November 2007 |
071104 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Bundestag verabschiedete am 15. November in zweiter und dritter Lesung die Novellierung des Kartellrechts, die es dem Bundeskartellamt künftig ermöglichen soll, gegen mißbräuchlich überhöhte Preise der Strom- und Gaskonzerne vorzugehen. Am 30. November erteilte auch der Bundesrat seine Zustimmung. Dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wird dadurch ein neuer Paragraph 29 eingefügt, der bis 31. Dezember 2012 befristet ist und in seiner nunmehr beschlossenen endgültigen Fassung folgendermaßen lautet (Änderungen fett):
Einem Unternehmen ist es verboten, als Anbieter von Elektrizität oder leitungsgebundenem Gas (Versorgungsunternehmen) auf einem Markt, auf dem es allein oder zusammen mit anderen Versorgungsunternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat, diese Stellung missbräuchlich auszunutzen, indem es
1. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die ungünstiger sind als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen oder von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten, es sei denn, das Versorgungsunternehmen weist nach, dass die Abweichung sachlich gerechtfertigt ist, wobei die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nur im Verfahren vor den Kartellbehörden gilt, oder
2. Entgelte fordert, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten.
Kosten, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht einstellen würden, dürfen bei der Feststellung eines Missbrauchs im Sinne des Satzes 1 nicht berücksichtigt werden. Die §§ 19 und 20 bleiben unberührt.
Im Text der Gesetzesvorlage begründete der SPD-Bundestagsabgeordnete Reinhard Schultz als Berichterstatter des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie die nachträglich eingefügte Einschränkung der Beweislastumkehr damit, daß die Kartellbehörde auch entlastende Momente zu ermitteln habe, was im Kartellzivilprozeß nicht der Fall sei. Er verwies ferner darauf, daß die Umkehr der Beweislast nur für Punkt 1 gilt. Für den Nachweis unangemessener Entgelte nach Punkt 2 bleibe weiterhin die Kartellbehörde beweispflichtig. Dabei habe sie "insbesondere anerkannte ökonomische Theorien zu beachten, z.B. den Grundsatz, daß bei vollkommenem Wettbewerb die Preise den Grenzkosten entsprechen".
Die Wirksamkeit der Kartellrechtsnovelle, die ohnehin umstritten ist, wurde damit noch vor ihrem Inkrafttreten abgeschwächt. Die Einschränkung der Beweislastumkehr auf das Verfahren vor dem Kartellamt verhindert, daß Energieverbraucher künftig einen besseren Stand haben, wenn sie sich gerichtlich gegen überhöhte Preisforderungen der Energiekonzerne zu wehren versuchen. Zusätzlich wird das Kartellamt - nicht durch den § 29 GWB selbst, aber in der schriftlichen Begründung des Gesetzentwurfs - bei der Überprüfung von Entgelten auf "anerkannte ökonomische Theorien" und insbesondere die Anerkennung der sogenannten "Grenzkosten" verpflichtet.
Die Lobby der Energiekonzerne, die sich sogleich nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs zu dessen Abwehr formierte, hat damit zumindest einen Teilerfolg errungen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Reinhard Schultz, der die Gesetzesänderung als Berichterstatter des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie begleitete, gilt seit langem als Lobbyist des Vattenfall-Konzerns (020815, 061201). "Wir haben eine maßvolle Zuspitzung der Instrumente des Kartellamtes gefunden", konnte er jetzt bei der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag feststellen. Im Referentenentwurf sei die Ausgangslage noch anders gewesen.
