März 2013 |
130302 |
ENERGIE-CHRONIK |
Am 2. März protestierten in Meerbusch-Osterath 1800 Bürger gegen die geplante Errichtung einer großen Stromrichter-Anlage, indem sie das vorgesehene Baugelände umzingelten. Der Netzbetreiber Amprion und die Bundesnetzagentur halten das Projekt für notwendig, damit in die 660 Kilometer lange HGÜ-Verbindung von den Offshore-Windparks in der Nordsee nach Süddeutschland auch Strom aus Braunkohle eingespeist werden kann (siehe unten). Foto: Initiative gegen den Doppelkonverter
Osterath
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Der Bundestag behandelte am 15. März in erster Lesung das "Zweite Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze". Kernpunkt des von der Bundesregierung vorgelegten Artikelgesetzes ist der vom Kabinett gebilligte "Bundesbedarfsplan" (121213), der nach § 12e Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes dem Parlament vorzulegen ist und nach dessen Zustimmung als "Bundesbedarfsplangesetz" (BBPlG) Gesetzeskraft erlangt. Drei weitere Artikel ändern außerdem das Energiewirtschaftsgesetz, das Energieleitungsausbaugesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung. Wie schon bei dem vor vier Jahren beschlossenen Energieleitungsausbaugesetz (090506) wird der Rechtsweg auf eine einzige Instanz verkürzt, indem über Einsprüche gegen die im Bundesbedarfsplan aufgelisteten Projekte ausschließlich das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hat.
Das "Gesetz über den Bundesbedarfsplan" übernimmt alle 51 Projekte des Netzentwicklungsplans, die von der Bundesnetzagentur bestätigt wurden (121106). In der neuen Gliederung werden daraus aber 36 Vorhaben mit zum Teil mehreren Einzelmaßnahmen. Hinzu erhalten die Projekte besondere Kennzeichnungen: Der Buchstabe A steht für grenzüberschreitende bzw. länderübergreifende Leitungen. Die Buchstaben B, C und D markieren Pilotprojekte mit Hochspannungs-Gleichstromübertragung, Erdverkabelung und Hochtemperaturleiterseilen (siehe Tabelle).
Die Möglichkeit der Erdverkabelung, die das Energiewirtschaftsgesetz bisher nur für ein Pilotprojekt vorsieht, wird auf zwei solcher Vorhaben erweitert. Es handelt sich um die beiden HGÜ-Trassen von Wilster nach Grafenrheinfeld und von Oberzier zur belgischen Grenze.
Die Einbringung des Gesetzes gab Anlaß für eine polemische, aber nicht sonderlich fundierte Auseinandersetzung, in der sich die schwarz-gelbe Koalition und die rot-grüne Opposition wechselseitig beschuldigten, bei der Verwirklichung der "Energiewende" versagt zu haben und die Verbraucher mit unnötigen Kosten zu belasten. Der Gesetzentwurf selber stand dabei nicht zur Debatte. Er trägt auch nicht die Handschrift der Koalition, sondern ist das Ergebnis der im Juni 2011 beschlossenen EnWG-Novellierung, mit der die Erstellung des "Bundesbedarfsplans" im wesentlichen den Netzbetreibern und der Bundesnetzagentur übertragen wird (110602). Die Bundesregierung wird quasi kommissarisch tätig, wenn sie den von der Bundesnetzagentur bestätigten Netzentwicklungsplan zum "Bundesbedarfsplan" erklärt und dem Parlament zur Genehmigung vorlegt.
Nur die Linke weigerte sich, dem so erzeugten Anschein von unbestechlicher Fachkompetenz und unentrinnbaren Sachzwängen ihre Reverenz zu erweisen: "Im Kern handelt es sich schlicht und ergreifend um einen Gesetzentwurf, durch den die Profite der Energiemonopolisten und die Profite der Netzbetreiber weiter abgesichert werden sollen", erklärte der Abgeordnete Dietmar Bartsch.
SPD und Grüne warfen dagegen der schwarz-gelben Koalition vor, sie gefährde die von allen Parteien gewollte "Energiewende" durch Untätigkeit oder durch destruktive Maßnahmen wie das geplante Einfrieren der EEG-Umlage. "Über alles, was wir hier bereden, besteht doch Einvernehmen", hielt Sigmar Gabriel (SPD) dem Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) vor. "Aber Sie setzen nichts um. Bei der Umsetzung der Energiewende sind Sie ein Totalversager." Daß Rösler das kleine Einmaleins eines Wirtschaftsministers nicht beherrsche, zeigten auch die Vorschläge zur Strompreissicherung, die er zusammen mit Bundesumweltminister Altmaier (CDU) vorgelegt hat (130202): "Was Sie da vorschlagen, ist doch irre. Weil Sie offenbar von allen guten Geistern verlassen sind, wollen Sie das jetzt im Schweinsgalopp durchsetzen. Sie müssen wirklich, Entschuldigung, nicht mehr ganz bei Trost sein."
