Dezember 2006 |
061201 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die von der EU-Kommission verfügte Kürzung des deutschen Zuteilungsplans für die zweite Periode des Handels mit CO2-Emissionsrechten (061104) hat im Dezember heftige Proteste der betroffenen Industriekreise und ihrer Lobby ausgelöst, denen sich zunächst auch die Politik anzuschließen schien. Hinzu kamen Spannungen zwischen dem Bundesumweltministerium von Sigmar Gabriel (SPD) und dem Wirtschaftsministerium von Michael Glos (CSU), weil Gabriel die nachträgliche Korrektur der nach Brüssel gemeldeten Zuteilungsmenge mit Glos nicht abgesprochen hatte. Dann aber ging die Bundesregierung deutlich auf Distanz zu dem Ansinnen, sich in dieser Frage auf eine Kraftprobe mit der EU-Kommission einzulassen. Dabei spielte auch eine Rolle, daß Deutschland am 1. Januar 2007 für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Die deutsche Präsidentschaft will erklärtermaßen "dem Thema Klimaschutz und Energie Priorität geben" und "die Weichen stellen für ein zukünftiges internationales Klima-Regime".
In einer ersten Stellungnahme vom 29. November hatte Glos die Kürzung des deutschen Zuteilungsplans auf 453,1 Millionen Tonnen CO2 als "völlig inakzeptabel" bezeichnet. Die EU-Kommission treibe damit die Strompreise in Deutschland unnötig nach oben. Darüber hinaus greife sie in Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein. Mit der Beanstandung der 14-jährigen Privilegierung von Ersatzanlagen verkenne sie den Stellenwert, den Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen hätten.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Reinhard Schultz verlangte sogar eine Erhöhung der Zuteilungsmenge auf "wenigstens 476 Millionen Tonnen". Falls dies nicht gelinge, müsse "geprüft werden, ob das europäische C02-Handelssystem nicht gesprengt werden kann", schrieb er in Briefen an Kanzleramtschef Thomas de Maizière und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. "Wenn das Emissionshandelssystem nur noch durch Notoperationen am Leben gehalten werden kann, sollte man lieber ganz darauf verzichten." Schultz sitzt im Aufsichtsrat des Braunkohleförderers "Vattenfall Europe Mining AG" (früher Laubag). Außerdem ist er dem Vattenfall-Konzern durch die ihm gehörende Beratungsfirma Schultz Projekt Consult eng verbunden.
Die an das Bundeswirtschaftsministerium angebundene "Deutsche Energie-Agentur" (dena) kritisierte die Brüsseler Entscheidung ebenfalls. "Es ist nicht Aufgabe der EU-Kommission, den einzelnen Ländern vorzugeben, wie sie ihre Pflichten erfüllen, und sie hat nicht das Recht, so massiv in die deutsche Lastenteilung einzugreifen", ließ sich dena-Chef Stephan Kohler vernehmen. Als Folge der Brüsseler Entscheidung sei ein drastischer Anstieg der Strompreise und mindestens eine Verzögerung, wenn nicht gar die Streichung von Kraftwerksprojekten zu erwarten.
In einem Gespräch mit zwei Staatssekretären der Bundesregierung, das am 11. Dezember in Brüssel stattfand , blieb Umweltkommissar Stavros Dimas indessen unnachgiebig. Tags darauf erhöhte er sogar noch den Druck durch eine Mahnung an Deutschland und andere EU-Staaten, weil sie es versäumt hatten, vollständige Berichte über ihre Fortschritte bei der Verringerung von Treibhausgasemissionen vorzulegen. Der Chef der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, soll überdies der Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Telefongespräch signalisiert haben, daß er seinen Umweltkommissar unterstützt.