Was die "anerkannten ökonomischen Theorien" betrifft, so hatte RWE bereits vor einem Jahr eine akademische Hilfstruppe mobilisiert und durch sie das Argument vorbringen lassen, die Kartellrechtsnovelle würde die Preisbildung nach dem Prinzip der "Grenzkosten" gefährden (061105). Als Erfolg dieser Bemühungen wurde die Anerkennung der von den Energiekonzernen geltend gemachten Grenzkosten zumindest in die Begründung des Gesetzentwurfs aufgenommen, den das Bundeskabinett im April 2007 billigte (070401). Dort heißt es nun: "Die Kartellbehörden haben bei Anwendung des § 29 anerkannte ökonomische Theorien zu beachten, z. B. den Grundsatz, dass bei vollkommenem Wettbewerb die Preise den Grenzkosten entsprechen."
Wie unklar und dubios mit dem Begriff der Grenzkosten gerade in der Stromwirtschaft hantiert werden kann, hat allerdings vor zwei Jahren der Wirtschaftswissenschaftler Carl Christian von Weizsäcker demonstriert, als er unter Berufung auf die Grenzkosten-Theorie die Einbeziehung des Börsenwerts der kostenlos ausgegebenen CO2-Zertifikate in die Strompreise verteidigte (050901). Weizsäcker trat jetzt auch wieder als Sachverständiger bei einer öffentlichen Anhörung zur GWB-Novelle auf, die der Ausschuß für Wirtschaft und Technologie am 5. November durchführte. Er nutzte die Gelegenheit, um die ausdrückliche Anerkennung der von den Energiekonzernen geltend gemachten (Opportunitäts-) Grenzkosten im Gesetzestext selbst zu fordern.
Die Änderung des Kartellrechts für Strom- und Gasunternehmen ist Teil eines "Gesetzes zur Bekämpfung von Preismißbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels", das außerdem eine neue Verbotsregelung für den Verkauf von Lebensmitteln unter dem Einstandspreis enthält. Die Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag erfolgte mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Linken gegen die Stimmen von FDP und Grünen.
"Es gibt kurzfristig keine Alternative zur Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht", erklärte in der halbstündigen Debatte über das Gesetz der Unionsabgeordnete Albert Rupprecht. "Wer unseren Gesetzentwurf heute ablehnt, akzeptiert, daß den Verbrauchern jährlich bis zu 9,5 Milliarden Euro aus den Taschen gezogen werden." Der SPD-Abgeordnete Rolf Hempelmann gab dagegen zu bedenken: "Wir dürfen die Hoffnungen, was dieses Instrument betrifft, nicht allzu sehr in die Höhe jubeln, Herr Rupprecht, auch wenn die Zahl von 9 Milliarden Euro Monopolgewinne im Raum steht. Wir werden diese Summe durch eine solche Maßnahme nicht eintreiben können." Als weiterer Sprecher der SPD äußerte Reinhard Schultz seine Genugtuung über die Abmilderung des ursprünglichen Gesetzentwurfs, wodurch dem Bundeskartellamt jetzt nur noch "für den Extremfall des Preisdiktates" eine schärfere Waffe zur Verfügung stehe.
Daß auch die Linkspartei dem Gesetz zustimmte, begründete Ulla Lötzer vor allem mit der darin enthaltenen Untersagung von Verkäufen unter Einstandspreis. Die Verschärfung des Kartellrechts begrüßte sie ebenfalls, forderte aber darüber hinaus eine Rückkehr zur staatlichen Kontrolle der Energiepreise und Sozialtarife.
Die Grünen und die FDP lehnten das Gesetz mit der Begründung ab, es kuriere nur an Symptomen, statt die Ursachen des fehlenden Wettbewerbs anzugehen. Eine Deckelung der Preise ändere nichts an den "vermachteten Marktstrukturen", meinte die Grünen-Abgeordnete Kerstin Andreae. Die GWB-Novelle sei insgesamt ein "stumpfes Schwert". Sie nehme sogar "den Druck für mehr Wettbewerb aus den Energiemärkten heraus". Ähnlich äußerte sich der FDP-Abgeordnete Manfred Zeil: "Im Grunde verkaufen Sie den Leuten ein Placebo, und die wirklichen Themen, mit denen man mehr Wettbewerb schaffen könnte, gerade im Energiebereich, lassen Sie aus."