Als Ableger für die Arbeiterschaft, die durch das Sozialistengesetz der sozialdemokratischen Presse beraubt war, gab die "Neue Badische Landes-Zeitung" ab 1886 die "Badisch-Pfälzische Volks-Zeitung" heraus. Der Titel klang bewußt an das "Pfälzisch-Badische Volksblatt" an, das erste Blatt der Sozialdemokratie in Mannheim, das kurz nach seinem Erscheinen den Ausnahmegesetzen zum Opfer gefallen war.
Eine Vorstellung vom noch immer engen Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und bürgerlichen Demokraten in Mannheim gibt Michael Kayser in seinen Erinnerungen an das Sozialistengesetz. Über den Verleger der "Neuen Badischen Landes-Zeitung", Sigmund Bensheimer, dessen Spitzname "Der blaue Affe" sich später auf die Zeitung übertrug, schreibt er:
"Wenn ich nicht sehr irre, wurde auch der Demokrat Sigmund Bensheimer (der 'bloo Aff', wie man ihn nannte) in den Listen des (sozialdemokratischen, Anm. d. Verf.) Wahlvereins geführt. Jedenfalls druckte er uns, da wir ja eine eigene Druckerei nicht hatten, das gesamte Wahlmaterial, und es wurde erzählt, daß er durch den noch nicht bezahlten Rest der alten Rechnung einen dicken Strich machte, als ihm die beginnende Wahlbewegung neue Aufträge brachte."
Die BPVZ erschien werktäglich einmal zu dem konkurrenzlos niedrigen Preis von 35 Pfennig monatlich. Seit 1. Februar 1896 kam sie mit einer Nebenausgabe für Neckarau heraus, dem "Neckarauer Tageblatt", laut Untertitel "Unparteiliche Tageszeitung für Neckarau und Umgegend, Organ für Jedermann". Die Auflage der BPVZ wurde im Mosse-Katalog 1899 mit 13000 Exemplaren angegeben.
Als Massenblatt des Generalanzeiger-Typs verzichtete die BPVZ auf die ausgeprägte parteipolitische Färbung des Stammblatts NBLZ. In ihrem Untertitel führte sie neben der Bezeichnungen "Neuer Geschäfts-Anzeiger für Mannheim und Umgebung" das Attribut "Organ für Jedermann", das zur gleichen Zeit auch das Konkurrenzblatt "Badische Volks-Zeitung" des Dr. Hermann Haas im Schilde führte. Der Wettlauf um die Gunst der Arbeiterschaft endete eindeutig zugunsten der BPVZ. Haas taufte daraufhin seine "Badische Volks-Zeitung" in "General-Anzeiger" um und verbündete sich mit der Nationalliberalen Partei.
Auch die "unparteiliche" BPVZ besaß natürlich eine politische Ausrichtung, wenn auch diskreter, im Sinne des Stammblatts, zumal auch die Chefredaktion in denselben Händen lag. Zuletzt, d.h. vor dem ersten Weltkrieg, fungierte sie als offizielles Verbandsorgan der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und des Vereins der Deutschen Kaufleute für Baden - beides aus sozialdemokratischer Sicht "gelbe" Gewerkschaften, die mehr den Unternehmern als den Arbeitern verpflichtet waren. Die Auflage war zu diesen Zeitpunkt schon stark zurückgegangen, was sicher damit zu tun hatte, daß die sozialdemokratische "Volksstimme" ihren Absatz von 1898 bis 1912 verdoppelte. Zu Beginn des Jahres 1914 legte die Zeitung ihre politische Richtung offiziell im Sinne der Fortschrittlichen Volkspartei fest. Kurz darauf scheint sie eingestellt worden zu sein, denn im Kriegshandbuch der deutschen Presse taucht sie nicht mehr auf.
Um die Jahrhundertwende war die BPVZ die billigste
Zeitung Badens im großen Format. Über die Konkurrenzsituation
geben die folgenden Angaben aus den Mosse-Katalogen von 1899 bzw. 1913
Aufschluß:
Titel | Auflage 1912 | Auflage 1898 | Ausg./W. 1912 | Ausg./W. 1898 | Abo/Quartal 1912 | Abo/Quartal 1898 |
Neue Badische Landes-Zeitung | o.A. | o.A. | 12 | 13 | 3,50 | 3,75 |
General-Anzeiger | 21 000 | o.A. | 12 | 7 | 3,42 | 1,50 |
Mannheimer Tagblatt | 19 800 | o.A. | 7 | 7 | 2,40 | 2,10 |
Badisch-Pfälzische Volks-Zeitung | o.A. | 13 000 | 6 | 6 | o.A. | 1,05 |
Neues Mannheimer Volksblatt | 9 300 | 4 600 | 6 | 6 | 1,80 | 1,50 |
Volksstimme | 18 500 | 9 500 | 6 | 6 | 1,90 | 1,50 |