Mai 2010 |
100509 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bei der Landtagswahl, die am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen stattfand, verlor die bisherige Regierungskoalition aus CDU und FDP ihre Mehrheit im Parlament. Damit zeichnen sich auch neue Perspektiven für energiepolitische Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene ab, die bisher mit Rücksicht auf den Wahltermin verschoben wurden. Auf Bundesebene haben nun die Befürworter einer Laufzeit-Verlängerung für Kernkraftwerke einen schlechteren Stand. Auf Landesebene gibt es dagegen für E.ON weiterhin gute Chancen, den umstrittenen Kraftwerksneubau Datteln doch noch vollenden zu können, obwohl er auf auf juristisch schwankendem Grund errichtet wurde.
Da CDU und SPD im neuen Landtag über gleichviel Sitze verfügen und für eine regierungsfähige Mehrheit zumindest zwei der drei kleineren Parteien (Grüne, Linke, FDP) bräuchten, gestalteten sich die Koalitionsverhandlungen recht schwierig und waren Ende Mai noch nicht abgeschlossen. Als wahrscheinlichste Lösung galt zuletzt eine Große Koalition aus CDU und SPD. In jedem Fall würde aber die schwarz-gelbe Bundesregierung im Bundesrat ihre bisherige Mehrheit verlieren.
Ob und wieweit die von Union und FDP geplante Verlängerung der Laufzeit für Kernkraftwerke der Billigung durch den Bundesrat bedarf, ist deshalb heftig umstritten. Sogar Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) neigte zu der Ansicht, daß längere Laufzeiten "tendenziell der Zustimmung des Bundesrates" bedürften. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Roland Koch meinte dagegen, daß die geplante Verlängerung der Laufzeiten ebenso ohne Zustimmung des Bundesrates durchgesetzt werden könne wie seinerzeit das Atomausstiegsgesetz der rot-grünen Koalition (011204). Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) ging seinen Parteifreund Röttgen sogar frontal an und legte ihm den Rücktritt nahe.
Im Rahmen einer "Aktuellen Stunde", die von der SPD beantragt worden war, diskutierte der Bundestag am 19. Mai über die "unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Auffassungen in der Bundesregierung zur Verlängerung von Atomkraftwerkslaufzeiten". Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber warf CDU/CSU und FDP vor, "aus Liebe zu den Lobbyisten auf eine windige verfassungsrechtliche Konstruktion“ zu setzen. Auch Linke und Grüne bestanden darauf, daß die Länder einer Änderung des Atomausstiegsgesetzes zustimmen müßten.
Die Kernkraftwerksbetreiber treffen inzwischen Vorsorge, um die Laufzeiten der zur Stillegung anstehenden Kernkraftwerke Biblis A und Neckarwestheim 1 noch länger zu strecken, als dies zunächst nötig erschien. Anfang Mai kaufte RWE von E.ON das restliche Stromkontingent aus dem 2003 vorzeitig stillgelegten Kernkraftwerk Stade (031107). Über die vertraglichen Konditionen wurde Stillschweigen vereinbart. Mit den erworbenen 4,8 Terawattstunden könne Biblis A rund sechs Monate mit voller Last betrieben werde, teilte der Konzern am 9. Mai mit. Anscheinend rechnet er aber nicht damit, das ganze Stade-Kontingent zu benötigen. Laut FAZ (10.5.) verhandelte er mit der Energie Baden-Württemberg (EnBW) über einen teilweisen Weiterverkauf der erworbenen Reststrommenge. Indessen war der verlangte Preis wohl zu hoch. Am 17. Mai teilte die EnBW mit, daß sie Neckarwestheim 1 "für die jährliche Revision planmäßig vom Netz genommen" habe.
Die wichtigste energiepolitische Entscheidung auf Landesebene, die vom Ausgang der NRW-Wahl beeinflußt wird, ist der Weiterbau des neuen Steinkohle-Blocks am Kraftwerksstandort Datteln. Das E.ON-Projekt mit einer Leistung von 1100 MW wurde 2007 in Angriff genommen und sollte 2011 in Betrieb gehen. Inzwischen wurde es aber wegen mehrerer Verstöße gegen geltende Bestimmungen erfolgreich vor Gericht angefochten. E.ON darf nur noch in Teilbereichen weiterbauen. Um das Projekt vollenden zu können, bräuchte der Konzern kräftige politische Unterstützung einschließlich der nachträglichen Änderung von Vorschriften, gegen die verstoßen wurde. Bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen wäre dieser politische Flankenschutz kaum zu erreichen oder allenfalls unter derart schwierigen Bedingungen wie beim umstrittenen Steinkohlekraftwerk Moorburg in Hamburg (080904). E.ON-Chef Johannes Teyssen setzt aber offenbar auf eine Große Koalition. Er rechne fest mit dem Weiterbau, sagte er am 12. Mai in einer Telefonkonferenz. Sowohl CDU als auch SPD hätten sich eindeutig hinter das Projekt gestellt.