Anscheinend hat die EU-Kommission bei dem Gespräch in Brüssel verdeutlicht, daß sie auf der Einhaltung der Zusagen zur Reduzierung der CO2-Emissionen besteht, die von der deutschen Wirtschaft gemacht wurden (010501). Bei Nichterfüllung droht sie mit der Streichung des sogenannten Spitzenausgleichs für besonders energieintensive Branchen, welche die größten CO2-Emittenten bisher weitgehend von der Öko-Steuer befreit. Zuletzt war diese Regelung im Februar 2002 auf weitere fünf Jahre verlängert worden (020209). Die Kommission machte dabei zur Bedingung, daß der Spitzenausgleich bereits im Jahr 2004 beendet wird, falls sich bis dahin absehen läßt, daß die Industrie die für das Jahr 2005 zugesagte Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen (001010) nicht erfüllen kann. Andererseits stellte sie eine weitere Verlängerung der Maßnahme um zehn Jahre in Aussicht, sofern die Umweltschutzleitlinien erfüllt sind.
Bei diesem Stand der Dinge erntete der "Bundesverband der Deutschen Industrie" (BDI) nur gereizte bis empörte Reaktionen, als er am 17. Dezember in einem Offenen Brief die Bundeskanzlerin Angela Merkel aufforderte, den Brüsseler Plänen entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen und sogar zu den 482 Millionen Tonnen CO2 des ursprünglichen Zuteilungsplans zurückzukehren. Die beschlossenen Verschlechterungen der Zuteilung stellten "einen massiven Vertrauensbruch der Politik gegenüber den betroffenen Unternehmen dar" hieß es in dem vom 14. Dezember datierten Brief mit deutlicher Spitze sowohl gegen die EU-Kommission als auch gegen das Bundesumweltministerium. Die für Kraftwerksprojekte notwendige langfristige Planungssicherheit sei nicht mehr gegeben, was "absehbar zu höheren Strompreisen führen" werde. Die EU-Kommission verlange von Deutschland eine Übererfüllung seines Klimaziels, um entsprechende Defizite in anderen Ländern ausgleichen. Insgesamt werde dadurch der Produktionsstandort Deutschland im europäischen Wettbewerb zurückfallen. Zu den 15 Unterzeichnern des Briefs gehörten neben dem BDI-Präsidenten Jürgen R. Thumann unter anderen die Vorstandsvorsitzenden der Energiekonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, Steag-Chef Alfred Tacke, VKU-Präsident Gerhard Widder und der BASF-Vorstandsvorsitzende Jürgen Hambrecht.
Bundesumweltminister Gabriel stellte dazu fest, daß die deutsche Wirtschaft sich durchaus vorwerfen lassen müsse, ihre im Jahr 2001 abgegebene Selbstverpflichtung zur Senkung von Treibhausgasen nicht einzuhalten. Das betreffe vor allem den Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung. "Die Energiewirtschaft hat weit mehr emittiert, als die Industrie gesenkt hat." Die Nichteinhaltung der Klimaschutzziele könne zum Verlust der bisherigen Steuerprivilegien führen. Die weitgehende Befreiung der großen CO2-Emittenten gelte nur noch bis zum Jahresende. Eine weitere Verlängerung müsse von Brüssel genehmigt werden und sei an die Einhaltung der Klimaschutzziele gekoppelt. Er rate deshalb der deutschen Industrie dringend, "Druck auf die Energiewirtschaft zu machen, dass deutsche Klimaschutzziele eingehalten werden, damit wir die Steuerbefreiung der Ökosteuer retten können, und nicht die Bundesregierung öffentlich dafür zu beschimpfen, dass wir versuchen, in den Verhandlungen mit der Kommission, ein sowohl für den Klimaschutz als auch für die deutsche Wirtschaft vernünftiges Ergebnis rauszuholen".
Gabriel machte ferner deutlich, daß die vorgesehene Fortführung von
§ 11 des Zuteilungsgesetzes 2007
nicht zu halten sein wird. Dieser Paragraph befreit Neuanlagen für 14 Jahre von
der Verpflichtung zu Emissionsminderungen und sollte auch für den neuen Zuteilungsplan
gelten. Die EU-Kommission sieht darin eine unzulässige Beihilfe. Wie die "Frankfurter
Rundschau" (16.12.) aus SPD-Kreisen erfuhr, soll ersatzweise ein anderes Verfahren
eingeführt werden, das Standardwerte für den CO2-Ausstoß von Kohle-
und Gaskraftwerken festlegt und auf diese Weise modernere Anlagen begünstigt.