisen. Die Inbetriebnahme von Sendai 2 ist für Oktober geplant.
Sendai ist allerdings nicht das erste Kernkraftwerk, das nach Fukushima wieder ans Netz geht, wie es verschiedentlich dargestellt wurde: Schon in den Jahren 2012 und 2013 waren die Reaktoren Ohi 3 und Ohi 4 mit Erlaubnis der Regierung vierzehn Monate lang wieder in Betrieb, um möglichen Engpässen bei der Stromversorgung vorzubeugen. Sie mußten dann aufgrund einer Gerichtsentscheidung wieder abgeschaltet werden.
Beim Hochfahren des Reaktors Sendai 1 entdeckte die Betreibergesellschaft Kyushu Electric Power Co. am 20. August winzige Risse in fünf der 1300 Röhren des Kondensators. Da dadurch salzhaltiges Meerwasser in den Kühlkreislauf gelangen konnte, wurde das Wiederanfahren beim bisher erreichten Stand von 75 Prozent der Leistung gestoppt. Am 25. August teilte Kyushu Electric Power mit, daß der Defekt am Kondensator noch vor Monatsende behoben und die Wiederinbetriebnahme fortgesetzt werde. Zum Austritt von Radioaktivität sei es nicht gekommen, da Kondensator und Kühlkreislauf zum nicht-nuklearen Teil eines Druckwasserreaktors gehören.
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Grund zur Besorgnis gibt aber weiterhin der Standort des Kernkraftwerks auf der Insel Kyushu im Süden Japans. Allein im Juli dieses Jahres wurden vier stärkere Erdbeben registriert. Der knapp fünfzig Kilometer entfernte Vulkan Sakurajima ist zur Zeit sehr aktiv. Bisher wurden in diesem Jahr über 500 Eruptionen gezählt. Fachleute halten einen größeren Ausbruch für möglich. Im Umkreis von drei Kilometern um den Vulkan wurden bereits achtzig Anwohner in Sicherheit gebracht.
Umfragen ergaben, daß eine Mehrheit der Japaner die Wiederinbetriebnahme der abgeschalteten Kernkraftwerke ablehnt. Gegen das Hochfahren von Sendai protestierten mehrere hundert Demonstranten, darunter auch der frühere Ministerpräsident Naoto Kan, in dessen Amtszeit sich die die Katastrophe von Fukushima ereignete.
Der gegenwärtige Regierungschef Shinzo Abe, dessen rechtskonservative "Liberaldemokratische Partei" bei den Wahlen Ende 2012 wieder an die Macht kam und seit Dezember 2014 zusammen mit einem kleineren Koalitionspartner sogar über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügt, betreibt dagegen zielstrebig die Wiederinbetriebnahme aller Reaktoren. Im April 2014 hob er die Entscheidung der Vorgänger-Regierung auf, bis spätestens 2040 aus der Kernenergie auszusteigen. Nach dem Willen der Regierung sollen auch die in Bau befindlichen Anlagen Shimane 3 und Ohma mit jeweils 1.325 MW fertiggestellt werden. Die "Liberaldemokratische Partei" unterhält seit jeher enge Beziehungen zur Atomindustrie des Landes.
Zur Beschwichtigung der Kritiker erließ die Regierung neue Sicherheitsvorschriften für den Betrieb der Atomanlagen, die am 6. Juli 2013 in Kraft traten und angeblich die "strengsten der Welt" sind. Daraufhin hatten vier Energiekonzerne sofort die Wiederinbetriebnahme von insgesamt zehn Reaktoren mit einer Leistung von 8,8 Gigawatt beantragt.
Sendai ist das erste Kernkraftwerk, das nach Inkrafttreten der neuen Sicherheitsvorschriften wieder hochgefahren wird. Die Atomaufsicht und die zuständigen Regierungsinstanzen genehmigten bisher ferner die Wiederinbetriebnahme von zwei Reaktoren im Kernkraftwerk Takahama und eines Reaktors am Standort Ikata. Das Wiederanfahren der beiden Takahama-Reaktoren wurde allerdings im April vom zuständigen Bezirksgericht untersagt, weil die Erdbebensicherheit nicht nachgewiesen worden sei. Daran ändere auch die Genehmigung durch die Atomaufsicht nichts, befand das Gericht, weil die neuen, angeblich so strengen Sicherheitsauflagen zu "locker" seien.
Wie sich gezeigt hat, könnte Japan schon jetzt ohne Kernkraftwerke auskommen, obwohl der Inselstaat über keinerlei Verbindungen zu anderen Netzen verfügt und deshalb keinen Strom importieren kann. Die durch die Abschaltung der Kernkraftwerke entstandene Lücke mußte allerdings durch die Aktivierung und Ausnutzung aller sonstigen Kraftwerkskapazitäten geschlossen werden, wodurch den Energiekonzernen hohe Kosten für den Import von Flüssiggas und Öl entstanden. Die Strompreise sind deshalb für Haushalte um rund 20 Prozent und für Unternehmen um 30 Prozent gestiegen.