Mit diesem schockierenden Bild (zum Vergrößern anklicken) dokumentierte die "Volksstimme" am 23. Januar 1907, mit welchen Methoden die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika vorging. Das Zeitungsexemplar mit der Markierung "anstößiger" Texstellenstammt aus den Akten der Kriminalpolizei. Bei dem Bild handelte es sich ursprünglich um eine Fotografie, doch fehlte den meisten Zeitungen damals noch die technische Möglichkeit, Fotografien als gerasterte "Autotypien" zu drucken. Deshalb mußte die Fotografie in eine Schwarz-weiß-Zeichnung umgesetzt werden.

Volksstimme

(1. Mai 1890 - 9. März 1933)

Der überwältigende Erfolg bei den Reichstagswahlen 1890 ermutigte die Mannheimer Genossen, noch vor dem Auslaufen des Sozialistengesetzes ein Parteiorgan herauszubringen. Der Entschluß reifte bei der Siegesfeier in der "Gambrinushalle". Ein Komitee wurde gegründet, dem Wilhelm Häusler, Karl Fentz, August Dreesbach, Robert Kramer, Franz Wagner, Karl Walter sowie Fr. Ehrhart und Josef Huber aus Ludwigshafen angehörten. Dreesbach konnte auf seine Erfahrungen beim "Pfälzisch-Badischen Volksblatt", Josef Huber auf die kurze Zeit als Redakteur der "Pfälzischen Freien Presse" zurückgreifen.

Zunächst wurde die "Aktiendruckerei Mannheim" mit einem Stammkapital von 20000 Mark ins Leben gerufen und in dem neuerstellten Haus eines Genossen in T 3, 4a der technische Apparat installiert. Am 23. April erschien dann probeweise die erste Nummer der "Volksstimme" in einer Auflage von 20000 Exemplaren. Sie verstand sich als Zeitung für "das eigentliche Volk, d.h. für die Arbeiter, Kleinbürger, Kleinbauern und niederen Beamten".

Im Eröffnungsartikel, von Dreesbach und Fentz gezeichnet, hieß es:

"Die Presse vertritt die öffentliche Meinung - aber die schlechte, käufliche Presse verfälscht und korrumpiert dieselbe, deshalb muß eine wahre Volkspresse geschaffen werden... Alle Zeitungen der herrschenden Parteien sind Privatunternehmungen und dienen in erste Reihe den Besitzern als ergiebige Einnahmequelle - die 'Volksstimme' aber gehört nicht nur in geistiger, sondern auch in materieller Beziehung dem Volke."

Die Direktion des Parteiunternehmens übernahm zunächst August Dreesbach. Karl Fentz vertauschte seine Korrektorenstelle bei der "Neuen Badischen Landes-Zeitung" mit dem eher kärglicher dotierten Posten eines Geschäftsleiters der "Volksstimme". Erster Redakteur des Blattes wurde der Genosse Dr. Ph. A. Rüdt.

Rüdt hatte als Philosophiestudent in Heidelberg "Die Waffe" herausgegeben, die allerdings kein langes Leben führte. Es erregte einiges Aufsehen, als er von den Lassalleanern zu den Eisenachern überging. Rüdt blieb nur bis Ende Juni Redakteur der "Volksstimme". Sein "massenpsychologisch wie landespoIitisch gänzlich danebengegangener religionsfeindlicher Radikalismus" (Geck) dürfte schon damals zum Zerwürfnis mit Dreesbach und zu seiner Ablösung geführt haben.

Nachfolger Rüdts wurde der Züricher Setzer Thies, der freilich so wenig Standvermögen zeigte, daß er aus Angst vor einer Verurteilung wegen "Aufreizung zum Klassenhaß" schon im folgenden Jahr zurück in die Schweiz flüchtete. Erst auf nachdrückliches Verlangen der Partei kehrte er zurück und stellte sich dem Gericht, das ihn mit 100 Mark Geldstrafe davonkommen ließ. Als Redakteur hatte sich Thies indessen unmöglich gemacht.

Eine andere Natur war da Hermann Keßler, der vom 6. April 1891 bis Mitte 1898 als Redakteur der "Volksstimme" amtierte. Von seiner rund siebenjährigen Tätigkeit verbrachte er fast ein Jahr im Gefängnis. So verbüßte er 1891 zwei Monate wegen Beleidigung eines höheren Beamten; 1893 vier Monate wegen Aufreizung zum Klassenhaß und Majestätsbeleidigung; 1897 drei Monate wegen Ehrverletzung eines oberelsässischen Nachtwächters und einen weiteren Monat wegen unziemlicher Ausdrücke über einen Seckenheimer Arzt.

