April 2011 |
110404 |
ENERGIE-CHRONIK |
Auch in der Fernseh-Talkshow vom Maybrit Illner am 14. April bekundete BDEW-Chefin Hildegard Müller (zweite von rechts) größere Gemeinsamkeiten mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen (zweiter von links) als mit den neben ihr sitzenden Kernenergie-Verfechtern Fritz Vahrenholt (RWE) und Hans-Werner Sinn (Ifo-Institut). Links die Bundesgeschäftsführerin der Linken, Caren Lay. |
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat sich am 8. April "für den schnellen und vollständigen Ausstieg aus der Kernenergienutzung" ausgesprochen. Der Ausstieg soll unter "Sicherstellung von Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Bezahlbarkeit" bis 2020 erfolgen – aber spätestens bis zum Jahr 2022/2023, wie dies der ursprünglich vereinbarte Kernenergie-Kompromiß vorsah (010602).
Der Lobby-Verband der Energiewirtschaft unterstützt damit den atompolitischen Kurswechsel der Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe in Japan (110302, 110303). Da er bisher die Kernenergie befürwortete und oft als Bauchredner der vier Energiekonzerne auftrat, ist das keineswegs selbstverständlich und hat einiges Aufsehen erregt. Offenbar hat sich damit ein weiteres Mal die Masse der 1600 kleineren Mitglieder durchgesetzt, die bereits bei der Gründung des Verbands verhinderten, daß ein Verbandspräsident nach dem alleinigen Gusto der vier Konzerne berufen wurde (080615).
Vor allem die großen kommunalen Versorger sind seit einiger Zeit nicht mehr bereit, sich unterbuttern zu lassen. Im Oktober 2010 hatten sie sogar mit einer Zeitungsanzeige öffentlich gegen die Verlängerung der KKW-Laufzeiten protestiert, die damals von den vier Konzernen durchgedrückt und auch vom BDEW befürwortet wurde (101107).
Außerdem kann von einer geschlossenen Abwehrfront der vier KKW-Betreiber keine Rede sein. Bisher wehrt sich nur RWE eindeutig gegen das Abschalten der beiden Reaktoren in Biblis (110403). Eine gewisse Rolle könnte außerdem gespielt haben, daß die BDEW-Chefin Hildegard Müller eine frühere Weggefährtin und Vertraute der Bundeskanzlerin Angela Merkel ist (080712).
"Die Reaktorkatastrophe in Fukushima hat die energiepolitische Debatte in Deutschland schlagartig verändert", erklärte der Thüga-Vorstandsvorsitzende und ehrenamtliche BDEW-Präsident Ewald Woste (100716) nach der Vorstandssitzung in Berlin. "Nahezu alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien haben in kürzester Zeit eine Neubewertung der Kernenergie-Risiken vorgenommen. Dies erfordert eine neue Positionierung der Energiepolitik und der Energiewirtschaft." Auch der Vorstand des BDEW habe deshalb mit "überwältigender Mehrheit" seinen Beschluß gefaßt, der bereits Vorschläge zu einem beschleunigten Umbau der Energieversorgung enthalte.
Der Lobby-Verband der Energiewirtschaft sieht offenbar neue Chancen für den Bau von Kohle- und Gaskraftwerken, nachdem das im Herbst 2010 vorgelegte Energiekonzept der Bundesregierung hinsichtlich der Kernenergie obsolet geworden ist (100902). Kohle- und Gaskraftwerke sollen gewissermaßen als neue Brückentechnologie für den "Übergang hin zu einer CO2-neutralen Energieversorgung bis 2050" dienen. "Neben der Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien werden die fossilen Energieträger Kohle und Erdgas noch für lange Zeit unverzichtbar für eine zuverlässige und wirtschaftliche Energieversorgung sein", erklärte BDEW-Präsident Woste. Deren fortdauernde Bedeutung sei im bisherigen Energiekonzept weitgehend unberücksichtigt geblieben. Durch den nunmehr wieder beschleunigten Kernenergie-Ausstieg würden Kohle und Erdgas sowie die Kraft-Wärme-Kopplung bzw. Fernwärme noch wichtiger.