November 2010 |
101107 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das tat weh: Solche Töne waren die vier Konzerne bisher von den Stadtwerken nicht gewohnt.
Die Chefs von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW haben sich bei den Landesregierungen von Thüringen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen schriftlich über eine Anzeige beschwert, mit der die Stadtwerke am 28. Oktober gegen die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke protestierten. Neben mehr als fünfzig Stadtwerken hatten auch einige Landesminister unterzeichnet (siehe Originalfassung). Die kommunalen Versorger wehrten sich mit der Anzeige vor allem gegen die Entwertung ihrer geplanten oder bereits getätigten Investitionen in Kraftwerksbauten (100302). Damit werde Wettbewerb verhindert, die Nutzung erneuerbarer Energien verzögert und regionale Wirtschaftskraft vernichtet, während die Verbraucher die Zeche zahlen müßten. In ihren Schreiben an die Landesregierungen wiesen die vier Konzernchefs diese Vorhaltungen als falsch und sachlich unzutreffend zurück, berichtete die "Frankfurter Allgemeine" (1.11.). Näheres zu Argumentation und Stil des Schreibens wurde jedoch nicht bekannt.
Ähnlich allergisch reagierten die vier Konzerne vor fünf Jahren, als der damalige Chef der Norddeutschen Affinerie, Werner Marnette, mit dem anschaulichen Bild vom "Strommarkt mit vier Besatzungszonen" den fehlenden Wettbewerb bei Industriestrompreisen auf den Punkt brachte (050603). Die Konzernchefs von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW beschwerten sich daraufhin massiv beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Als Folge der Pressionen erklärte Marnette seinen Rücktritt als Vorsitzender des BDI-Energieausschusses (050801).
Die Stadtwerke-Anzeige erschien am selben Tag, an dem der Bundestag die Laufzeiten-Verlängerung sowie die neue Brennelementesteuer und den mit den KKW-Betreibern vereinbarten "Energie- und Klimafonds" beschloß (101002). Es handelte sich gewissermaßen um eine Retourkutsche zu jener Anzeigenkampagne, mit der die vier Konzerne im August versuchten, ihre Forderung nach einer Verlängerung um mindestens 15 Jahre zu popularisieren und die Kanzlerin unter Druck zu setzen (100802). Die KKW-Betreiber und ihre Mitstreiter, zu denen etwa der Deutsch-Bank-Chef Josef Ackermann und der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement gehörten, scheinen dabei ihre Sympathiewerte in der Bevölkerung gewaltig überschätzt zu haben. Die Stadtwerke verfügen in dieser Hinsicht sicher über mehr Kredit, was auch die jetzige gereizte Reaktion der Konzerne zum großen Teil erklären mag.
"Es sind nun die eher betulich, fest im Provinziellen verankerten Stadtwerke, die jetzt die aggressiven Töne anschlagen, wie man sie früher von den Grünen oder eingefleischten Atomkraft-Nein-Danke-Jüngern gewohnt war", wunderte sich die "Wirtschaftswoche" (28.10.). "Diese Art der Marketingaktion ist genauso überflüssig wie die der vier großen Versorger gegen die Kanzlerin, kurz vor der Einigung, die Laufzeiten zu verlängern." Da aber auch die "Wirtschaftswoche" und der gesamte Holtzbrinck-Konzern von Anzeigen leben, fügte das Blatt vorsichtshalber hinzu: "Anzeigenaktionen der Industrie ja, sie sind sinnvoll, weil sie auf intelligente Leser der Tageszeitungen und Magazine treffen. Also mehr davon im Interesse aller. Aber intelligentere Texter darf man den Stadtwerken und Großversorgern schon noch wünschen."
In der Bundestagsdebatte hatte Linken-Sprecher Gregor Gysi die Stadtwerke für ihre "schöne ganzseitige Anzeige" gelobt und den Slogan für seine Kritik an der schwarz-gelben Koalition aufgegriffen: "Vier Konzerne gewinnen und Millionen und Abermillionen Menschen werden verlieren. Das ist die Spaltung, die Sie organisieren und ganz bewusst in Kauf nehmen."