Ein weiterer Redakteur der Volksstimme, Teufel, erhielt 1894 zwei Monate Gefängnis, weil Karl Fentz aus einem Stapel Flugblätter des Jahres 1848 einen Beitrag fürs Feuilleton verfertigt hatte. Dabei hatte Fentz noch alle Stellen, die den damaligen Großherzog irgendwie beleidigen konnten, weggelassen. Es half nichts: Vormittags erschien die Zeitung, am Nachmittag war der verantwortliche Redakteur Teufel schon verhaftet. Fentz und Dreesbach wurden der Mittäterschaft angeklagt. Dreesbach kam mit dreißig Mark Geldstrafe davon, während Fentz, der eigentliche Verfasser des Artikels, freigesprochen wurde. Es war übrigens der einzige Freispruch, den er sich bei insgesamt 27 Anklagen während seiner Tätigkeit bei der Volksstimme einhandelte.

Der Strafregister-Auszug des "Volksstimme"-Redakteurs Theodor Huth weist zwischen 1886 und 1904 insgesamt 18 Verurteilungen auf, in der Regel wegen "öffentlicher Beleidigung". Beleidigend war für die herrschenden Gewalten natürlich jedes unverblümte Wort. (Die beiden Strafregister-Seiten können durch Anklicken vergrößert werden)

Trotz Aufhebung des Sozialistengesetzes konnte somit von einem unbehinderten Wirken der Sozialdemokratie keine Rede sein. Das Tagewerk der Parteijournalisten erinnerte an vormärzliche Verhältnisse, und in der Tat begriff sich die damalige Sozialdemokratie auch durchaus als legitime Erbin der märzlichen Freiheitsbewegung.

Als am 1. Oktober 1898 Wilhelm Herzberg seine Tätigkeit als Redakteur der Volksstimme aufnahm, mußte er schon nach zwei Monaten wegen Beleidigung eines nationalliberalen Politikers zwei Monate ins Gefängnis. "Beleidigend" war für die herrschende Klasse natürlich jedes unverblümte Wort, während umgekehrt die Sozialdemokraten kaum hoffen konnten, den Schutz der Gerichte gegen die üble Nachrede bürgerlicher Blätter anzurufen.

Gustav Jaeckh, der vom 1. Juni 1897 bis zum 1. April 1900 amtierte, brachte das Kunststück fertig, ohne Verurteilung davonzukommen. Sein Kollege Dietz wurde dagegen 1897 hinter schwedische Gardinen geschickt. Die Verfolgungen dauerten bis ins neue Jahrhundert, in das die Volksstimme mit den Redakteuren Eichhorn (bis 1903) und Picker (bis 1904) ging. Emil Maier (1904 bis 1907) erhielt vierzehn Tage wegen Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen und zwei Monate wegen Beleidigung eines Karlsruher Militärrichters. Oskar Geck (1901 bis 1927) wurde Anfang 1907 in dem aufsehenerregenden "Herero-Prozeß" zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Noch im selben Jahr mußte er vierzehn Tage in Beugehaft, weil er der Staatsanwaltschaft den Verfasser eines majestätsbeleidigenden Artikels nicht offenbarte.

Im "Herero-Prozeß" ging es um die Veröffentlichung eines Bildes in der Volksstimme vom 23. Januar 1907, das Greueltaten der deutschen Kolonialtruppen in Südwestafrika dokumentierte. Während die Kriminalpolizei das Zeitungsgebäude besetzte und überall nach dem Bild fahndete, spazierte Emil Maier mit dem Klischee unterm Hemd zum Tor hinaus. Das Klischee wurde im Kassenschrank des Metallarbeiterverbandes verwahrt, und noch am gleichen Nachmittag gingen Fotografien an die norddeutschen Parteiblätter.