Die im Bundesbedarfsplan vorgesehenen Neubau-Trassen sind bisher nicht genau festgelegt. Sie bewegen sich vielmehr innerhalb eines vage skizzierten "Korridors" zwischen jeweils zwei Netzknoten, was vorläufig kaum konkret begründbare Einsprüche zuläßt. Auf den heftigsten Widerstand stößt deshalb bisher kein Leitungsprojekt, sondern eine Stromrichter-Anlage, die der Netzbetreiber Amprion am Netzknoten Meerbusch-Osterath errichten will. Die zwanzig Meter hohe Konverterhalle würde mitsamt Nebeneinrichtungen die Fläche von zwölf Fußballfeldern beanspruchen. Allen Transparenz-Beteuerungen zum Trotz erfuhren die betroffenen Anwohner eher zufällig von dem Projekt, denn in den Netzentwicklungsplänen (120508,120803) wurden lediglich die von und nach Osterath führenden Neubau-Leitungen aufgeführt. Im Oktober 2012 bildete sich daraufhin eine Bürgerinitiative. Von den insgesamt 3300 Einwendungen, die bei der Bundesnetzagentur im Rahmen einer unverbindlichen Anhörung zum Netzentwicklungsplan eingingen, kamen gut zwei Drittel aus Meerbusch. Der Stadtrat votierte einstimmig gegen das Projekt. Auch die Bundes- und Landtagsabgeordneten aller Parteien aus der Region wandten sich dagegen. Vorläufiger Höhepunkt der Protestbewegung war am 2. März eine 1700 Meter lange Menschenkette, mit der 1800 Bürger den vorgesehenen Standort des HGÜ-Konverters umzingelten (siehe Foto).
Einen ersten Erfolg konnte die Bürgerinitiative verbuchen, als die Bundesnetzagentur im November bei ihrer Bestätigung des Netzentwicklungsplans (121106) die Standortbezeichnung Osterath "nicht als gemarkungs- oder grundstücksscharfe Positionsangabe" verstanden wissen wollte. "Die exakte Lokalisierung der erforderlichen technischen Einrichtungen wie z.B. der Konverterstation ist Gegenstand der späteren Planungsverfahren", hieß es beschwichtigend. Ähnlich hinhaltend äußerte sich der Netzbetreiber Amprion. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) versprach eine "ergebnisoffene Suche", bei der allerdings Osterath "nicht ausgeschlossen" werden dürfe.
Schon jetzt läßt die Bundesnetzagentur aber nicht an der Notwendigkeit eines solchen Doppelkonverters rütteln, obwohl die beiden HGÜ-Leitungen, die im Bundesbedarfsplan mit Nr. 1 und 2 beziffert sind (siehe Tabelle), jeweils kürzer als die 400 Kilometer sind, die im allgemeinen als Limit für die Wirtschaftlichkeit einer HGÜ-Verbindung gelten. Sie begründet dies damit, daß die insgesamt 660 Kilometer lange HGÜ-Trasse nicht nur Windstrom von der Nordsee nach Süddeutschland transportieren soll. Vielmehr müsse auf halbem Wege auch die Möglichkeit zur Einspeisung von Strom aus den Braunkohlekraftwerken des rheinischen Reviers gegeben sein, um den süddeutschen Verbrauchsschwerpunkt um das Kernkraftwerk Philippsburg versorgen zu können, das bis Ende 2019 gänzlich abgeschaltet wird (110601). Die 660 Kilometer lange HGÜ-Trasse von Emden nach Philippsburg könne deshalb nicht als durchgehende Verbindung realisiert werden. Vielmehr sei es notwendig, sie in zwei Abschnitte zu zerlegen, wobei der Gleichstrom aus den Offshore-Windparks durch die Doppelkonverter-Anlage bei Osterath erst in Wechselstrom und dann wieder in Gleichstrom umgewandelt wird, bevor er die restliche Strecke nach Philippsburg zurücklegt.
Die 340 Kilometer lange HGÜ-Leitung von Osterath nach Philippsburg soll bereits 2017 fertig sein, da sie über das Gestänge von bereits vorhandenen 380-kV-Masten verlegt werden kann (120401). Die 320 Kilometer lange HGÜ-Trasse von Emden/Borßum nach Osterath muß dagegen völlig neu gebaut werden und wird frühestens 2020 den Transport von Windstrom aus der Nordsee nach Süddeutschland ermöglichen. Beide HGÜ-Leitungen sollen jeweils über eine Kapazität von 2000 Megawatt verfügen.
