Januar 2015 |
150102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das sogenannte Moratorium, mit dem die schwarz-gelbe Bundesregierung im März 2011 eine auf drei Monate befristete Abschaltung der sieben ältesten Kernkraftwerke beschloß (110302), kommt die Steuerzahler nachträglich teuer zu stehen. Nach Feststellung der Verwaltungsgerichte fehlte dem Beschluß der Bundesregierung eine ausreichende materielle Rechtsgrundlage. Dasselbe gilt für die Stillegungsverfügungen, mit denen die fünf CDU-regierten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein das "Moratorium" im Wege der Atomaufsicht durchsetzten. Die Stillegungsverfügung des hessischen Umweltministeriums gegen das Kernkraftwerk Biblis war sogar formell rechtswidrig (140110). Vor diesem Hintergrund verlangen inzwischen sowohl RWE (140807) als auch E.ON (141002) und EnBW (141208) hohe Summen als Schadenersatz von der jeweils atomaufsichtlich zuständigen Landesregierung oder der Bundesregierung. So will RWE allein für die Abschaltung von Biblis 235 Millionen Euro haben. Wie das ARD-Fernsehmagazin "Monitor" am 15. Januar berichtete, addieren sich die Forderungen der drei KKW-Betreiber zu insgesamt 882 Millionen Euro.
Laut "Monitor" begründen die KKW-Betreiber ihren Forderungen nicht nur mit den drei Monaten des Moratoriums, das Mitte Juni 2011 auslief, sondern auch mit dem Stillstand der Anlagen in den folgenden sieben Wochen, bevor am 6. August das neue Atomgesetz in Kraft trat und damit eine neue Rechtslage entstand (110601). Sie argumentieren, daß sie das Wiederanfahren der Reaktoren in dieser Zeit nur unter politischem Druck unterlassen hätten. Als Beleg für diese Behauptung diene ihnen ein Schreiben des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) an den damaligen RWE-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Großmann, in dem Bouffier den RWE-Chef vor dem Wiederanfahren von Biblis B warnte und andernfalls ein nicht näher präzisiertes "Vorgehen" der Behörden androhte:
Sehr geehrter Herr Vorstandsvorsitzender, sehr geehrter Herr Dr. Großmann,
das dreimonatige Moratorium mit dem Ziel der Neubewertung der Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke läuft am 15. Juni 2011 aus. Unter Hinweis auf das derzeit laufende Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des Atomgesetzes gehe ich davon aus, daß Sie von Ihrem Recht, Biblis B nach Ablauf der einstweiligen Betriebseinstellung am 18. Juni 2011 wieder anzufahren, im Hinblick auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auch in Zukunft mit den hessischen Behörden keinen Gebrauch machen. Sollte meine Einschätzung nicht den Tatsachen entsprechen und Sie ein Wiederanfahren von Biblis B in Erwägung ziehen, darf ich Sie vorsorglich darauf hinweisen, dass die hessische Atomaufsicht – auch im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) als übergeordnete Behörde – dagegen vorgehen wird.
An diesem Brief irritiert zunächst, daß Bouffier dem RWE-Konzern ausdrücklich das Recht zugesteht, den Reaktor nach Ablauf des Moratoriums wieder in Betrieb zu nehmen. Zugleich droht er aber mit nicht näher bezeichneten Sanktionen, falls RWE von diesem Recht tatsächlich Gebrauch macht. Als Volljurist mit zwei juristischen Staatsexamen müßte Bouffier eigentlich wissen, daß sich auch die hessische Atomaufsicht an geltende Vorschriften zu halten hat. Dem angedrohten "Vorgehen" beim Ausbleiben einer "vertrauensvollen Zusammenarbeit" mit den Behörden fehlt es jedenfalls an einer erkennbaren rechtlichen Grundlage.
Der eigentliche Skandal liegt nach Darstellung von "Monitor" aber woanders: Was vordergründig wie eine Drohung klinge, sei abgesprochen gewesen und habe dem RWE-Konzern in die Hände gespielt, indem es ihm die spätere Anmeldung von Schadenersatzforderungen ermöglichte. In einem vom 6. Juni 2011datierten Schreiben habe RWE-Chef Jürgen Großmann um genau ein solches ablehnendes Schreiben gebeten:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Bouffier,
der 15. Juni und damit der Tag, an dem wir Biblis B wieder anfahren könnten, rückt näher. Herr Minister Pofalla sagte mir zu, mir bis dorthin wieder einen schriftlichen Bescheid zu geben, dass Sie ein evtl. Anfahren verhindern werden. Wann können wir mit diesem Schreiben rechnen?
"Ein solcher Vorgang hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun, das ist einfach eine Umgehung von Rechtsstaatlichkeit", erklärte der ehemalige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, in der "Monitor"-Sendung. Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, empörte sich ebenfalls darüber, wie hier "Herr Großmann bei einem Ministerpräsidenten eine Drohung bestellt, damit er seine Atomkraftwerke nicht wieder anfahren muß – auf ganz freundschaftlicher Basis".