Schon zwei Wochen später rückte die Kriminalpolizei erneut an, um die Karnevalsausgabe der Volksstimme vom 9. Februar zu beschlagnahmen. Das Faschingsblättchen, "Schnupftabak" betitelt, hatte sich darüber mokiert, daß in Mannheim so viele Straßen, Brücken, Parks und Gebäude nach dem großherzoglichen Herrscherpaar Friedrich und Luise benannt waren. Scherzhaft wurde vorgeschlagen, dem erlauchten Herrscherpaar doch noch ein paar weitere Ehrungen darzubringen:

"Man könnte zum Beispiel den Rhein als Friedrichstrom und den Neckar als Luisenbach bezeichnen, den Zeitungskiosk als Friedrichshütte; das gegenüberliegende kleine Klosett, das den Bedürfnissen beider Geschlechter dient, müßte sinngemäß den Doppelnamen "Friedrich-Luisen-Häuschen" tragen."

Obwohl die Kriminalpolizei wegen des "Friedrich-Luisen-Häuschens" den ganzen Zeitungsbetrieb auf den Kopf stellte, konnte sie lediglich Manuskripte und Matern, nicht aber die Druckplatte des majestätsbeleidigenden Artikels finden. Das hatte einen ganz einfachen Grund, der freilich der Intelligenz der Kripo entgangen war: Die Druckplatten befanden sich noch auf der Rotationsmaschine. Nachdem die Polizei abgerückt war, wurde die Rotationsmaschine erneut in Bewegung gesetzt und sogleich eine zweite Faschingsausgabe gedruckt. Der Titel wurde in "Der Schmalzerl" geändert und der anrüchige Vorschlag zur Ehrung des großherzoglichen Paares durch einen neuen Artikel ersetzt, der den Mißerfolg der Polizei verulkte.

Die weitere Entwicklung der "Volksstimme" bis zu ihrem Ende 1933

Nachdem der Reformismus innerhalb der Sozialdemokratie die Oberhand gewonnen hatte, zeigten sich die herrschenden Gewalten allmählich etwas gnädiger gestimmt. Relativ unangefochten durfte die Volksstimme durchs Fahrwasser der "Großblockpolitik" steuern - eine badische Variante des Reformismus, bei der die Sozialdemokraten nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1905 mit den Nationalliberalen gegen das Zentrum marschierten. Der Abgeordnete Ludwig Frank ließ sich auch durch die energischsten Vorhaltungen Bebels auf dem Magdeburger Parteitag 1910 nicht davon abbringen, mit den bürgerlichen Parteien für die Bewilligung des badischen Budgets zu stimmen. Der Lokalmatador August Dreesbach zog es vor, dem Lübecker Parteitag fernzubleiben, auf dem er die Politik der Karlsruher SPD-Fraktion rechtfertigen sollte. Dreesbach starb 1906. Ludwig Frank meldete sich bei Beginn des ersten Weltkriegs als Freiwilliger und starb kurz darauf den "Heldentod". Die Volksstimme versäumte nicht, die Todesnachricht ganzseitig auf dem Titelblatt, garniert mit Trauerrand und patriotischen Phrasen, zur Kenntnis zu bringen.

Es konnte als Omen gelten, daß Dreesbach dem Parteitag der SPD 1906 im Mannheimer Nibelungensaal vorsaß. Gleichzeitig begannen sich allerdings auch um Karl Liebknecht, Clara Zetkin, Franz Mehring und Rosa Luxemburg jene Kräfte zu regen, die das revolutionär-marxistische Erbe der Sozialdemokratie hochhielten und nach dem ersten Weltkrieg in die neugegründete Kommunistische Partei Deutschlands einbrachten. Wie weit die Wege auseinander führten, verdeutlichen Emil Eichhorn und Adam Remmele, die beide zu Anfang des 20. Jahrhunderts Redakteure der Mannheimer Volksstimme waren: Eichhorn schloß sich später den Kommunisten an und amtierte im revolutionären Berlin als Polizeipräsident. Remmele galt dagegen in der Weimarer Zeit als rechter Sozialdemokrat und "badischer Noske", der beispielsweise wiederholt Erscheinungsverbote gegen die kommunistische Mannheimer "Arbeiter-Zeitung" verhängte.

Wirtschaftlich sah es gut um die Volksstimme aus, nachdem eine gewisse Durststrecke überwunden und ein großer Teil der Arbeiter den bürgerlichen Blättern abspenstig gemacht worden war. Die Auflagenziffern wiesen steil nach oben:

Jahr Auflage
1890 4000
1898 9500
1912 18500
1922 26500
1925 18500
1927 21500
1930 22800
1932 22800

Bis zum Knick, der Anfang der zwanziger Jahre vor allem durch die Konkurrenz der kommunistischen "Arbeiter-Zeitung" eintrat, also eine durchaus erfolgreiche Bilanz.