Vorhaben des Netzausbaues, für die nach dem "Gesetz über den Bundesbedarfsplan" energiewirtschaftliche Notwendigkeit und vordringlicher Bedarf bestehen
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Nr. | Vorhaben | Kennzeichnung |
1 | Höchstspannungsleitung Emden-Borßum – Osterath; Gleichstrom | A, B |
2 | Höchstspannungsleitung Osterath – Philippsburg; Gleichstrom | A, B |
3 | Höchstspannungsleitung Brunsbüttel – Großgartach; Gleichstrom | A, B |
4 | Höchstspannungsleitung Wilster – Grafenrheinfeld; Gleichstrom | A, B, C |
5 | Höchstspannungsleitung Lauchstädt – Meitingen; Gleichstrom | A, B |
6 | Höchstspannungsleitung Conneforde – Cloppenburg – Westerkappeln;
Drehstrom Nennspannung 380 kV |
A |
7 | Höchstspannungsleitung Dollern – Stade – Sottrum – Wechold – Landesbergen; Drehstrom Nennspannung 380 kV Mit den Einzelmaßnahmen |
- |
8 | Höchstspannungsleitung Brunsbüttel – Barlt – Heide – Husum – Niebüll – Bundesgrenze (DK); Drehstrom Nennspannung 380 kV Mit den Einzelmaßnahmen |
A |
9 | Höchstspannungsleitung Hamm-Uentrop – Kruckel; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
10 | Höchstspannungsleitung Wolmirstedt – Helmstedt – Wahle; Drehstrom Nennspannung 380 kV | A |
11 | Höchstspannungsleitung Bertikow – Pasewalk; Drehstrom Nennspannung 380 kV | A |
12 | Höchstspannungsleitung Vieselbach – Eisenach – Mecklar; Drehstrom Nennspannung 380 kV | A |
13 | Höchstspannungsleitung Pulgar – Vieselbach; Drehstrom Nennspannung 380 kV | A |
14 | Höchstspannungsleitung Röhrsdorf – Remptendorf; Drehstrom Nennspannung 380 kV | A |
15 | Höchstspannungsleitung Punkt Metternich –Niederstedem; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
16 | Höchstspannungsleitung Kriftel – Obererlenbach; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
17 | Höchstspannungsleitung Mecklar – Grafenrheinfeld; Drehstrom Nennspannung 380 kV | A |
18 | Höchstspannungsleitung Redwitz – Mechlenreuth – Etzenricht – Schwandorf; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
19 | Höchstspannungsleitung Urberach – Pfungstadt – Weinheim – Punkt G380 – Altlußheim – Daxlanden, Kriftel – Farbwerke Höchst Süd; Drehstrom Nennspannung 380 kV Mit den Einzelmaßnahmen |
A |
20 | Höchstspannungsleitung Grafenrheinfeld – Kupferzell – Großgartach; Drehstrom Nennspannung 380 kV Mit den Einzelmaßnahmen |
A |
21 | Höchstspannungsleitung Daxlanden – Bühl/Kuppenheim – Eichstetten; Drehstrom Nennspannung 380 kV | D |
22 | Höchstspannungsleitung Großgartach – Endersbach; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
23 | Höchstspannungsleitung Herbertingen – Tiengen; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
24 | Höchstspannungsleitung Punkt Rommelsbach – Herbertingen; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
25 | Höchstspannungsleitung Punkt Wullenstetten – Punkt Niederwangen; Drehstrom Nennspannung 380 kV | A |
26 | Höchstspannungsleitung Bärwalde – Schmölln; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
27 | Höchstspannungsleitung Abzweig Welsleben – Förderstedt; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
28 | Höchstspannungsleitung Abzweig Parchim Süd – Neuburg; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
29 | Höchstspannungsleitung Anbindung Offshore-Windpark Kriegers Flak
(DK) mit Verbindung Offshore-Windpark Kriegers Flak (DK) – Offshore-Windpark
Baltic 2 (Combined Grid Solution); Gleichstrom, Drehstrom Nennspannung 380 kV |
A, B |
30 | Höchstspannungsleitung Oberzier – Bundesgrenze (BE); Gleichstrom | A, B, C |
31 | Höchstspannungsleitung Wilhelmshaven – Conneforde; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
32 | Höchstspannungsleitung Bundesgrenze (AT) – Altheim mit Abzweig Matzenhof – Simbach, Isar – Ottenhofen; Drehstrom Nennspannung 380 kV • Maßnahme Abzweig Simbach |
A |
33 | Höchstspannungsleitung Schleswig-Holstein – Südnorwegen (NORD.LINK); Gleichstrom | A, B |
34 | Höchstspannungsleitung Emden Ost – Conneforde Süd; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
35 | Höchstspannungsleitung Birkenfeld – Mast 115A; Drehstrom Nennspannung 380 kV | - |
36 | Höchstspannungsleitung Vöhringen – Bundesgrenze (AT) mit Abzweig Woringen – Memmingen; Drehstrom Nennspannung 380 kV Mit den Einzelmaßnahmen: |
A |