November 2010 |
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ENERGIE-CHRONIK |
Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin hat der Europäischen Union "die Gestaltung einer harmonischen Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok" vorgeschlagen, die vor allem auch "die Idee eines gemeinsamen Energiekomplexes in Europa" umfassen soll. Putin machte diese Avancen in einem Zeitungsartikel, der anläßlich des "4. SZ-Führungstreffens Wirtschaft" am 25. November in der "Süddeutschen Zeitung" erschien.
Zunächst gehe es darum, alle noch vorhandenen Hemmnisse für den Beitritt Rußlands zur Welthandelsorganisation (WTO) auszuräumen, schrieb Putin. Dann würden eine "Vereinheitlichung der Rechts- und Zollvorschriften sowie der technischen Regelsätze folgen". Ein solche Freihandelszone zwischen Rußland und der EU werde beiden Seiten zugute kommen: Einerseits sei Rußland "nach wie vor auf die Rohstoffkonjunktur stark angewiesen". Andererseits ernte nun die Europäische Union "die Früchte ihrer langjährigen Desindustrialisierung" und werde mit der "realen Gefahr der Abschwächung ihrer Positionen auf den Märkten der Industrie und der Hochtechnologiegüter konfrontiert".
So könne dann eine "fürwahr harmonische Synthese der beiden Wirtschaften bewirkt werden - einer klassischen und bewährten in der EU und einer neuen und aufstrebenden in Rußland, denen einander gut ergänzende Wachstumsfaktoren eigen sind".
Putin bestritt, daß Rußland seine Gas- und Ölexporte auch als politisches Druckmittel einsetzt. Ein solcher Eindruck habe "gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun". Es sei zwar zu Problemen mit Transitländern gekommen, weil diese versucht hätten, "einseitige Vorteile aus ihrer Monopolstellung zu ziehen". Die daraus resultierenden Streitigkeiten hätten aber "weder den Interessen Rußlands noch denen der Abnehmer unserer Energieressourcen" entsprochen.
"Viele europäische Regierungen, auch die Bundesregierung" würden deshalb sowohl den Bau der Gas-Pipeline durch die Ostsee ("Nord Stream") als auch die geplante Pipeline durch das Schwarze Meer ("South Stream") unterstützen. Mit den beiden Projekten werde Europa "ein diversifiziertes und flexibles System der Erdgassversorgung bekommen". Das konkurrierende, vond er EU unterstützte Projekt "Nabucco" erwähnte der Kremlchef nicht.
Dem dritten Energie-Paket der EU warf Putin vor, daß es Investoren abschrecke. Damit meinte er offenbar die Kautelen gegen den Einstieg von Gazprom in die westeuropäische Energieversorgung (070901). Er forderte demgegenüber "die Möglichkeit, nicht nur mit Energieressourcen zu handeln, sondern auch Aktiva auszutauschen und in allen Phasen der technologischen Wertschöpfungskette - von der Erkundung über die Förderung von Energieressourcen bis hin zu den Lieferungen an Endverbraucher - zusammenzuarbeiten".
Auf dem von der "Süddeutschen Zeitung" veranstalteten Forum selbst beklagte Putin am 25. November den "politisch motivierten Widerstand", auf den russische Investoren in der EU stoßen würden. Den russischen Unternehmen würden in der EU viel mehr Probleme bereitet als westlichen Firmen in Rußland, meinte er.
Die ebenfalls anwesende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hielt die Idee einer Freihandelszone zwischen Rußland und der EU für unterstützenswert. Sie gab aber zu bedenken, daß jüngste Schritte des Kreml wie die Zollunionen mit Kasachstan und Weißrußland nicht gerade in die Richtung einer Freihandelszone mit der EU weisen würden.
Deutlich positiver äußerte sich gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (26.11.) der Bundesaußenminister Guido Westerwelle: "Der Vorschlag des russischen Ministerpräsidenten zeigt, wie eng wir in unseren strategischen Zielstellungen beieinander liegen", verkündete der FDP-Politiker. "Wir wollen die breite und strategisch ausgerichtete Partnerschaft mit Rußland auch in Wirtschaftsfragen ausbauen."
