April 2015 |
150406 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die hessische Landesregierung baut eine doppelte Verteidigungslinie auf, um die Schadenersatzklage abzuwehren, die der RWE-Konzern wegen des im März 2011 verfügten dreimonatigen Stillstands für das Kernkraftwerk Biblis eingereicht hat. Wie die "Frankfurter Allgemeine" am 23. April berichtete, liegt ihr der Schriftsatz vor, mit dem das Land Hessen die RWE-Klage erwidert. Demnach sieht die Regierung in Wiesbaden keinerlei Grundlage für einen solchen Schadenersatz. Zugleich ist sie der Ansicht, daß ein solcher Schadenersatzanspruch allenfalls an die Bundesregierung zu adressieren wäre, die den Beschluß zur vorübergehenden Abschaltung der sieben ältesten Kernkraftwerke gefaßt hat.
Die Abschaltung von Biblis war Bestandteil des "Moratoriums", mit dem die schwarz-gelbe Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima die befristete Außerbetriebnahme der sieben ältesten Kernkraftwerke verfügte (110302). Nachdem die Rechtswidrigkeit dieses Moratoriums auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde, ist seit August vorigen Jahres beim Landgericht Essen eine Schadenersatzklage von RWE anhängig (140807). Der Konzern verlangt darin vom Land Hessen und der Bundesregierung gesamtschuldnerisch eine Entschädigung in Höhe von 235.310.891,60 Euro zuzüglich Zinsen. Die KKW-Betreiber E.ON (141002) und EnBW (141208) machen ähnliche Forderungen geltend. Insgesamt sollen sich die Schadenersatzforderungen der KKW-Betreiber auf 882 Millionen Euro belaufen (150102)
Die von der Berliner Anwaltssozietät Raue ausgearbeitete Klageerwiderung argumentiert damit, daß es RWE nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima selber für opportun gehalten habe, den Block A in Biblis abzuschalten und den in Revision befindlichen Block B nicht wieder anzufahren. Wörtlich heißt es: "Der RWE-Konzern fürchtete massive Umsatzeinbrüche für den Fall eines Festhaltens an seinem Atomkurs. Der freiwillige Verzicht auf Erlöse aus dem Kernkraftgeschäft war gegenüber dem befürchteten Imageschaden die geringere wirtschaftliche Einbuße".
Ferner habe RWE mit einem Anstieg der Strompreise durch Stromverknappung gerechnet. Durch die freiwillig vollzogene KKW-Abschaltung habe der Konzern sogar Gewinne erwirtschaften können, die "nach RWE-internen Schätzungen" die Verluste aus dem Atomgeschäft überstiegen. Die Freiwilligkeit der Abschaltung gehe auch daraus hervor, daß der Konzern die Stillegungsverfügung zunächst nicht angefochten habe. Daß er dann doch Klage einreichte (110403), sei nur ein formales Zugeständnis an die Erwartungen der eigenen Aktionäre gewesen.
Eine gesamtschuldnerische Haftung von Bund und Land, wie sie die RWE-Klage unterstellt, komme schon deshalb nicht in Frage, weil eine solche Doppelzuständigkeit dem Grundgesetz fremd sei. Vor allem habe die Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima "die Sachkompetenz vollständig" an sich gezogen. Den Moratoriums-Beschluß habe sie ohne Rücksprache mit den betroffenen fünf Bundesländern gefaßt. Deren Ministerpräsidenten hätten ihn am 15. März bei einem Treffen mit der Bundeskanzlerin lediglich "zustimmend zur Kenntnis genommen".
Daß die Stillegungsverfügungen letztendlich von der Atomaufsicht der Länder erlassen wurde, ändere nichts an der Verantwortung der Bundesregierung: "Sie hat von ihren Weisungs- und Eingriffsrechten umfassend Gebrauch gemacht, die materiellen Entscheidungen getroffen und das ihr stets bekannte Handeln der Länder nie beanstandet."