Schon ein Jahr nach der Gründung übernahm die Parteidruckerei auch die Herstellung des Darmstädter Parteiorgans und druckte bis 1894 als Kopfblatt der Volksstimme den "Bote von der Saar". Die Doppelschnellpresse reichte dafür nicht mehr aus. Ab 7. März 1891 erfolgte der Druck der Volksstimme auf einer Rotationsmaschine. Die Neuinvestitionen in der Druckerei verschlangen 20000 Mark, soviel wie das Stammkapital. 1895 kam als neues Kopfblatt die "Pfälzische Post" für Ludwigshafen dazu. Die technisch-redaktionelle Verbindung der Pfälzischen Post mit der Volksstimme bestand zehn Jahre. 1906 mußte die Volksstimme dann wiederum einspringen und ein neues Kopfblatt für die "Elsaß-Lothringische Volkszeitung'" herausbringen, die in Mühlhausen der reichsländischen Diktatur zum Opfer gefallen war. Die "Volksstimme für Elsaß-Lothringen" erschien dreimal wöchentlich bis 1898, wobei der Parteivorstand Zuschüsse gewährte.

Die Räume in T 3, 4a wurden zu eng. Am 6. Dezember 1897 zog die Volksstimme in die ehemalige Dahringersche Brauerei in R 3, 14 um. Ab November 1900 kam samstagabends eine siebente Wochenausgabe heraus. Zu Beginn des ersten Weltkriegs umfaßte die Druckerei 33 Maschinen, darunter zwei 16seitige Doppelrotationen, drei Schnellpressen, zwei Tiegeldruckpressen und vier Setzmaschinen. Der Jahresumsatz hatte sich von 46380 Mark (1890/91) auf 340000 Mark (1914) erhöht. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich der Personalbestand von 17 auf 60, die Zahl der Austrägerinnen von 18 auf 83 und der Jahresumfang von 1402 auf 4164 Seiten. Der Bezugspreis war dabei mit einer Erhöhung um zwanzig auf achtzig Pfennig monatlich einschließlich Trägerlohn ziemlich konstant geblieben.

Zu den beiden Redakteuren Oskar Geck und Emil Maier kamen 1906 Th. Huth und Emil Hauth. Maier wurde 1908 durch Adam Remmele (bis 1918) ersetzt, Hauth 1911 durch Heinrich Harpuder (bis 1933). Für Remmele, der nach der Revolution zu Ministerwürden gelangte, trat Gustav Zimmermann ein. Der lokale Teil wurde ab 1911 von Konrad Hermann redigiert. Als er 1923 starb, folgte ihm Ernst Roth, später Reichstagsabgeordneter. Den 1928 verstorbenen Oskar Geck ersetzte Alexander Schifrin. Das seit 1928 selbständige Ressort Feuilleton wurde mit Fritz Lemke besetzt.

Nur noch einmal geriet die Volksstimme in politische Turbulenzen: Das war in den Jahren 1918/19. Am 7. Juli 1918 wurde sie wegen ihrer Stellungnahme gegen die Fortführung des Krieges (dem sie anfangs applaudiert hatte) auf drei Tage verboten. Im September mußte der Versand an Soldaten im Felde eingestellt werden. Anfang des Jahres 1919 wurde die Volksstimme dann an ihre eigene revolutionäre Vergangenheit erinnert, als Aufständische vorübergehend den Betrieb besetzten und Plakate zur Proklamation der "Räterepublik Süddeutschland" drucken ließen. Bei den Auseinandersetzungen wurde das Gebäude in R 3 auch mit dem Maschinengewehr unter Beschuß genommen.

In den zwanziger Jahren erlebte das Parteiunternehmen nochmals eine Erweiterung. Nach dem Ankauf des angrenzenden Eckgebäudes R 3, 15 begann im Mai 1925 der Umbau. 1928 erfolgte die Inbetriebnahme. Zum technischen Inventar gehörten jetzt unter anderem eine 32seitige Rotation, fünf Schnellpressen und sieben Setzmaschinen.

Es war ein moderner Betrieb, den die SA-Horden am 9. März 1933 besetzten. Fortan erschien dort das "Hakenkreuzbanner", das Gauorgan der NSDAP für Nordbaden.