Harmonische Synthese von Pest und Cholera?(siehe oben) Bei seiner Beschwörung einer "fürwahr harmonischen Synthese der beiden Wirtschaften" verlor der Kreml-Herrscher Putin selbstverständlich kein Wort über fehlende Rechtssicherheit, Korruption, Menschenrechtsverletzungen und die Mafia-ähnlichen Strukturen in Politik und Wirtschaft seines Landes. Genau das ist es nämlich, was "Investoren" wie Gazprom zu einem politischen Risiko für die EU macht und umgekehrt auch das wirtschaftliche Engagement in Rußland für westliche Unternehmen oft zum Alptraum werden läßt. Noch schlimmer ergeht es Putins eigenen Landsleuten, wenn sie der herrschenden Clique gefährlich werden. Selbst Angehörige dieser Clique haben nichts zu lachen, sobald sie aus der Reihe tanzen. Die Schauprozesse gegen den Ölmagnaten Chodorkowskij hätte Stalin nicht viel besser inszenieren können. Das hinderte den Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder freilich nicht, seinen Freund Putin als "lupenreinen Demokraten" zu bezeichnen und sich von Gazprom für den hochbezahlten Posten eines Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Ostsee-Pipeline anheuern zu lassen. Wenn Putin von einer "neuen und aufstrebenden" Wirtschaft in Rußland mit spezifischen "Wachstumsfaktoren" spricht, kann er eigentlich nur die Oligarchen und die mit ihnen verschwisterte Polit-Kaste meinen. Das glitzernde Hochhaus von Gazprom und sonstiger Glanz in Moskau, der auf Kosten des restlichen Landes geht, verdecken die allgemeine Misere nur mühsam. Die russische Wirtschaft ist jedenfalls weder neu noch aufstrebend. Sie ist vielmehr rückständig und darniederliegend. Und das liegt vor allem an einer parasitären "Elite", die sich noch schamloser als die alte Nomenklatura auf dem Rücken einer verarmten und entmündigten Bevölkerung bereichert. Immerhin scheint Putin erkannt zu haben, daß die herrschende Clique nicht endlos darauf vertrauen darf, durch den Export von Bodenschätzen genügend Devisen in den Staatshaushalt und in die eigenen Taschen zu bekommen. Normalerweise bestände die Alternative darin, die marode russische Wirtschaft auf jenes Weltniveau zu bringen, das sie zu Sowjetzeiten wenigstens in militärisch wichtigen Teilbereichen besaß. Dafür fehlt es aber in vieler Hinsicht an den Voraussetzungen, wie Putin selber weiß und in etwas verklausulierter Form eingesteht. Es bleibt für ihn auch nur ein schwacher Trost, daß er nun die EU als Folge einer "langjährigen Desindustrialisierung" ebenfalls auf dem absteigenden Ast sieht. Ersatzweise will Putin die Gas- und Ölvorkommen seines Landes als finanzielle und politische Basis nutzen, um über Aufkäufe und Beteiligungen in der globalisierten Wirtschaft mitmischen zu können. Naturgemäß richtet sich sein Blick dabei vor allem auf die Energiewirtschaft und Westeuropa. Mit den Erlösen aus dem Gasexport in die EU-Staaten will er sich wirtschaftliche Schlüsselpositionen in diesen Ländern sichern. Er empfiehlt sich gar als Nothelfer für eine EU-Wirtschaft, der mittlerweile selber der Wind ins Gesicht blase. Er will deshalb auch die vor zwanzig Jahren entworfene "Energie-Charta" nicht akzeptieren, die das ehemalige Sowjetreich vorrangig als Rohstofflieferant der europäischen Industrieländer sieht (090201). Er verlangt ungehinderte Betätigungsfreiheit bei der Übernahme von Unternehmen in Westeuropa. So wie Gazprom bereits den Ex-Bundeskanzler Schröder eingekauft hat (051202) und viele Millionen Euro für die Sympathiewerbung per Sponsoring ausgibt (091010), soll sich der vom Kreml dirigierte Konzern auch die westeuropäische Energiewirtschaft dienstbar machen können. Auf diese "harmonische Synthese" beider Wirtschaften darf sich aber die EU nicht einlassen, wenn sie nicht den Import russischer Zustände riskieren will. Man denke nur an die Rolle, die Gazprom im russischen Medienwesen spielt. Mit den korruptionsverseuchten Beitrittsländern aus dem ehemaligen Ostblock hat die EU bereits genug am Hals. Die von Putin propagierte Synthese zwischen dem postsowjetischen Oligarchen-Kapitalismus und einem neoliberal entfesselten Kasino-Kapitalismus wäre so ziemlich das schlimmste, was man sich vorstellen kann. Es wäre etwas ähnliches wie die Synthese von Pest und Cholera. |